Die Anfechtung touristischer Verträge durch Reiseveranstalter / Fluggesellschaften

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In der Vergangenheit mehren sich die Fälle, in denen Reiseveranstalter bzw. Fluggesellschaften (im Folgenden: touristische Unternehmen) Verträge mit Verbrauchern über die Erbringung von Reiseleistungen bzw. Luftbeförderungen anfechten. Zur Begründung werden unzutreffende Preise in der Vermarktung angegeben.

Wie soll der Verbraucher mit der Anfechtung von Reiseverträgen bzw. Luftbeförderungsverträgen umgehen?

Grundsätzlich gilt, dass geschlossene Verträge einzuhalten sind. Ein einseitiges Recht, sich von den vertraglichen Verpflichtungen zu lösen, ist im Bürgerlichen Gesetzbuch nicht vorgesehen. Dennoch werden nicht selten Verträge von den touristischen Unternehmen angefochten.

Die Anfechtung einer Willenserklärung ist nach dem Gesetz bei Vorliegen enger Voraussetzungen möglich. § 119 Abs. 1 BGB regelt die Anfechtbarkeit wegen Irrtums.

(1)  Wer bei der Abgabe einer Willenserklärung über deren Inhalt im Irrtum war oder eine Erklärung dieses Inhalts überhaupt nicht abgeben wollte, kann die Erklärung anfechten, wenn anzunehmen ist, dass er sie bei Kenntnis der Sachlage und bei verständiger Würdigung des Falls nicht abgegeben haben würde.

Das Anfechtungsrecht kann jedoch nicht willkürlich ausgeübt werden. Grundsätzlich muss der Erklärende die Erklärung so gegen sich gelten lassen, wie sie der Erklärungsempfänger nach Treu und Glauben unter Berücksichtigung der Verkehrssitte verstehen musste. Das gilt auch dann, wenn die Erklärung nicht dem wahren Willen des Erklärenden entspricht.

Die Anfechtung ist im Einzelfall möglich

Die Rechtsordnung kann im Interesse der Rechtssicherheit das Auseinanderfallen von Willen und Erklärung nur ausnahmsweise beachten. Der Irrtum in der Erklärungshandlung stellt einen solchen Ausnahmefall dar. Ein solcher Irrtum in der Erklärungshandlung liegt vor, wenn der äußere Erklärungstatbestand nicht dem Willen des Erklärenden entspricht. Typische Beispiele sind das Versprechen oder das Verschreiben. Bei elektronischen Erklärungen liegt im Fall fehlerhafter Bedienung oder Eingabe eines falschen Preises ein Irrtum in der Erklärungshandlung vor. Wird allerdings falsches Datenmaterial verwendet, begründet das kein Anfechtungsrecht. Die Beweislast für den Irrtum trägt der Erklärende. Die Anfechtung ist durch ausdrückliche Erklärung gegenüber dem Anfechtungsgegner geltend zu machen. Diese Erklärung muss dem Anfechtungsgegner zu gehen. Die Anfechtung muss unverzüglich nach Kenntnis von dem Anfechtungsgrund erfolgen.

Voraussetzungen der Anfechtbarkeit von Willenserklärungen

Unter Zugrundelegung dieser Grundsätze ist das Recht zur Anfechtung der Willenserklärung durch das touristische Unternehmen zu überprüfen.

  • Das touristische Unternehmen muss zunächst beweisen, dass die Erklärung in der abgegebenen Form nicht dem tatsächlichen Willen entsprach, d. h. dass bei der Eingabe des Preises in das Computersystem eine ungewollte Abweichung des gewünschten von dem veröffentlichten Preis entstanden ist.
  • Die Preisabweichung muss auf einem Verschreiben beruhen und darf nicht Folge eines Kalkulationsirrtums sein.
  • Der Reisende darf die Behauptungen des touristischen Unternehmens schlicht mit Nichtwissen bestreiten, da er keinen Einblick in die Interna des touristischen Unternehmens hat. Somit muss das touristische Unternehmen die Behauptung des Verschreibens beweisen. Hierin ist die erste Hürde zu sehen.
  • Zudem muss das touristische Unternehmen beweisen, dass die Anfechtung unverzüglich erfolgte, d. h. spätestens eine Woche nach Kenntnisnahme des Irrtums in der Erklärung.

Rechtsfolgen einer wirksamen Anfechtung

Wenn ein Rechtsgeschäft wirksam angefochten wurde, ist es von Anfang an als nichtig anzusehen (§ 142 Abs. 1 BGB).

Der Anfechtende hat seinem Vertragspartner den Schaden zu ersetzen, der im Vertrauen auf die Gültigkeit der Erklärung entstanden ist. Erstattet wird lediglich der Vertrauensschaden. Hierunter fallen beispielsweise Aufwendungen, die anlässlich der gebuchten Reise aufgewendet wurden. Dies können zum Beispiel Kosten einer für das Zielgebiet erforderlichen Impfung oder auch Kosten eines Hotels am Urlaubsort sein. Nicht erstattet werden die Mehrkosten für eine Ersatzreise. Die Schadenersatzpflicht tritt nicht ein, wenn der Vertragspartner des Anfechtenden den Grund der Anfechtbarkeit kannte oder infolge von Fahrlässigkeit nicht kannte.

Fazit

Die Überprüfung einer Anfechtung auf Rechtmäßigkeit lohnt sich in vielen Fällen. Erfolgt – wie in der Praxis oft – überhaupt keine Anfechtungserklärung oder keine fristgerechte Anfechtung, bleiben die vertraglichen Vereinbarungen bestehen. Die Beurteilung, ob dem touristischen Unternehmen das Anfechtungsrecht zur Seite steht ist daher immer auf den Einzelfall bezogen vorzunehmen. Da die Anfechtung eines Rechtsgeschäfts stets die Ausnahme vom Grundsatz, dass geschlossene Verträge einzuhalten sind, bedeutet, müssen die strengen Voraussetzungen der Wirksamkeit vom Gericht beachtet werden. Zweifel an der Wirksamkeit der Anfechtung machen sich stets zu Gunsten des Verbrauchers bemerkbar mit der Folge, dass der Vertrag zu den ursprünglich vereinbarten Bedingungen bestehen bleibt. Je eher eine Überprüfung der Rechtmäßigkeit einer erklärten Anfechtung erfolgt, desto größer sind die Gestaltungsmöglichkeiten zur Wahrung der Rechte der Verbraucher.

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