Das Unfallflucht-Dilemma

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Autofahrer, denen Unfallflucht vorgeworfen wird, stehen oft vor folgendem Problem: Aus rein versicherungsrechtlicher Sicht ist es vorteilhaft, der eigenen Haftpflichtversicherung gegenüber unverzüglich, umfassend und wahrheitsgemäß schriftlich Auskunft zu erteilen. Aus strafrechtlicher Sicht ist hingegen ausnahmsloses Schweigen geboten, um eine Verurteilung möglichst unwahrscheinlich zu machen.

Schweigen kann kosten

Schweigen gegenüber der eigenen Haftpflicht ist in den meisten Fällen mit erheblichen Kosten verbunden: Die eigene Haftpflichtversicherung will umgehend über den Unfallhergang, die Person des Fahrers etc. informiert werden – schließlich benötigt sie diese Daten binnen einer kurzen Frist, um zu entscheiden, ob der (vermeintliche) Schaden reguliert werden soll oder nicht. Der Versicherungsnehmer hat nach dem Gesetz eine Aufklärungsobliegenheit, d. h. er sollte der eigenen Haftpflichtversicherung helfen, den Sachverhalt schnellstmöglich aufzuklären, ansonsten muss diese möglicherweise zu Unrecht regulieren und kann den schweigsamen Versicherungsnehmer mit einer erhöhten Versicherungsprämie sowie einem Eigenanteil belasten.

Die schlechte Nachricht: Selbst die umfangreichste Auskunft gegenüber der eigenen Haftpflichtversicherung schützt nicht vor finanziellen Folgen, wenn diese bei der Einsicht in die Ermittlungsakte zu dem Schluss kommt, dass eine Unfallflucht vorgelegen hat. Und das ist leider gar nicht so unwahrscheinlich.

Schweigen kann helfen

Absolutes Schweigen, auch gegenüber der eigenen Versicherung, ist aber ein großer Vorteil gegenüber den Strafverfolgungsbehörden. Schließlich ist der Tatvorwurf einer Unfallflucht, mit einem erheblichen Strafmaß verbunden und kann sogar den Verlust der Fahrerlaubnis zur Folge haben. 

Zeugen dafür, dass mit dem Fahrzeug des Versicherungsnehmers ein Schaden angerichtet wurde und der Fahrer dies bemerkt haben muss, finden sich erfahrungsgemäß oft. Im ein oder anderen Fall mag dabei auch ein gewisses wohlverstandenes Eigeninteresse des „Geschädigten“ eine Rolle spielen, der angesichts eines kleinen Parkremplers plötzlich eine „völlig neue“ Delle an seinem Fahrzeug entdeckt, die „ganz unzweifelhaft“ auf den Parkrempler zurückzuführen sein muss. Wenn aber der Fahrer unbekannt ist, liegen die Chancen, strafrechtlich ungeschoren aus der Sache herauszukommen, ausgesprochen hoch. Schließlich ist es gar nicht so einfach, jemanden durch ein geschlossenes Autofenster binnen Sekunden zu erkennen. Die Polizei greift daher oft auf die Daten der Haftpflichtversicherung zurück, welche diese in der Regel auch gerne herausgibt. Existieren diese Daten nicht, hat der Fahrer gute Chancen, eine Strafe zu umgehen.

Kann die Polizei jedoch aufgrund der Versicherungs-Angaben nachweisen, dass der Fahrer zum Tatzeitpunkt am Unfallort war, wird es schwierig. Der Nachweis des Unfalls wird aufgrund regelmäßig vorhandener Zeugen erst einmal als erbracht angesehen. Dagegen kann nur mit erheblichem Aufwand vorgegangen werden, zum Beispiel mit einem selbstfinanzierten Sachverständigengutachten.

Auskunftspflicht gegenüber Haftpflichtversicherung?

Aber ist ein Versicherungsnehmer wirklich verpflichtet, der eigenen Haftpflichtversicherung gegenüber Auskunft zu erteilen? Schließlich gibt es sowohl im bürgerlichen Recht als auch im Strafrecht ein Recht zur Aussageverweigerung.

Das Kammergericht hat mit Urteil vom 7. Juli 1994, Aktenzeichen 1 Ss 175/93 (60/93) über den Fall eines Autofahrers entschieden, der allein aufgrund seiner Aussage gegenüber seiner eigenen Haftpflichtversicherung verurteilt worden war. Das Amtsgericht hatte in der 1. Instanz die Akte der Haftpflichtversicherung des Autofahrers beigezogen und darauf seine Verurteilung wegen Unfallflucht gestützt, schließlich hatte der Autofahrer gegenüber seiner eigenen Versicherung angegeben, tatsächlich gefahren zu sein. Der verurteilte Autofahrer trug im Rechtsmittelverfahren vor, die Verurteilung sei zu Unrecht erfolgt, da die Akte der Haftpflichtversicherung nicht hätte verwertet werden dürfen. Schließlich habe der Grundsatz, dass sich niemand in einem Strafverfahren selbst belasten müsse, sogar Verfassungsrang und sei sowohl in der Strafprozessordnung als auch in der Zivilprozessordnung verankert.

Aufgrund des Versicherungsvertrages sei der Autofahrer aber verpflichtet gewesen, Auskunft zu erteilen. Faktisch sei die Verpflichtung der eigenen Haftpflichtversicherung gegenüber auch eine Verpflichtung sich selbst zu belasten, wenn die Strafverfolgungsbehörden die Versicherungsakte beiziehen dürften. Ein ähnliches Beweisverwertungsverbot gäbe es auch im Asylrecht sowie im Konkursrecht.

Auskunft nicht zwingend

In letzteren Fällen existiere jedoch eine massive Zwangslage. Dies sei bei Auskünften gegenüber der eigenen Haftpflichtversicherung nicht der Fall. Faktisch riskiert der Autofahrer als Versicherungsnehmer nur eine erheblich erhöhte Eigenbeteiligung an dem verursachten Schaden – wird also in der Regel nicht wirtschaftlich ruiniert. Auch die erhöhte Versicherungsprämie führt nicht zum wirtschaftlichen Ruin. Die Entscheidung, gegenüber der Versicherung auszusagen, ist also nicht zwangsläufig. Der Autofahrer/Versicherungsnehmer kann sich frei entscheiden, ob er der eigenen Haftpflichtversicherung gegenüber aussagt oder ob er dies lässt und es bevorzugt, einen möglichst guten Schutz vor einer Strafverfolgung zu behalten.

Fazit

Ohne Akteneinsicht würde ich im Zweifel davon ausgehen, dass es hilfreich ist, bei einem Unfallflucht-Vorwurf der eigenen Versicherung gegenüber keine Einlassung zu machen, auch wenn dies finanzielle Nachteile zur Folge hat. Das muss aber im Einzelfall abgewägt werden. Es gibt sicherlich auch Umstände, in denen eine Aussage der Versicherung gegenüber sinnvoll sein kann, in der Regel ist aber nicht davon auszugehen. Die Wahrscheinlichkeit, dass erhöhte Versicherungskosten abgewendet werden können, ist bei einer Aussage der eigenen Versicherung gegenüber auf keinen Fall hundertprozentig – die Verschlechterung der eigenen Position den Strafverfolgungsbehörden gegenüber ist aber ganz erheblich.

Rechtsanwalt Ansgar Honsel


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