Die „Vertragsrüge“ – neues arbeitsrechtliches Sanktionsinstrument?

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Das Landesarbeitsgericht Hamburg hatte vor Kurzem die Frage zu entscheiden, ob der Arbeitgeber, der eine „Vertragsrüge“ erteilt, noch aus demselben Grund kündigen darf. Im Ergebnis verneint das LAG Hamburg diese Frage. Die Vertragsrüge beinhalte gleichzeitig den Verzicht darauf, aus demselben Grund kündigen zu können.

Was steckt dahinter?

Der Arbeitgeber kann, muss aber nicht, auf Verstöße gegen arbeitsvertragliche Pflichtverletzungen mit einer „Abmahnung“ reagieren. Spricht er dem Arbeitnehmer eine Abmahnung aus, zeigt er also dem Arbeitnehmer den gerügten Verstoß gegen arbeitsvertragliche Verpflichtungen auf und verbindet dies mit der Aufforderung, sich künftig vertragsgemäß zu verhalten und der Androhung, für einen weiteren, gleichartigen Verstoß werden weitere arbeitsrechtliche Maßnahmen bis hin zur Kündigung erfolgen, reagiert der Arbeitgeber also mit einer „Abmahnung“, dann ist nach überwiegender Rechtsprechung und Auffassung des Schrifttums der Vertragsverstoß „verbraucht“ und kann damit als solcher nicht Gegenstand anderer arbeitsrechtlicher Maßnahmen wie einer Kündigung sein.

siehe dazu Bundesarbeitsgericht (BAG) v. 26.11.2009 - 2 AZR 751/08 = Neue Zeitschrift für Arbeitsrecht 2010, 823

Der Arbeitgeber unterliegt bei Hinweisen auf Vertragsverstöße aber keiner „Formstrenge“, es gibt also keinen abschließenden Kanon von Sanktionsmitteln. Der Arbeitgeber muss also auch nicht zur Abmahnung greifen, wenn er einen Arbeitnehmer auf die Einhaltung seiner Pflichten hinweisen will, er kann auch eine „Ermahnung“ aussprechen. Diese hat aber nicht die gleiche Bedeutung wie eine Abmahnung, insbesondere hat eine Ermahnung nicht die Wirkung, dass der Arbeitnehmer derart gewarnt ist, dass er beim nächsten Verstoß gleich mit einer Kündigung rechnen müsste.

Was hat das Gericht entschieden?

Der Mitarbeiter ist als Klempner auf dem Wirtschaftshof des Arbeitgebers beschäftigt. Auf dem Wirtschaftshof wurde Restholz gelagert. Der Mitarbeiter fragte seinen Vorgesetzten, ob er nicht mehr verwertbares „Bruchholz“ für private Zwecke mitnehmen und verwenden könne. Dies wurde vom Vorgesetzten genehmigt. Nachdem der Mitarbeiter dabei beobachtet wurde, wie er Holz in einen betriebseigenen Container lud, um es abzutransportieren, schrieb der Arbeitgeber an den Mitarbeiter:

„Verstoß gegen die Dienstvorschrift

Sehr geehrter Herr X,

ich bin darüber in Kenntnis gesetzt worden, dass Sie am …. ohne Absprache einen betriebseigenen Container zweckentfremdet haben. Die Mitnahme von nicht verwertbarem Bruchholz wurde Ihnen von mir gestattet, mit dem ausdrücklichen Hinweis, den Transport selbst zu organisieren. Diese Handlungsweise stellt einen Verstoß gegen die Dienstvorschrift dar, wonach die Zweckentfremdung von Fahrzeugen, Maschinen und Geräten untersagt ist. Als Ihr verantwortlicher Vorgesetzter mahne ich Sie hiermit wegen dieses Verhaltens schriftlich ab. Diese Abmahnung wird der Personalabteilung ausgehändigt. …“

Nach weiterer Anhörung des Mitarbeiters und Beteiligung des Personalrats kündigte der Arbeitgeber das Anstellungsverhältnis fristlos.

Die hiergegen gerichtete Kündigungsschutzklage des Mitarbeiters hatte Erfolg.

Das Landesarbeitsgericht Hamburg sieht zwar in dem untersagten Abtransport von Holz an sich einen wichtigen Grund für eine außerordentliche fristlose Kündigung. Im vorliegenden Fall war diese Kündigung jedoch nicht gerechtfertigt.

In dem oben zitierten Schreiben sei nämlich ein stillschweigender (also „konkludenter“) Kündigungsverzicht zu erblicken.

Das Schreiben, so das Landesarbeitsgericht, enthalte im ersten Teil die Umschreibung des gerügten Sachverhalts und sodann die Feststellung, dass hierin ein Verstoß gegen konkret benannte Dienstvorschriften liege. Des Weiteren enthalte es die Aussage, dass der Vorgesetzte den Mitarbeiter schriftlich abmahne. Aus der Sicht eines objektiven Empfängers zeige der Wortlaut eine Sanktionsabsicht und zum anderen die Aussage, dass der Vorfall damit abgeschlossen sei und der Mitarbeiter mit einer Kündigung wegen dieses Pflichtenverstoßes nicht mehr rechnen müsse.

Nach einem Pflichtenverstoß stünden dem Arbeitgeber unterschiedlich weitreichende arbeitsrechtliche Sanktionen zur Verfügung. Wähle der Arbeitgeber unter diesen Sanktionen die Abmahnung aus, sei aus Sicht des Arbeitnehmers grundsätzlich nicht damit zu rechnen, dass zusätzlich noch eine Kündigung erfolge. Denn mit der Abmahnung gebe der Arbeitgeber gerade zu verstehen, dass er das Arbeitsverhältnis noch nicht als so gestört ansehe, als dass er es beenden wollte. Etwas anderes gelte nur dann, wenn sich der Arbeitgeber weitere Maßnahmen ausdrücklich vorbehalte. Dies entspreche der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts.

Auch im vorliegenden Fall, so das Landesarbeitsgericht, habe der Mitarbeiter das Schreiben als abschließende Sanktion verstehen dürfen.

Allerdings sei zweifelhaft, ob es sich bei dem Schreiben überhaupt um eine kündigungsvorbereitende Abmahnung im arbeitsrechtlichen Sinne handle. Denn dem Schreiben als solchem fehle jeder Hinweis darauf, dass im Wiederholungsfall mit weiteren arbeitsrechtlichen Konsequenzen zu rechnen sei. Damit fehle es an der für eine kündigungsvorbereitende Abmahnung erforderlichen Warnfunktion.

Auch mit einer Vertragsrüge gehe jedoch regelmäßig, soweit sich nicht aus der Erklärung selbst oder den sie begleitenden Umstände etwas Gegenteiliges ergebe, ein konkludenter Kündigungsverzicht einher, jedenfalls wenn sie – wie vorliegend – in formeller Weise ergehe und zur Personalakte gelange. Maßgeblich für die grundsätzliche Annahme eines Kündigungsverzichts bei Ausspruch einer Abmahnung sei nicht die Ankündigung, dass (erst) im Wiederholungsfall gekündigt werde, sondern der Umstand, dass der Arbeitgeber aus mehreren ihm zu Verfügung stehenden Reaktionsmöglichkeiten nicht die Kündigung, sondern ein anderes, milderes Mittel auswähle.

Landesarbeitsgericht (LAG) Hamburg v. 20.05.2015 – 6 Sa 83/14

Auswirkungen auf die Praxis:

Eine Vertragsrüge ist demnach etwas anderes als eine Abmahnung, weil in ihr – im Unterschied zur Abmahnung – kein Hinweis darauf enthalten ist, dass im Fall erneuter Pflichtversäumnisse Schlimmeres drohen kann wie z. B. eine Kündigung. Die Abmahnung hingegen ist gerade dadurch charakterisiert, dass sie nicht nur einen Pflichtenverstoß benennt, sondern auch darauf hinweist, dass ein Arbeitsvertragsverstoß vorliegt und – wie bei einem Warnschuss – schwerere Konsequenzen für den Wiederholungsfall erkennen lässt.

Ob der Vertragsrüge tatsächlich auch ein Kündigungsverzicht innewohnt, ist möglicherweise nicht stets anzunehmen, sondern maßgeblich muss sein, wie die Vertragsrüge auszulegen ist und ob damit das Recht zur Kündigung „vergeben“ wurde. Ein Kündigungsverzicht scheidet insbesondere aus, wenn der Arbeitgeber erkennen lässt, dass er sich eine Entscheidung darüber vorbehalte, ob er aus diesem Grund eine Kündigung ausspricht.

Dr. Bert Howald

Rechtsanwalt

Fachanwalt für Arbeitsrecht

Anwaltskanzlei Gaßmann & Seidel, Stuttgart


Rechtstipp aus dem Rechtsgebiet

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