DER ZETTEL AN DER WINDSCHUTZSCHEIBE

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Nach einem Unfall lange warten und hoffen, dass der andere Fahrzeugführer auftaucht oder direkt die Polizei rufen? Einige behelfen sich in solchen Situationen damit, einen Zettel mit den eigenen Kontaktdaten an dem anderen Auto zu hinterlassen. Doch Vorsicht: Damit kann nicht nur unter Umständen der Tatbestand der Unfallflucht erfüllt sein. Auch die Kfz-Haftpflichtversicherung kann in solchen Fällen gegebenenfalls den gezahlten Schadensersatz von dem Versicherungsnehmer zurück verlangen. Mit einer solchen Konstellation hat sich das LG Potsdam in seinem Urteil vom 24. Mai 2022 (Az: 13 S 18/21) befasst.

Worum geht es?

Die Klägerin ist die Kfz-Haftpflichtversicherung des dort mitversicherten Beklagten. Dieser war mit dem versicherten Fahrzeug an einem Abend im März 2020 unterwegs, als es zum Zusammenstoß mit einem seitlich abgestellten Fahrzeug kam. Aufgrund des eingetretenen Schadens am Fahrzeug des Geschädigten zahlte die Klägerin insgesamt einen Betrag in Höhe von 2.344,11 €. Diesen Schadensersatz forderte sie von dem Beklagten zurück.

In den AKB der Klägerin ist geregelt, dass der Fahrer nach einem Unfall den Unfallort nicht verlassen darf, ohne alle nötigen Feststellungen – auch etwa zum Zustand des Fahrzeugführers – zu ermöglichen. Bei einem vorsätzlichen Verstoß gegen eine solche Obliegenheit kann der Versicherer den geleisteten Schadensersatz von dem Fahrer zurückverlangen. Bei grober Fahrlässigkeit kann der Schadensersatz nur anteilig zurückgefordert werden.

Der Beklagte hatte am Unfallabend nach eigenen Angaben 35 Minuten an der Unfallstelle abgewartet. Dann hinterließ er einen Zettel mit seinen Kontaktdaten und entfernte sich von der Unfallstelle, ohne die Polizei zu rufen. Als diese ihn am nächsten Tag kontaktierte, meldete er sich zeitnah zurück, beschrieb den Unfallhergang und bestätigte seine Fahrereigenschaft. Das eingeleitete Strafverfahren wegen Unfallflucht wurde von der Staatsanwaltschaft Potsdam eingestellt.

Die Klägerin führte unter anderem an, dass der Beklagte zum Unfallzeitpunkt alkoholisiert gewesen sein müsse. Durch die fehlende Feststellung des Zustands des Beklagten durch die Polizei sei sie benachteiligt. Auch habe so nicht direkt geklärt werden können, ob wirklich alle Schäden durch den Zusammenstoß entstanden seien.  

Die erstinstanzliche Entscheidung

Das Amtsgericht Potsdam hat die Klage abgewiesen. Dabei stützte es sich unter anderem darauf, dass ein Vorsatz hinsichtlich der Obliegenheitsverletzung nicht vorgetragen sei. Mit dem Hinterlassen des Zettels mit seinen Kontaktdaten habe der Fahrer alles Notwendige getan, um das Interesse der Versicherung an der vollständigen und wahrheitsgetreuen Aufklärung des Unfalls und seiner Folgen nicht zu beeinträchtigen. Es gebe auch keine konkreten Anhaltspunkte für eine (alkoholbedingte) Fahruntüchtigkeit des Fahrers zum Unfallzeitpunkt. Zudem sei dem Beklagten der Kausalitätsgegenbeweis gelungen. Sein Verhalten hätte sich nicht auf den Eintritt oder die Feststellung des Versicherungsfalls oder des Umfangs der Leistungspflicht ausgewirkt.

Abweichende Beurteilung des Landgerichts

Im Ergebnis schloss sich das LG dieser Entscheidung an. Im Gegensatz zu dem Amtsgericht sah es den Vorsatz bezüglich der Obliegenheitsverletzung jedoch als gegeben an. Der Beklagte habe billigend in Kauf genommen, dass die nötigen Feststellungen am Unfallort nicht getroffen werden können. Die Obliegenheit nach den AKB gehe dem Wortlaut nach auch weiter als die strafrechtlich sanktionierten Pflichten. Der durchschnittliche Versicherungsnehmer beziehe dies jedoch auf die „Unfallflucht“ im Sinne des § 142 StGB. Der Aufklärungspflicht genüge daher, wer die strafrechtlich erforderlichen Handlungen und Pflichten erfüllt. Die Einstellung des Ermittlungsverfahrens durch die Staatsanwaltschaft lasse aber nicht den Vorsatz entfallen oder schließe diesen aus. Bei dem Verlassen einer Unfallstelle ohne Hinzuziehen der Polizei sei grundsätzlich von einem bedingt vorsätzlichen Verletzen der Aufklärungspflicht auszugehen. Das Hinterlassen eines Zettels an der Windschutzscheibe schließe eine Strafbarkeit nach § 142 StGB auch nicht generell aus.

Kausalitätsgegenbeweis geglückt

Das LG sah aber ebenfalls den nach § 28 Abs. 3 Satz 1 VVG möglichen Kausalitätsgegenbeweis als geführt an. Das Verhalten des Beklagten hätte sich weder auf den Eintritt oder die Feststellung des Versicherungsfalls noch auf die Feststellung des Umfangs der Leistungspflicht ausgewirkt. Schließlich habe der Beklagte im Nachhinein an der Aufklärung des Unfallgeschehens mitgewirkt. Die klägerseits angeführte (hier ausgebliebene) Alkoholkontrolle werde nicht zwingend von der Polizei nach einem Unfall durchgeführt. Dafür seien vielmehr noch weitere Anhaltspunkte für eine Alkoholisierung erforderlich, die bei dem hiesigen Unfallgeschehen nicht hätten festgestellt werden können. Die Behauptung der Alkoholisierung des Beklagten sei hier ins Blaue hinein erfolgt und daher unerheblich. Eine Widerlegung durch den Beklagten habe somit nicht erfolgen müssen.

Auch bezüglich der Frage von Vorschäden hätte ein Einschalten der Polizei nicht zu einer anderen Regulierung geführt. Diese Frage werde regelmäßig erst im Nachgang durch Hinzuziehung eines Gutachters geklärt. So sei auch hier vorgegangen worden.

Ein arglistiges Handeln des Beklagten, welches die Möglichkeit des Kausalitätsgegenbeweises ausschließt, könne hier nicht festgestellt werden. Auch bei dem eindeutigen Vorliegen einer Unfallflucht gebe es keinen allgemeinen Erfahrungssatz, dass der Fahrer damit stets einen gegen die Interessen des Versicherers gerichteten Zweck verfolgt. Hier habe der Beklagte mit dem Zettel gerade verhindern wollen, dass eine Feststellung des Schadens  unmöglich wird. Auch habe er sich zeitnah bei der Polizei (zurück-)gemeldet und so weitere Feststellungen ermöglicht. Das einfache Bestreiten der Klägerin genüge nicht für eine abweichende Beurteilung.

Das Landgericht hat die Berufung daher zurückgewiesen.

Foto(s): Shutterstock.com ©AdobeStock/tunedin

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