Die Leistungsbeantragung und Bearbeitungsdauer in der Berufsunfähigkeitsversicherung

  • 10 Minuten Lesezeit

Die Problematik der Dauer der Leistungsprüfung durch einen Versicherer besteht spartenübergreifend. Bei einer Berufsunfähigkeitsversicherung sind Verzögerungen aber besonders misslich, weil die Leistungen aus der BU-Versicherung in der Regel gerade das aufgrund einer Erkrankung weggefallene Erwerbseinkommen kompensieren und damit die Existenz sichern sollen. Wie läuft eine solche Leistungsbeantragung ab und sind die Versicherer verpflichtet, innerhalb einer bestimmten Frist zu entscheiden?


Gesetzliche Regelungen hierzu existieren so gut wie nicht. Mit § 14 VVG gibt es bei auf Geldleistungen gerichteten Versicherungen zwar eine Vorschrift. Danach wird die Versicherungsleistung in dem Moment fällig, in welchem der Versicherer seine Erhebungen zur Feststellung des Versicherungsfalles und dessen Umfangs beendet hat. Wie viel Zeit sich der Versicherer für diese Erhebung nehmen darf, regelt § 14 VVG aber nicht. Insbesondere wird dem Versicherer auch keine Frist vorgegeben, innerhalb welcher er seine Prüfung abzuschließen hat.


Auch Vorschüsse sind gemäß § 14 Abs. 2 VVG nur dann zu leisten, wenn feststeht, dass überhaupt eine Leistungspflicht des Versicherers besteht. Diese Regelung hat also nur dann Bedeutung, wenn allein der Umfang der Leistungen noch unklar ist. In der Berufsunfähigkeitsversicherung ist der Umfang der Leistungen aber klar definiert, weil es sich um eine Summenversicherung handelt. In der Regel ist somit immer streitig, ob der Versicherer überhaupt zahlen muss. Anders kann es im Ausnahmefall nur dann sein, wenn es darum geht, wie lange auch für die Vergangenheit gezahlt werden muss.


Zum Teil enthalten die Versicherungsbedingungen zur Prüfungsdauer Konkretisierungen. Allerdings geht es hier auch nur darum, innerhalb welcher Frist der Versicherer nach Abschluss seiner Ermittlungen eine Entscheidung treffen muss. Für den Beginn dieser Frist verweisen die Versicherungsbedingungen dabei auf den Erhalt aller notwendigen Unterlagen. Nach dem Verständnis der Versicherer gehört zu diesen Unterlagen auch die Vorlage eines im Auftrag und durch den Versicherer eingeholten medizinischen Gutachtens. Auf dessen Erstellung hat der Versicherte aber keinen Einfluss. Gerade die Erstellung solcher Gutachten benötigt viele Monate und häufig mehr als ein halbes Jahr.


Nach der Rechtsprechung wird den Versicherern eine (kurze) Überlegens- und Entscheidungsfrist zugestanden. Diese wird man in der Regel mit 2 bis maximal 3 Wochen zu bemessen haben. Aber auch diese beginnt erst dann, wenn alle Informationen, die zur Entscheidung notwendig sind, dem Versicherer vorliegen.


Der Ablauf der Leistungsbeantragung aus einer Berufsunfähigkeitsversicherung stellt sich praktisch so dar, dass nach erster Information des Versicherers über den Eintritt des Versicherungsfalls von diesem ein üblicherweise recht umfangreiches Leistungsantragsformular übermittelt wird. In diesem sind durch den Versicherten ausführliche Angaben zu seinem Gesundheitszustand und den Behandlungen zu machen, häufig auch kombiniert mit der Frage, seit wann er von einer bedingungsgemäßen Berufsunfähigkeit ausgeht. Im Übrigen werden sein Ausbildungsstand und der berufliche Werdegang abgefragt. Wesentlichen Raum nimmt die Schilderung des zuletzt, also vor Eintritt des Versicherungsfalls, ausgeübten Berufs ein. Hierbei wird eine stundenplanartige Darstellung der beruflichen Tätigkeit verlangt, bei der auch zwischen den Einzeltätigkeiten zu unterscheiden ist. Letztlich werden Einkünfte und auch andere Versicherungsverhältnisse erfragt. Die Leistungsprüfung wird ferner immer öfter nicht durch den Versicherer selbst durchgeführt, sondern auf externe Unternehmen verlagert wird, die sich auf solche Bewertungen spezialisiert haben.


Bereits die Beantwortung dieser Fragen und das Zusammenstellen der erbetenen Unterlagen ist nicht nur zeitlich äußerst aufwändig. Für die, häufig durch die Erkrankung aber auch die damit verbundenen Existenzängste stark psychisch belasteten Antragsteller, ist das Ausfüllen des Antrags und das Zusammenstellen der Nachweise nicht bewältigbar. Nicht wenige scheitern daran oder müssen bereits im Rahmen dieser Leistungsbeantragung Hilfe Dritter in Anspruch nehmen. Angesichts des Umstandes, dass eine Vielzahl der Anträge auf Leistung wegen Berufsunfähigkeit auf psychischen Erkrankungen basiert, kann dies auch nicht verwundern.


Auch bei Begleitung und professioneller Vertretung kommt es häufig gleichwohl zu Nachfragen durch den Versicherer, der ergänzende Angaben anfordert. Mitunter werden auch persönliche Besprechungen erbeten. Diese gelten in der Regel dann vor allem der Klärung des Inhalts der maßgeblichen beruflichen Tätigkeit.


Im nächsten Schritt werden üblicherweise ergänzende Auskünfte von Dritten erbeten. Hierbei handelt es sich in der Regel um die Auskünfte der behandelnden Ärzte. Seltener werden bei Angestellten Auskünfte des Arbeitgebers, meist zur Arbeitszeit und der Tätigkeit, angefordert. Die Anforderung soll nach den Vorstellungen vieler Versicherers durch diese selbst und direkt bei den Dritten erfolgen. Die entsprechenden Einwilligungserklärungen werden in den meisten Fällen bereits mit dem Antragsformular übersandt. Der Versicherer muss es aber aufgrund der Rechtslage, insbesondere der verfassungsrechtlichen Rechtsprechung, den Versicherten ermöglichen, die Auskünfte selbst zu beschaffen und an den Versicherer zu übermitteln.


Dieser Weg erscheint aus Versicherten Sicht vorzugswürdig. Er mag zwar mit einer Verzögerung der Prüfung einhergehen. Die Versicherten behalten so aber die Kontrolle über die erteilten Auskünfte. Sinnvoll ist es dabei, nicht nur die entsprechende Anfrage an den Dritten zu übermitteln, sondern sich auch die Antworten von diesem geben zu lassen und selbst an den Versicherer weiterzuleiten. Dies ermöglicht es, eventuelle Fehler oder Lücken zu korrigieren, bevor die Auskünfte den Versicherer erreichen. Es mag nicht die Regel sein, kommt aber immer wieder vor, dass Daten auch bei ärztlichen Auskünften nicht richtig oder vollständig sind. Dies führt im besten Fall nur zu Nachfragen des Versicherers und einer Verzögerung. Im schlimmsten Fall können sich daraus aber schwerwiegende Gefährdungen für den Bestand des Versicherungsverhältnisses ergeben, etwa wenn wegen einer unrichtigen Auskunft der Vorwurf der Verletzung einer vorvertraglichen Anzeigepflicht erhoben wird.


Darüber hinaus sind immer wieder Fälle bekannt, in welchen die Versicherer direkt angeforderte Auskünfte nicht an den Versicherten weiterleiten. Dies wird dann damit begründet, dass der Behandler (angeblich) die Weitergabe untersagt hätte. Auch wenn durch die Rechtsprechung geklärt ist, dass der Versicherer verpflichtet ist, entsprechende Auskünfte an den Versicherten weiterzuleiten, ist der Leidtragende zunächst einmal der Versicherte, der einen entsprechenden Auskunftsanspruch gegenüber dem Versicherer oder dem Arzt gegebenenfalls auch gerichtlich durchsetzen muss. Auch deshalb sollten Versicherungsnehmer die Informationshoheit nie aus der Hand geben.


Erfreulicherweise haben einige Versicherungsunternehmen mittlerweile generell auf die Informationsbeschaffung durch die Versicherten selbst umgestellt.


Losgelöst von der Frage, von welcher Seite auch die Anforderung erfolgt, ist mitunter die Mitarbeit der um Auskunft Gebetenen unbefriedigend. Das betrifft insbesondere Ärzte und Psychotherapeuten. Selten verweigern diese zwar die Auskunft vollständig. Zur Herausgabe von Kopien der Patientenakten besteht zudem eine gesetzliche Pflicht. Häufig anzutreffen ist aber, dass die Beantwortung der Fragen des Versicherers erst nach Wochen und zum Teil auch erst nach mehrfachen Erinnerungen erfolgt und mitunter von einer (höheren) Vergütung abhängig gemacht wird. Manche Behandler lehnen es auch generell ab, Fragen eines Versicherers zu beantworten, zumindest, wenn sie um eine Bewertung des Grades der Berufsunfähigkeit ersuchen.


Immer wieder kommt es auch vor, dass sich die Ärzte zur Beantwortung der gestellten Fragen nicht in der Lage sehen. Das ist dann der Fall, wenn es über eine rein medizinische Bewertung hinausgeht, etwa wenn die Leistungsfähigkeit im zuletzt ausgeübten Beruf dargelegt werden soll. Es handelt sich hierbei nämlich nicht um eine Bewertung, die allein auf Basis medizinischer Kenntnisse erfolgen könnte.


Selbst wenn die erbetenen Auskünfte vollumfänglich und ergiebig erfolgen, resultiert daraus keine Bindungswirkung für die Versicherer. Neben der internen Bewertung, die nicht immer durch Mediziner erfolgt, steht dann die Einholung eines im Auftrag des Versicherers erstellten medizinischen Gutachtens im Raum. Dieses geht häufig mit der persönlichen Untersuchung des Versicherten einher. Gerade im Bereich der psychischen Erkrankungen ist eine derartige psychiatrische Untersuchung obligatorisch. Sie wir mit einer psychologischen Zusatzuntersuchung gekoppelt, bei der die kognitive Leistungsfähigkeit getestet wird. Diese Tests haben auch zum Gegenstand, mögliche Aggravation oder Simulation aufzudecken.


Den Versicherer stehen zur Einholung entsprechender Gutachten verschiedene Möglichkeiten zur Verfügung. Es lassen sich hier in der Regel drei Gruppen unterscheiden. Das eine ist die Begutachtung durch Gutachteninstitute, das zweite sind zumeist emeritierte Professoren und zuletzt die Untersuchung durch niedergelassene Ärzte, die meistens noch mit eigener Praxis auch behandelnd tätig sind.


Während die Gutachteninstitute eine zügige Terminvergabe und Erstellung des Gutachtens versprechen, haben diese häufig ein schlechtes Image. Insbesondere von Versichertenseite wird – durchaus nicht zu Unrecht – befürchtet, dass sich die Gutachteninstitute im Lager ihrer Auftraggeber – also dem Versicherungsunternehmen – sehen und die Ergebnisse entsprechend ausfallen. Darüber hinaus sind die Gutachten zum Teil qualitativ unzureichend.

Die Einschaltung (emeritierter) Professoren garantiert meist einen hohen Standard. Kritisch sind hier die langen Bearbeitungszeiten zu sehen, die nicht selten auch nach Durchführung eines Gutachtentermins noch mehrere Monate betragen können. Für den Versicherten, der zur Bestreitung seines Lebensunterhalts auf die zügige Bewilligung einer BU-Rente angewiesen ist, ist dies ein nicht hinzunehmender Zustand.


Bei den niedergelassenen Ärzten sind ebenfalls die langen Bearbeitungszeiten zu bemängeln. Aufgrund des häufig parallel geführten Praxisbetriebs muss der Versicherte in der Regel bereits lange auf einen Untersuchungstermin warten. Die Fertigstellung des Gutachtens nimmt dann ebenfalls nochmals geraume Zeit in Anspruch, sodass insgesamt mit einer monatelangen Wartezeit zu rechnen ist.


Der Versicherer ist verpflichtet, die Prüfung sachgerecht und zügig durchzuführen. Kommt er dem nicht nach, so tritt Fälligkeit in dem Moment ein, in dem bei entsprechender Prüfung eine (positive) Entscheidung möglich gewesen wäre.


Sollte der Versicherer (schuldhaft) die Prüfung nicht innerhalb einer angemessenen Zeitspanne abschließen können, gerät er dadurch in Verzug, jedenfalls, wenn er auf eine Mahnung gemäß § 286 BGB nicht leistet. Die Folgen des Verzuges treffen den Versicherer aber nicht sonderlich schwer. Gemäß § 288 BGB sind auf die Leistung Verzugszinsen zu zahlen. Da es sich bei den Gläubigern in der BU-Versicherung regelmäßig um Verbraucher handelt, liegt der Verzugszinsensatz bei 5-Prozentpunkten über dem Basiszinssatz.


In der Praxis ist zu erkennen, dass die Versicherer den Verzug aber nicht fürchten, da die praktische Konsequenz allein eine Verzinsungspflicht ist. Dass bei erfolgter Leistungsgewährung der Versicherte dann noch eine Klage auf diese Verzugszinsen erhebt, ist sehr unwahrscheinlich, weil der Kostenaufwand in keinem Verhältnis zu, erzielbaren Erfolg steht.


Neben dem Verzug und der damit einhergehenden Verzinsungspflicht stellt sich aber die Frage, ob die nichtsachgerechte Bearbeitung des Antrages in einer Anerkenntnisfiktion münden kann. Derartige Fiktionen sind von der Rechtsprechung für andere Konstellationen bereits angenommen worden. So geht etwa das Landgericht Berlin (Urteil vom 18.08.2021 – 23 O 180/17) davon aus, dass zu den notwendigen Erhebungen alle Maßnahmen gehören, die ein durchschnittlich sorgfältiger Versicherer des entsprechenden Versicherungszweiges anstellen muss, um das Bestehen und den Umfang seiner Leistungspflicht abschließend zu ermitteln. Da aus Sicht des Gerichts die vorgelegten Unterlagen ausgereicht haben, um eine abschließende Entscheidung zu treffen, war der Anspruch gemäß § 14 Abs. 1 VVG fällig, obwohl der dort verklagte Versicherer sich zu einer Bewertung (noch) nicht in der Lage sah.


Für den Versicherten stellt sich die Frage, wie er auf eine Nichtentscheidung durch den Versicherer reagieren soll. Es bleibt die Möglichkeit einer Klage vor Gericht. Hier bestehen in der Praxis aber zwei Probleme. Zum einen dauern die dortigen Verfahren recht lange (mehrere Jahre). Zum anderen ist es für den Versicherten mit erheblichen Unsicherheiten behaftet, wenn er vorträgt, dass die bereits vorgelegten oder eingeholten Informationen dem Versicherer eine Entscheidung ermöglichen würden. Sollte das Gericht diese Ansicht nämlich nicht teilen und dem Versicherer die Einholung weiterer Informationen oder Gutachten zugestehen, droht eine Abweisung der Klage als derzeit unbegründet.


Ein anderer Weg ist eine Beschwerde bei der zuständigen Aufsichtsbehörde für die privaten Versicherer, die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin). Die Versicherer sind gehalten, den personellen als auch organisatorischen Ablauf eines ordnungsgemäßen Betriebs sicherzustellen. Dazu gehört es auch, eine Prüfung und Entscheidung innerhalb angemessener Zeit durchzuführen. Die Beschwerde hat aber die Konsequenz, dass der Versicherer Rechenschaft gegenüber der Aufsichtsbehörde leisten muss. Dies kann im Einzelfall zu einer beschleunigten Bearbeitung führen. Für die generelle Problematik stellt ein derartiges Vorgehen jedoch keine Lösung dar.


Damit bleibt somit die Notwendigkeit, dass der Gesetzgeber eine Regelung schafft. Hier sind verschiedene Varianten denkbar. So wäre eine gesetzliche Fristenregelung sinnvoll. Danach müsste der Versicherer innerhalb einer bestimmten Zeit über den Anspruch entschieden haben. Innerhalb dieser Frist hätte der Versicherer auch dafür zu sorgen, dass in seinem Auftrag zu erstellende Gutachten vorliegen. Bei Verstreichen der Frist könnte eine Anerkenntnisfiktion angenommen werden, von der sich der Versicherer nur dann lösen kann, wenn er nachweist, dass die Verzögerung nicht seiner Verantwortungssphäre zuzurechnen ist. Das wäre etwa dann der Fall, wenn der Versicherte trotz entsprechender Aufforderung nicht ausreichend mitwirkt, etwa Unterlagen nicht vorlegt. Aber auch hier besteht nach dem Gesetz und den Versicherungsmöglichkeiten für den Versicherer bereits hinreichende Sanktionsmöglichkeiten. So bestimmen auch heute schon die Versicherungsbedingungen, dass der Versicherer so lange nicht zur Leistung verpflichtet ist, wie der Versicherte seiner Mitwirkungspflicht nicht nachkommt. Eine vermittelnde Lösung könnte darin liegen, dass anstelle eines unbeschränkten Anerkenntnisses der Versicherer zu einem befristeten Anerkenntnis gezwungen ist oder aber eine Kulanzzahlung, etwa über einen Zeitraum von sechs Monaten, zu leisten hat. Ist nach Ablauf dieser sechs Monate immer noch keine Entscheidung getroffen, müsste dann eine Anerkenntnisfiktion angenommen werden.


Dass es zu einer solchen gesetzgeberischen Regelung kommt, ist derzeit leider nicht zu erwarten. Trotz immer wieder und vielfach vorgetragener Beschwerden ist nicht zu erkennen, dass es auf absehbare Zeit zu einer Besserstellung der Versicherten käme.

Um dieses Video anzuzeigen, lassen Sie bitte die Verwendung von Cookies zu.


Rechtstipp aus dem Rechtsgebiet

Artikel teilen:


Sie haben Fragen? Jetzt Kontakt aufnehmen!

Weitere Rechtstipps von Rechtsanwalt Dr. Alexander T. Schäfer

Beiträge zum Thema