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Auto verbraucht mehr als Herstellerangabe – 10 Prozent Abweichung sind zu viel

  • 4 Minuten Lesezeit
Christian Günther anwalt.de-Redaktion
  • Neue Pkw-Modelle in Europa verbrauchen im Alltagsbetrieb durchschnittlich 39 Prozent mehr als die Herstellerangaben.
  • Laut BGH-Rechtsprechung stellt ein Mehrverbrauch von über 10 Prozent bei Neuwagen einen Mangel dar.
  • Mit dem seit September 2018 vorgeschriebenen Prüfverfahren WLTP werden die Unterschiede künftig geringer ausfallen.

Die Verbrauchsangaben der Hersteller zu ihren Fahrzeugen weichen weit vom tatsächlichem Verbrauch ab. Laut einer aktuellen Studie der gemeinnützigen Organisation ICCT (International Council on Clean Transportation) verbrauchten neue Pkw 2017 durchschnittlich 39 Prozent mehr als die Hersteller angeben. 2015 betrug die Abweichung sogar 42 Prozent. Dabei hat der Bundesgerichtshof (BGH) bereits entschieden, dass eine Abweichung von 10 Prozent und mehr einen Mangel darstellt. Neuwagenkäufer können deshalb die Minderung des Kaufpreises verlangen oder vom Kaufvertrag zurücktreten und Schadensersatz verlangen.

Verbrauchsdaten von mehr als 1 Million Autos ausgewertet

39 Prozent Abweichung: Ein Fahrzeug mit einem angeblichen Verbrauch von 5 Liter Kraftstoff pro 100 km laut Hersteller verbraucht danach in Wahrheit über 7 Liter. Das ICCT, das zu diesem Ergebnis kommt, hatte auch die Manipulation von VW bei den Abgaswerten ans Licht gebracht. Unabhängig davon untersucht ICCT seit dem Jahr 2001 den Verbrauch von Fahrzeugen. Als die Organisation damit vor 18 Jahren begann, lag der tatsächliche Verbrauch durchschnittlich nur 9 Prozent über den Herstellerangaben. Inzwischen hat sich die Abweichung mehr als vervierfacht.

Im Rahmen seiner Studie hat das ICCT Daten zu ca. 1,3 Million Autos in acht europäischen Ländern verglichen, darunter Deutschland, Frankreich und Großbritannien. Dabei wurden Online-Einträge von privaten Fahrzeugbesitzern auf Seiten wie spritmonitor.de in Deutschland, Tankaufzeichnungen bei Dienstwagen sowie Tests einschlägiger Fachzeitschriften herangezogen.

Prüfverfahren mit zahlreichen Schlupflöchern

Dass die Herstellerangaben immer weniger mit dem realen Verbrauch zu tun haben, liegt vor allem an dem bis vor kurzem in der EU zur Verbrauchsermittlung vorgeschriebenen Verfahren. Der auf dem Rollenprüfstand bis August 2017 durchgeführte Neue Europäische Fahrzyklus (NEFZ) ließ den Herstellern viele Freiheiten, die sie systematisch zur Verbesserung der Verbrauchswerte ausnutzten: Ausgeschaltete Klimaanlage, volle Batterie, abgeklemmte Lichtmaschine, minimale Beladung, angepasste Motorsteuerung, höherer Reifenluftdruck und warme Außentemperaturen sind nur einige der legalen Modifikationen. Seit September 2018 gilt das strengere Prüfverfahren WLTP für neue Fahrzeuge (Worldwide Harmonized Light Vehicles Test Procedure). Der Verbrauchswert ist danach unter anderem für jede Ausstattungsvariante anzugeben und nicht wie bisher nur für eine Ausstattungsvariante. Sonderausstattungen werden stärker berücksichtigt. Der Test dauert länger und erfolgt mit höheren Geschwindigkeiten.

Durchschnittlich 400 Euro Mehrkosten pro Jahr

Weniger Verbrauch ist schließlich ein Verkaufsargument. Je weniger der Spritverbrauch auf dem Papier aber mit dem im Alltagsgebrauch gemein hat, umso mehr schaden die Hersteller ihrer Glaubwürdigkeit. Den unerwarteten Mehrverbrauch spüren ihre Kunden am Geldbeutel. Abweichungen in diesem Umfang führen auch bei normaler Fahrzeugnutzung pro Jahr schnell zu mehreren hundert Euro Mehrausgaben an der Tankstelle. Laut ICCT sind die Kraftstoffkosten für einen durchschnittlichen Fahrzeugkäufer inzwischen etwa 400 Euro höher, als die Herstellerangaben zum Kraftstoffverbrauch es vermuten lassen.

Mehr als zehn Prozent Mehrverbrauch bilden erheblichen Mangel

Obwohl das Vorgehen der Autohersteller bei der Verbrauchsermittlung rechtlich zulässig ist, ist es für Käufer nicht ohne rechtliche Bedeutung. Laut der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH) stellt ein Verbrauch von mehr als 10 Prozent über den Herstellerangaben bei einem Neuwagen einen erheblichen Mangel dar. Dieser mindert den Fahrzeugwert (BGH, Urteil v. 18.06.1997, Az.: VIII ZR 52/96 und 08.05.2007, Az.: VIII ZR 19/05). Maßgeblich für die Abweichung ist dabei die Angabe zum kombinierten Verbrauch, der der gewöhnlichen Verwendung – innerorts und außerorts – am besten entspricht.

Hersteller und Verkäufer müssen sich dabei an öffentlichen Äußerungen festhalten lassen, die sie insbesondere in der Werbung oder zu bestimmten Fahrzeugeigenschaften tätigen. Dazu zählen beim Kauf eines Kraftfahrzeugs auch Angaben über dessen Verbrauch. Weicht dieser zu stark vom tatsächlichen Verbrauch ab, liegt ein Mangel vor. Die Ermittlung des tatsächlichen Verbrauchs erfolgt dabei in einem Prozess mittels Sachverständigengutachten.

Gericht zweifelt Erreichen der Messwerte im Alltag an

Dessen Richtigkeit zweifelt die Beklagtenseite gerne an. So wurde etwa in einem 2009 vor dem Landgericht (LG) München I geführten Prozess gegen das Gutachten vorgebracht, nur eine Messung auf einem Rollenprüfstand führe zu verwertbaren Ergebnissen. Das LG München lehnte diese Argumentation mit folgenden Worten ab: „Die Beklagte muss sich bei ihrer Argumentation im Übrigen fragen lassen, welches Verständnis von Transparenz und Kundenorientierung sie hat, wenn ihre Mitarbeiter im Streitfall auf die Erzielung von Messwerten pochen, die nicht nur im Alltagsbetrieb nicht zu erreichen, sondern überhaupt ausgeschlossen sind, sobald man das Fahrzeug auf eine echte Straße setzt.“ (LG München I, Urteil v. 29.01.2009, Az.: 4 O 6504/07)

Käufertäuschung über den Verbrauch

Auch das Landgericht Stuttgart urteilte, dass ein theoretischer Wert, der dem tatsächlichen Verbrauch in der Praxis nicht entspricht, ohne Belang sei. Für den Käufer sei nur der tatsächliche Verbrauch beim Einsatz des Fahrzeugs im Straßenverkehr entscheidend. Bei einer Abweichung der auf dem Prüfstand bestimmten theoretischen Werte von den tatsächlichen Werten müsse die theoretische Bestimmung den tatsächlichen Gegebenheiten angepasst werden und nicht umgekehrt. Sonst bestehe die Gefahr, dass der Käufer über den wirklichen Verbrauch getäuscht wird (Urteil vom 22.06.2007, Az.: 8 O 180/06).

(GUE)

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