Cannabis im Eilverfahren

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Das Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen hatte im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes einen Fall zu entscheiden, in dem ein an multipler Sklerose (MS) erkrankter Antragsteller von seiner gesetzlichen Krankenkasse die Kostenübernahme für eine Therapie mit Cannabis bzw. Cannabinoiden begehrte.

Der Antragsteller hatte sich die begehrte Therapie mit Cannabisblüten zunächst für den Zeitraum von einem Jahr erstritten. Kurz vor Ablauf des Jahres beantragte der Antragsteller am 13.03.2018 erneut eine Cannabisblüten-Therapie. Die Krankenkasse beauftragte sodann den MDK mit der Erstellung eines Gutachtens. Der Gutachter kam zu dem Ergebnis, dass im Falle des Antragstellers die Gabe von Cannabis nicht angezeigt sei. Die Krankenkasse lehnte den Antrag ab.

Währenddessen hat der Antragsteller beim Sozialgericht einstweiligen Rechtsschutz beantragt. Im Eilverfahren beschrieb der Antragsteller ausführlich, welche Medikamente er bereits probiert und wie er sie vertragen hatte. 

Auch der behandelnde Arzt des Antragstellers hat einen Bericht vorgelegt, in dem er sich mit den individuellen Verhältnissen des Antragstellers ausführlich auseinandergesetzt hat. Die bisherigen Therapieversuche werden einschließlich der zu erwartenden und der jeweils eintretenden Nebenwirkungen dargestellt. Sodann wägt der Sachverständige dezidiert und differenziert mit den Vor- und Nachteilen der beantragten Cannabinoidtherapie ab.

Das Sozialgericht wies den Antrag mit der Begründung ab, es stünden ausreichende Behandlungsalternativen zur Verfügung. Der Antragsteller könne mit Sativex versorgt werden. Im Falle von akuten Schmerzen könne der Antragsteller Tilidin und Oxycodon einnehmen. Der Antragsteller legte dagegen Beschwerde ein.

Schwerwiegende Erkrankung

Das Landessozialgericht kam zu einem anderen Ergebnis. In seinem Beschluss problematisierte das Landessozialgericht den Begriff der schwerwiegenden Erkrankung. Denn der Begriff der schwerwiegenden Erkrankung ist im Gesetz nicht definiert. Also stellte das Gericht darauf ab, wie § 35c Abs. 2 S. 1 SGB V im Bereich des Off-Label-Use den Begriff der schwerwiegenden Erkrankung versteht: 

„Es muss sich daher um eine Erkrankung handeln, die sich durch ihre Schwere oder Seltenheit vom Durchschnitt der Erkrankungen abhebt und die Lebensqualität auf Dauer nachhaltig beeinträchtigt (vgl. Bundessozialgericht (BSG), Urteil vom 13.12.2016 – B 1 KR 1/16 R -; Urteil vom 08.11.2011 – B 1 KR 19/10 R -; Urteil vom 26.09.2006 – B 1 KR 14/06 R -).“ 

Das Gericht ging davon aus, dass der Antragsteller eine bei ihm vorliegende schwerwiegende Erkrankung glaubhaft gemacht hat.

Begründete Einschätzung des behandelnden Vertragsarztes 

Einen entscheidenden Stellenwert räumt das Gericht der „begründenden Einschätzung des behandelnden Vertragsarztes“ ein. Es stellt darauf ab, dass die ärztliche Einschätzung in sich schlüssig und nachvollziehbar ist und nicht im Widerspruch zum Akteninhalt im Übrigen ist und sich in wesentlichen Punkten mit den Einschätzungen des Antragstellers deckt. Die Krankenkasse hat dabei nicht zu überprüfen, ob diese begründete Einschätzung letztlich richtig ist. Dem Gesetz entsprechend hat die Krankenkasse nur zu überprüfen, ob der behandelnde Vertragsarzt überhaupt eine begründete Einschätzung abgegeben hat.

Letztlich kam das Gericht zu dem Ergebnis, dass der Antragsteller einen vorläufigen Anspruch auf die begehrte Cannabis-Therapie hat.

Annett Sterrer, LL.M. (Medical Law)

Rechtsanwältin

Fachanwältin für Familienrecht

Fachanwältin für Sozialrecht


1. Instanz
Sozialgericht Köln, Beschluss vom 18.06.2018 - S 17 KR 893/18
2. Instanz
Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen (11. Senat), Beschluss vom 30.01.2019 - L 11 KR 442/18 B ER

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