Die Kündigung durch den Arbeitgeber im Kleinbetrieb

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Ich möchte im Folgenden auf ein Rechtsproblem aufmerksam machen, dass mich in den letzten Monaten im Rahmen meiner arbeitsrechtlichen Fallbearbeitung immer wieder beschäftigt hat: Die Kündigung eines Arbeitnehmers im sogenannten Kleinbetrieb.

Viele Arbeitnehmer, aber auch zahlreiche Arbeitgeber wissen nicht, dass der Arbeitgeber, der einen Kleinbetrieb unterhält, nicht gehalten ist, eine Kündigung sozial zu rechtfertigen. Denn das Kündigungsschutzgesetz findet im Kleinbetrieb keine Anwendung.

Für den betroffenen Arbeitnehmer bedeutet dies, dass er sich gegen eine Kündigung nur sehr schwer zur Wehr setzen kann, während der Arbeitgeber Personaldispositionen schnell und effizient umzusetzen vermag.

Wann aber wird dem Arbeitnehmer der Schutz des Kündigungsschutzgesetzes versagt? Hat dieser Ausschluss aus dem Schutzbereich des Gesetzes eine schrankenlose Kündigungsmöglichkeit des Arbeitgebers zur Folge? Und ist diese Diskriminierung der Arbeitnehmer, die in einem Kleinbetrieb beschäftigt sind gegenüber denjenigen, die nicht in einem Kleinbetrieb arbeiten, überhaupt gerechtfertigt? Diesen Fragen möchte ich im Folgenden nachgehen.

1. Der Kleinbetrieb

Grundsätzlich muss ein Arbeitgeber eine beabsichtige Kündigung eines Arbeitnehmers nach der Vorschrift des § 1 KSchG auf personenbedingte, verhaltensbedingte oder betriebsbedingte Gründe stützen. An den jeweiligen Kündigungsgrund werden von der Rechtsprechung sehr hohe Anforderungen gestellt. Nach der Vorschrift des § 23 Abs. 1 KSchG jedoch findet die Vorschrift des § 1 KSchG nur Anwendung, wenn in einem Betrieb mehr als 10 Arbeitnehmer beschäftigt sind. Im Umkehrschluss bedeutet das, dass eine Kündigung nicht sozial zu rechtfertigen ist, wenn weniger als 10 Arbeitnehmer im Betrieb vorhanden sind.

Bei der Festlegung der Anzahl der Arbeitnehmer eines Betriebes ist zu beachten:

a.) Auszubildende zählen nicht zu den Arbeitnehmern eines Betriebes, sie bleiben bei der Berechnung außer Betracht;

b.) Teilzeitbeschäftigte Arbeitnehmer sind mit einer regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit von nicht mehr als 20 Stunden mit 0,5 und nicht mehr als 30 Stunden mit 0,75 zu berücksichtigen; 

Schon eine Arbeitnehmeranzahl von 10,5 kann also den Kündigungsschutz auslösen. 

c.) Bei der Berechnung der Betriebsgröße sind – so die neuste Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichtes (Urteil vom 24. Januar 2013 - 2 AZR 140/12) – auch im Betrieb beschäftigte Leiharbeitnehmer zu berücksichtigen, wenn ihr Einsatz auf einem „in der Regel“ vorhandenen Personalbedarf beruhe. Dies gebiete eine an Sinn und Zweck orientierte Auslegung der gesetzlichen Bestimmung.

d.) Eine wichtige und immer zu beachtende Ausnahme gilt für Alt-Arbeitnehmer, die schon vor dem 1.1.2004 im Betriebe angestellt waren. Hier findet noch die damals geltende Anzahl von mehr als fünf Arbeitnehmern Anwendung. Voraussetzung ist jedoch, dass der gekündigte Arbeitnehmer vor dem 1.1. 2004 Kündigungsschutz besaß (also zu diesem Zeitpunkt mehr als 5 Arbeitnehmer vorhanden waren) und auch zum Zeitpunkt der Kündigung noch besitzt. Es müssen deshalb im Zeitpunkt der Kündigung ebenfalls mehr als 5 Arbeitnehmer im Betrieb beschäftigt sein, die gemeinsam vor dem 1.1.2004 Kündigungsschutz genossen haben. Die entsprechende Vorschrift des § 23 Abs.1 KSchG ist für den Laien nur sehr schwer zu verstehen. Ich möchte sie an einem Beispiel verdeutlichen: 

A, B, C, D, E und F sind alle seit dem Jahre 2000 in einem Betrieb beschäftigt. Im Jahre 2008 verlässt F den Betrieb, G wird neu eingestellt. 2014 wird A gekündigt. Hat er Kündigungsschutz?

Da A vor dem 1.1.2004 eingestellt worden ist, trifft auf ihn die Altarbeitnehmer-Klausel des § 23 Abs.1 Satz 3 KSchG zu. Am 1.1.2004 waren mit A mehr als 5 Arbeitnehmer beschäftigt. Zu diesem Zeitpunkt hatte A mithin Kündigungsschutz. Im Zeitpunkt des Zuganges der Kündigung waren ebenfalls mehr als 5 Arbeitnehmer vorhanden, jedoch hatte ein Altarbeitnehmer den Betrieb verlassen und war durch einen Neuarbeitnehmer ersetzt worden. Damit haben alle Altarbeitnehmer den Kündigungsschutz verloren. Denn eine Neueinstellung ist nach § 23 Abs.1 Satz 2 KSchG bei der Feststellung der Beschäftigtenanzahl im Hinblick auf die Altarbeitnehmer nicht zu berücksichtigen ist. A kann ohne soziale Rechtfertigung gekündigt werden. Wenn alle Altarbeitnehmer im Zeitpunkt der Kündigung noch im Betriebe beschäftigt gewesen wären, hätte A Kündigungsschutz gehabt. Der neu eingestellte G hat in keinem Fall Kündigungsschutz, auf ihn trifft die Altarbeitnehmerregel nicht zu. Er benötigt insgesamt 10 Arbeitnehmer, um dem Kündigungsschutz zu unterfallen. 

In der anwaltlichen Beratungspraxis ist an Hand der obigen Ausführungen exakt zu ermitteln, ob ein gekündigter Arbeitnehmer der Kleinbetriebsklausel unterfällt.

Doch ist der betroffene Arbeitnehmer im Kleinbetrieb der Willkür des Arbeitgebers ausgesetzt, nur weil das Kündigungsschutzgesetz keine Anwendung findet?

2. Schrankenlose Ausübung des Kündigungsrechtes?

Auch im Kleinbetrieb ist es dem Arbeitgeber jedoch verwehrt, willkürliche Kündigungen auszusprechen. Wo die Bestimmungen des Kündigungsschutzgesetzes nicht greifen, sind die Arbeitnehmer durch die Generalklauseln des Zivilrechtes vor einer sitten-oder treuwidrigen Ausübung des Kündigungsrechtes geschützt. Im Rahmen dieser Generalklauseln ist auch der objektive Gehalt der Grundrechte zu beachten. Das Bundesverfassungsgericht leitet aus Art.12 Abs.1 GG einen verfassungsrechtlich verbürgten Mindestschutz des Arbeitnehmers vor willkürlichen oder auf sachfremden Erwägungen beruhenden Kündigungen ab. Insbesondere ist nach dieser Rechtsprechung bei der Auswahl des zu kündigenden Arbeitnehmers bei betriebsbedingten Kündigungen vom Arbeitgeber ein gewisses Maß an sozialer Rücksichtnahme zu fordern. Immer ist jedoch zu beachten: Die Herausnahme des Kleinbetriebes aus dem Geltungsbereich des Kündigungsschutzgesetzes trägt den gewichtigen Belangen des Arbeitgebers Rechnung, dessen Kündigungsrecht in hohem Maße schutzwürdig ist. Nur wenn der gekündigte Arbeitnehmer darlegt, dass er unter Berücksichtigung sozialer Gesichtspunkte ganz erheblich schutzwürdiger als ein evident vergleichbarer weiterbeschäftigter Arbeitnehmer ist, spricht einiges dafür, dass der Arbeitgeber bei seiner Entscheidung das verfassungsrechtlich gebotene Mindestmaß an sozialer Rücksichtnahme außer Acht gelassen hat. Hier muss der Arbeitgeber einen einleuchtenden Grund für seine Auswahlentscheidung vortragen. Und dieser kann auch in einer nachvollziehbaren persönlichen Motivation des Arbeitgebers beruhen.

So ist als „einleuchtender Grund“ beispielsweise anerkannt: Nach Meinung des Arbeitgebers „ungepflegtes“ Erscheinungsbild des Arbeitnehmers ( Kündigung während der Probezeit), fehlendes Vertrauensverhältnis zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber.

Die obigen Ausführungen zeigen deutlich: Der Arbeitnehmer im Kleinbetrieb hat nur sehr eingeschränkte Möglichkeiten, sich gegen die Kündigung des Arbeitgebers zur Wehr zu setzen.

Welche Gründe sprechen nun dafür, den Kleinbetrieb aus dem Anwendungsbereich des Kündigungsschutzgesetzes auszunehmen und die Arbeitnehmer diesem schutzlosen Raum auszusetzen? Eine Frage, die viele meiner Mandanten interessiert.

3. Verfassungsrechtliche Rechtfertigung der Kleinbetriebsklausel

Das Fehlen des allgemeinen Kündigungsschutzes trifft die Arbeitnehmer im Kleinbetrieb hart. Ein erheblicher Teil des Handwerks, des Einzelhandels, des bäuerlichen Betriebs und der Betriebe von Angehörigen freier Berufe sind aus dem Kündigungsschutz herausgenommen. Nach einer Untersuchung in den 70er Jahren waren davon rund 1,8 Arbeitnehmer betroffen.

Der Gesetzgeber hat bei seiner Entscheidung für die Kleinbetriebsklausel die gegenseitigen Interessen der Arbeitnehmer und Arbeitgeber in die Waagschale geworfen: Auf der einen Seite ist zu bedenken, dass der Arbeitsplatz die wirtschaftliche Existenzgrundlage für den Arbeitnehmer und seine Familie darstellt. Lebenszuschnitt und Wohnumfeld werden durch ihn ebenso bestimmt wie gesellschaftliche Stellung und Lebensumfeld. Mit dem Verlust des Arbeitsplatzes werden alle diese Umstände in Frage gestellt. Ob ein neuer lebenserhaltender Arbeitsplatz gefunden werden kann ist fraglich und hängt vom Arbeitsmarkt ab. Besonders für ältere Arbeitnehmer bedeutet das Ende eines Arbeitsverhältnisses einen außergewöhnlichen Lebenseinschnitt. Oft geraten sie in eine schwere Krise, sowohl finanzieller als auch psychischer Art.

Auf der anderen Seite ist der Kleinunternehmer auf ein flexibles Kündigungsrecht angewiesen. In einem Kleinbetrieb hängt der Geschäftserfolg von jedem einzelnen Arbeitnehmer ab. Die Persönlichkeit jedes Arbeitnehmers hat Auswirkungen auf das Betriebsklima und damit auf den Erfolg. Der Unternehmer arbeitet als Chef häufig mit, mithin ist ein funktionierendes Vertrauensverhältnis entscheidend für eine gedeihliche Zusammenarbeit. Darüber hinaus können sich Kleinbetriebe häufig der fehlenden Finanzdecke wegen hohe Abfindungszahlungen nicht leisten.

Der Gesetzgeber hat sich zugunsten der Kleinunternehmer entschieden und ihre Interessen als höherranging bewertet.

Diese Entscheidung ist durch das Bundesverfassungsgericht bestätigt worden. Es hält die Kleinbetriebsklausel mit Art. 12 GG vereinbar. In seinem Beschluss vom 27. Januar 1998 -1 BvL 15/87- führt es aus, dass der Gesetzgeber seiner aus Art. 12 GG folgenden Schutzpflicht genügt und die gegeneinander stehenden Interessen angemessen berücksichtigt hat. Denn die betroffenen Arbeitnehmer seien ausreichend durch die zivilrechtlichen Generalklauseln geschützt. Damit sei der verfassungsrechtlich gebotene Mindestschutz des Arbeitsplatzes vor Verlust durch private Disposition in jedem Fall gewährleistet. Der Schutz dürfe jedoch in keinem Fall dazu führen, dass dem Kleinunternehmer praktisch die im Kündigungsschutzgesetz vorgegebenen Maßstäbe der Sozialwidrigkeit auferlegt werden. 

In der anwaltlichen Beratungspraxis geht es mithin in erster Linie darum, festzustellen, ob die erforderliche Arbeitnehmeranzahl, die den Kündigungsschutz auslöst, vorhanden ist. Dies ist auf den ersten Blick nicht immer einfach zu beantworten. Oftmals muss der Arbeitnehmer nachweisen, dass es sich bei den im Betriebe beschäftigten Personen tatsächlich um Arbeitnehmer handelt, da der Arbeitgeber dies bestreitet und behauptet, es seien lediglich freiberuflich Tätige oder Personen, die aus Gefälligkeit für ihn Arbeiten ausführen. Hier stellt sich die Frage, wem die Beweislast obliegt, also die Pflicht, eine Tatsache durch ein Beweismittel nachzuweisen. Grundsätzlich hat der Arbeitnehmer die Pflicht die kündigungsschutzbegründenden Tatsachen darzulegen und zu beweisen. Wie weit aber muss ihm der Arbeitgeber, der allein über die Interna seines Betriebes weiß, hier entgegenkommen? Diesem Thema der sogenannten abgestuften Beweislast werde ich mich in Anlehnung an ein gerade vor dem Arbeitsgericht Wuppertal anhängiges Verfahren in meinem nächsten Rechtsbrief widmen. 

Susanne Thomas

Rechtsanwältin

Langenfeld, den 31. Dezember 2014


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