Die Beweislastverteilung bei einer krankheitsbedingten Kündigung

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Treten während der letzten Jahre jährlich mehrere (Kurz-)Erkrankungen auf, spricht dies für eine entsprechende künftige Entwicklung des Krankheitsbildes, es sei denn, die Krankheiten sind ausgeheilt.

Für die Beurteilung der Wirksamkeit einer Kündigung kommt es auf den Zeitpunkt ihres Zugangs an. Es ist aber – insbesondere, wenn dem Kündigungsgrund ein prognostisches Element innewohnt – nicht unzulässig, die spätere Entwicklung in den Blick zu nehmen, soweit sie die Prognose bestätigt.

Der Sachverhalt bei einer krankheitsbedingten Kündigung:

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer krankheitsbedingten Kündigung.

Die Klägerin ist bei der Beklagten seit 2008 als Luftsicherheitsassistentin beschäftigt. Die Klägerin war im Jahr 2015 an 53, im Jahr 2016 an 38, im Jahr 2017 an 61 und im Jahr 2018 bis zum Ausspruch der Kündigung an 31 Arbeitstagen arbeitsunfähig erkrankt. Danach war die Klägerin bis Ende 2018 noch an fünf Tagen krank.

Am 31.05.2018 fand ein Erstgespräch zum betrieblichen Eingliederungsmanagement statt. Darin erklärte die Klägerin, dass sie auf Medikamente habe eingestellt werden müssen, die sie z. T. nicht vertragen habe und welche Nebenwirkungen in Form von Migräne, Kontaktlinsenunverträglichkeit, Blutsturz sowie Depressionen verursacht hätten. Nun scheine es stabil zu werden. Den Grund der Medikamenteneinnahme legte die Klägerin im arbeitsgerichtlichen Verfahren offen.

Aufgrund der Wechseljahre kam es zu erheblichen Hormonschwankungen, die medikamentös eingestellt werden mussten. Maßnahmen zur Vermeidung weiterer Arbeitsunfähigkeitszeiten (z. B. die Befreiung vom Schichtdienst) wurden nach dem BEM nicht ergriffen.

Nach Anhörung des Betriebsrats kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 30.08.2018 ordentlich zum 31.12.2018. Das Arbeitsgericht hat der Kündigungsschutzklage der Klägerin stattgegeben. Die Berufung der Beklagten hat ebenfalls keinen Erfolg.

Die aktuelle Entscheidungsanalyse dazu:

Das Arbeitsverhältnis der Parteien ist durch die Kündigung der Beklagten vom 30.08.2018 nicht aufgelöst worden. Die Kündigung ist nicht sozial gerechtfertigt. Auf der ersten Prüfungsstufe einer krankheitsbedingten Kündigung darf der Arbeitgeber sich zunächst darauf beschränken, die Fehlzeiten der Vergangenheit darzustellen und zu behaupten, in Zukunft seien Krankheitszeiten in entsprechendem Umfang zu erwarten. Treten während der letzten Jahre jährlich mehrere (Kurz-)Erkrankungen auf, spricht dies für eine entsprechende künftige Entwicklung des Krankheitsbildes, es sei denn, die Krankheiten sind ausgeheilt (vgl. BAG, Urteil vom 01.03.2007 – 2 AZR 217/06).

Dann ist es Sache des Arbeitnehmers darzulegen, weshalb im Kündigungszeitpunkt mit einer baldigen Genesung zu rechnen war. Er genügt dieser prozessualen Mitwirkungspflicht schon dann, wenn er vorträgt, die behandelnden Ärzte hätten seine gesundheitliche Entwicklung positiv beurteilt, und wenn er diese von ihrer Schweigepflicht entbindet. Je nach Erheblichkeit des Vortrags ist es dann Sache des Arbeitgebers, den Beweis für die Berechtigung einer negativen Gesundheitsprognose zu führen.

Hier ist bereits zweifelhaft, ob die seitens der Beklagten vorgelegten Krankheitszeiten eine Negativprognose zulassen. Die Arbeitsunfähigkeitszeiten waren im Halbjahr vor Ausspruch der Kündigung deutlich rückläufig, was einer Indizwirkung entgegensteht. Die fallende Tendenz der krankheitsbedingten Fehlzeiten wird dadurch bestätigt, dass die Klägerin nach Zugang der Kündigung noch bis zum Ablauf der Kündigungsfrist bis auf wenige Tage durchgehend arbeitsfähig war.

Dies ist zwar nicht entscheidend. Für die Beurteilung der Wirksamkeit einer Kündigung kommt es auf den Zeitpunkt ihres Zugangs an. Es ist aber – insbesondere, wenn dem Kündigungsgrund ein prognostisches Element innewohnt – nicht unzulässig, die spätere Entwicklung in den Blick zu nehmen, soweit sie – wie hier – die Prognose bestätigt (vgl. BAG, Urteil vom 23.01.2014 – 2 AZR 582/13).

In diesem Fall hat die Klägerin eine Indizwirkung außerdem bereits aufgrund eigener Darstellung erschüttert. Die Einvernahme sachverständiger Zeugen oder behandelnder Ärzte war danach nicht erforderlich. Die Klägerin hat die Zusammenhänge aus ihrer Sicht und in sich schlüssig dargestellt. Danach wäre es Sache der Beklagten gewesen, den Beweis – regelmäßig durch Sachverständigengutachten – für das Vorliegen einer negativen Gesundheitsprognose zu führen. Insoweit hat die Beklagte weder erst- noch zweitinstanzlich Beweis angetreten.

Unser Praxishinweis dazu:
 
Einer negativen Prognose steht allerdings nicht entgegen, dass die Arbeitsunfähigkeitszeiten auf unterschiedlichen Erkrankungen beruhten. Selbst wenn die Krankheitsursachen verschieden sind, können sie doch auf eine allgemeine Krankheitsanfälligkeit hindeuten, die prognostisch andauert (vgl. BAG, Urteil vom 10.11.2005 – AZR 44/05). Das gilt auch dann, wenn einzelne Erkrankungen – etwa Erkältungen – ausgeheilt sind. Der Wegfall einzelner Erkrankungen stellt die generelle Anfälligkeit nicht infrage. Anders verhält es sich mit Fehlzeiten, die auf einem einmaligen Ereignis beruhen. Sie lassen eine Prognose für die zukünftige Entwicklung ebenso wenig zu wie Erkrankungen, gegen die erfolgreich besondere Therapiemaßnahmen (z. B. eine Operation) ergriffen wurden.

Wenn Sie Fragen zu dem Thema Beweislastverteilung bei krankheitsbedingter Kündigung haben, dann nehmen Sie bitte Kontakt mit mir auf.


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