Die fahrlässige Körperverletzung im Straßenverkehr

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1.

In den Wintermonaten verleiten teils milde Temperaturen dazu, die Sommerreifen seines Fahrzeugs nicht gegen Winterreifen zu tauschen. Überrascht dann ein massiver Winterreinbruch – wie im Dezember 2022 – den Straßenverkehr, kracht es reihenweise. Verursacht man mit falscher Bereifung einen Verkehrsunfall mit Personenschaden, stellt sich die Frage nach einer etwaigen Strafbarkeit.

Zwar ist der Unfall auch für den Verursacher oftmals Belastung genug, dennoch sehen die Strafverfolgungsbehörden mitunter die Notwendigkeit einer Bestrafung wegen fahrlässiger Körperverletzung. Hierbei kann zumindest aus folgendem Grund leichte Entwarnung gegeben werden: Die fahrlässige Körperverletzung ist ein relatives Antragsdelikt. Stellt der Verletzte also keinen Strafantrag und bejaht die Staatsanwaltschaft das besondere Interesse an der Strafverfolgung nicht, kann die Tat nicht verfolgt werden. Ein besonderes öffentliches Interesse wird etwa bei einschlägigen Vorstrafen, einem gravierenden Schaden oder gesteigerter Fahrlässigkeit angenommen.

2.

Der Tatbestand der fahrlässigen Körperverletzung erfordert – juristisch makaber – einen Erfolg, also die Verletzung eines anderen Menschen. Der Verletzer muss hierbei irgendwie gehandelt haben, die Handlung muss überdies die Ursache für die Verletzung sein. Das entscheidende Merkmal, der Unwert der sanktioniert werden soll, ist darüber hinaus eine Fahrlässigkeit.

Was bedeutet Fahrlässigkeit genau? Bei einem vorsätzlichen Delikt will der Täter den Erfolg, weiß dass dieser Eintreten wird, oder findet sich zumindest damit ab und nimmt ihn billigend in Kauf. Bei der Fahrlässigkeit will der Täter den Erfolg gerade nicht. Verletzt er versehentlich einen anderen Menschen ist er nur strafbar, wenn ihm – unter anderem – die Verletzung einer Sorgfaltspflicht angelastet werden kann. 

Solche Sorgfaltspflichten können Gesetze sein, vertragliche oder berufliche Pflichten, am Ende auch der schlichte Grundsatz, dass man fremde Rechtsgüter nicht verletzen soll. Unabhängig von der konkreten Sorgfaltspflicht hängen Art und Maß der anzuwendenden Sorgfalt von den Anforderungen ab, die bei objektiver Betrachtung der Gefahrenlage – im Voraus – an einen besonnenen und gewissenhaften Menschen in der konkreten Lage und sozialen Rolle des Handelnden zu stellen sind. Zu Deutsch: Hätte eine bedachte Durchschnittsperson die Gefahr erkennen und so handeln können, dass der Erfolg nicht eingetreten wäre? Interessant ist hierbei, dass der soziale Stand des Handelnden berücksichtigt wird. Eine Person mit hohem Bildungsgrad, der man zumutet weitsichtiger zu sein, wird mit Personen aus ebendiesem Kreis verglichen. Bei einer bildungsfernen Person zieht man andere Maßstäbe heran.

Eine Sorgfaltspflichtverletzung kann sich beispielsweise aus einer Verletzung des – im Winter relevanten – § 2 Abs. 3a der Straßenverkehrsordnung ergeben. Dort ist folgendes geregelt:

Der Führer eines Kraftfahrzeuges darf dies bei Glatteis, Schneeglätte, Schneematsch, Eisglätte oder Reifglätte nur fahren, wenn alle Räder mit Reifen ausgerüstet sind, die unbeschadet der allgemeinen Anforderungen an die Bereifung den Anforderungen des § 36 Absatz 4 der Straßenverkehrs-Zulassungs-Ordnung genügen.

Fährt man bei Schnee mit Sommerreifen ist eine Sorgfaltspflicht verletzt, da es jedem Kraftfahrer einleuchtet, dass Winterreifen nötig sind. Führt nun etwa ein längerer Bremsweg auf Schnee dazu, dass es zu einem Unfall mit Personenschaden kommt, liegt eine fahrlässige Körperverletzung nahe.

3.

Ist man hingegen auch strafbar, wenn – hypothetisch – derselbe Unfall auch mit Winterreifen passiert wäre? Auf den ersten Blick sind die Voraussetzungen erfüllt: Es gibt einen Erfolg (Verletzung), eine Handlung (Führen eines KFZ mit Sommerreifen) und eine Fahrlässigkeit (Sommerreifen bei Schnee entgegen § 2 Abs. 3a der StVO). Hier fehlt es jedoch an einer Ursächlichkeit. Das Fahren mit Sommerreifen war für den Unfall keine Bedingung. Im Strafrecht ist jede Handlung ursächlich, die nicht hinweggedacht werden kann, ohne das der Erfolg in seiner konkreten Gestalt entfiele. Die Benutzung von Sommerreifen kann hier jedoch weggedacht werden; der Unfall wäre auch mit Winterreifen passiert. Eine Strafbarkeit scheidet in diesem – gedachten – Fall aus. 

Das folgende, weitere Beispiel wirkt auf den ersten Blick befremdlich: Der Täter überfährt um 13:15 Uhr eine rote Ampel. Um 13:18 Uhr fährt er – auf derselben Straße – mit angepasster Geschwindigkeit, als ihm völlig unvorhersehbar ein Fußgänger vor das Fahrzeug läuft. Auch hier sind Erfolg (Verletzung), Handlung (Überfahren der roten Ampel) und Pflichtwidrigkeit (Rotlichtverstoß) gegeben. Die Pflichtwidrigkeit war – entgegen dem obigen Beispiel – auch ursächlich für den Erfolg: Hätte der Täter die rote Ampel nicht überfahren, wäre er nicht genau in dem Moment an dem Ort gewesen, an dem der Fußgänger auf die Straße lief. Der Rotlichtverstoß kann hier für den Unfall nicht weggedacht werden. Dennoch bleibt ein Störgefühl.

Diese Problematik wird durch eine weitere Voraussetzung der Strafbarkeit gelöst, nämlich den Pflichtwidrigkeitszusammenhang: Dieser setzt voraus, dass sich die mit der Fahrlässigkeit gesetzte Gefahr im Erfolg verwirklicht. Kurz: Wurde der Erfolg durch die spezifische Gefahr der Fahrlässigkeit herbeigeführt? In diesem Fall nicht. Die Pflichtwidrigkeit des Täters betraf das Überfahren der roten Ampel. Die hierin liegende Gefahr ist, dass ordnungsgemäß kreuzende Fußgänger erfasst werden können. Die Gefahr des Rotlichtverstoßes ist hingegen nicht, dass man dadurch schneller an einem anderen Ort ist und dort – zufällig – einen Fußgänger erfasst. Auch in diesem Falle wäre keine Strafbarkeit gegeben.

4.

Die Beispielfälle zeigen, dass die Fahrlässigkeitsstrafbarkeit im Verkehr eine akribische Prüfung der Tatbestandsmerkmale und ihrer Zusammenhänge erfordert. Die zumeist im Strafbefehlsverfahren verhängten Geldstrafen lassen dies mitunter vermissen, obwohl gerade bei der Fahrlässigkeit stets zu beachten ist, dass die strafrechtliche Sanktionierung das schärfste Schwert des Staates gegenüber seinem Bürger ist.

Wird Ihnen ein solcher Vorwurf gemacht, ist es dringend notwendig die Hilfe eines Rechtsanwalts in Anspruch zu nehmen. Hierbei kann bereits im Ermittlungsverfahren Einfluss auf den Verfahrensgang genommen werden um sicherzustellen, dass das bestmögliche Ergebnis erzielt wird. Es wird dem Usus entgegengetreten, den Beschuldigten mit einer schnellen Strafe zu überrollen, die in manchen Fällen falsch, oftmals zumindest nicht nötig ist.


Rechtstipp aus den Rechtsgebieten

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