BGH: Zum Widerrufsrecht bei der Vermittlung von Nettolebensversicherungen

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BGH: Zum Widerruf von Nettolebensversicherungen

Sog. Nettopolicen beschäftigen weiterhin die deutschen Gerichte, und es sieht so aus, als würde dies auch weiterhin der Fall sein. Denn bislang hat der BGH nicht die Möglichkeit genutzt, dem zurzeit zu beobachtenden Missbrauch der Vertragsgestaltung Einhalt zu gebieten.

Nettopolicen sind Lebensversicherungspolicen, bei denen die Kosten für die Vermittlung des Vertrags, insbesondere die Provision oder Courtage für den Vermittler, nicht von dem Versicherer aus den Beiträgen, sondern von dem Versicherungsnehmer gezahlt werden. Es gibt also nach dem Vertragswerk zwei Verträge, nämlich zum einen den Versicherungsvertrag, zum anderen den Vermittlungsvertrag, der zwischen Vermittler und Kunde direkt geschlossen wird und aus dem der Vermittler die Provision/Courtage verlangen kann. Wirtschaftlich gesehen macht dies eigentlich keinen Unterschied, da der Versicherer die Vermittlungskosten sonst auch aus den Beiträgen bestreiten würde. Bedeutung erhält die Gestaltung jedoch, wenn die Police vorzeitig gekündigt wird. Bei „normalen" Versicherungsverträgen gilt dabei der sog. Schicksalsteilungsgrundsatz, d.h. der Vermittler verliert seinen Anspruch auf die noch nicht gezahlte Provision und es sind keine weiteren Zahlungen fällig. Anders bei der Nettopolice. Da Vermittlungsvertrag und Versicherungsvertrag getrennt sind, schuldet der Kunde die volle Vermittlungsprovision auch dann, wenn er den Versicherungsvertrag unmittelbar nach Vertragsschluss beendet, z.B. weil er bemerkt, dass der Vertrag nicht für ihn passt, aber die Widerrufsfrist schon abgelaufen ist.

Vom Grundsatz her muss man dabei sagen, dass diese Gestaltung eigentlich - mit Ausnahme des Ausschlusses des Schicksalsteilungsgrundsatzes - den Forderungen von Verbraucherschützern nach Transparenz der Vertrags- und Kostengestaltung entspricht. Nicht umsonst erarbeiten mehrere Bundesministerien zurzeit Regelungen zur Honorarberatung im Finanzdienstleistungsbereich. Auffällig ist im Augenblick in der Praxis jedoch, dass die Gestaltung von Nettopolicen häufig fragwürdigen Vertriebsorganisationen betrieben werden, die die Policen vornehmlich an Personenkreise vertreiben, für die die Versicherungsverträge genauso wie die parallel vertriebenen sonstigen Kapitalanlagen schlichtweg nicht passen. Jedenfalls die mir bekannten Kunden waren sich über die Besonderheiten der Versicherungsverträge auch nicht bewusst und im Regelfall überrascht, wenn man ihnen mitteilte, dass sie einen gesonderten Vermittlungsvertrag unterschrieben hatten.

Diesen Missbrauch und die damit verbundene Falschberatung einzudämmen wäre an sich Aufgabe der Gerichte. Insbesondere der BGH scheint jedoch Bedenken zu haben, „das Kind mit dem Bade auszuschütten", da die Trennung von Vermittlungs- und Versicherungsvertrag - s.o.- durchaus unter Transparenzgesichtspunkten begrüßt werden kann. Infolgedessen ergehen wendet er auf die Fälle die rechtlichen Regelungen rein dogmatisch an, was für den Versicherungsnehmer manchmal Brot, manchmal auch Steine bedeutet. So auch in dem jetzt veröffentlichten Urteil vom 19.07.2012 III ZR 252/11 (r+s 2013, 154 ff.).

Die Konstellation war recht einfach: der klagende Versicherungsmakler hatte eine Nettopolice vertrieben. Die Courtage sollte vom Versicherer gemeinsam mit den Beiträgen ratenweise eingezogen werden, wobei die vertraglich vereinbarten Versicherungsprämien um die Höhe der Raten auf die Provision gekürzt wurden. Der Versicherungsnehmer widerrief die Provisionsvereinbarung.

Richtigerweise führte der BGH aus, dass es sich bei der ratenweisen Zahlung der Provision um ein Teilzahlungsgeschäft handelt, bei dem dem Verbraucher ein Widerrufsrecht von zwei Wochen einzuräumen ist. Die Frist beginnt mit der ordnungsgemäßen Belehrung des Kunden. Die vorliegende Belehrung entsprach jedoch nicht den gesetzlichen Vorgaben, da sie nur ausführte, dass „die Widerrufsfrist frühestens mit Erhalt dieser Belehrung beginnt". Diese Formulierung ist nach ständiger Rechtsprechung irreführend, da sie den Verbraucher im Unklaren darüber lässt, wann die Frist genau beginnt, da er nur den frühestmöglichen Zeitpunkt kennt. Da die Belehrung auch nicht der Musterwiderrufsbelehrung entsprach (dann vermutet das Gericht zugunsten des Verwenders, dass er richtig belehrt hat) stand dem Kunden ein unbefristetes Widerrufsrecht zu, das er wirksam ausgeübt hat.

Die ursprüngliche Provisionsvereinbarung wurde mit dem Widerruf rückwirkend vernichtet und das Vertragsverhältnis wandelte sich in ein Rückabwicklungsverhältnis um.

Allerdings - auch da ist dem Gericht dogmatisch zuzustimmen - muss der Kunde für die erhaltene Leistung - nämlich die Vermittlung des Versicherungsvertrags - die ortsübliche und angemessene Vergütung zahlen. Diese ist nach dem BGH nicht mit der vereinbarten Provision gleichzusetzen, sondern berechnet sich rein objektiv. Zur Aufklärung der Höhe verwies der BGH die Sache zur neuen Verhandlung zurück an das Berufungsgericht. Sollte sich dort ergeben, dass die angemessene Vergütung geringer ist als die gezahlten Beiträge, müsste außerdem geklärt werden, ob dem Versicherungsnehmer Schadenersatzansprüche wegen Verletzung der Pflichten aus dem Beratungsvertrag zustehen.

Einerseits ist das Urteil somit zu begrüßen, da es die Ansprüche des Vermittlers bei Widerruf auf den objektiven Wert begrenzt. Dieser muss aber nun einzeln in jedem Verfahren ggf. mit Sachverständigengutachten ermittelt werden. Außerdem schließt sich daran immer die Frage nach einer etwaigen Falschberatung an. Dies zieht die Verfahren unnötig in die Länge und dürfte damit den Druck auf die Parteien, sich auf eine Zahlsumme zu einigen, nicht unerheblich erhöhen. Allerdings besteht noch die Möglichkeit, dass die angerufenen Tatsachengerichte davon Gebrauch machen, bei der üblichen Vergütung den der absoluten Mehrheit der Versicherungsverträge zugrunde liegenden Schicksalsteilungsgrundsatz mit zu berücksichtigen. Dann dürfte sich in keinem Fall mehr ein Zahlungsanspruch des Vermittlers ergeben.

Hier wird die weitere Rechtsprechung aber abzuwarten sein.

Heiko Effelsberg, LL.M.

Rechtsanwalt

Fachanwalt für Versicherungsrecht


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