Doppelwohnsitz Deutschland-Schweiz (Teil 2)

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Teil 2 (lesen Sie hier Teil 1)

Die ungekürzte Version ist im steueranwaltsmagazin 2018, 177 veröffentlicht.

III. Wegzugsbesteuerung bei Kapitalgesellschaftsanteilen 

  • 1. Ersatztatbestand bei Ansässigkeitsverlagerung

Die im Außensteuergesetz vorgesehene Wegzugsbesteuerung für im Privatvermögen gehaltene Kapitalgesellschaftsanteile kann auch bei einem Doppelwohnsitz eingreifen, wenn die Ansässigkeit nach dem Doppelbesteuerungsabkommen in die Schweiz verlegt wird (Ersatztatbestand, § 6 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 AStG). Wie im Grundfall setzt die Wegzugsbesteuerung voraus, dass die wegziehende Person während zehn Jahren unbeschränkt einkommensteuerpflichtig war und innerhalb der letzten fünf Jahre an einer in- oder ausländischen Kapitalgesellschaft unmittelbar oder mittelbar zu mindestens einem Prozent beteiligt war. Damit wird der Wegzug steuerlich einer Veräußerung des Gesellschaftsanteils gleichgestellt, ohne dass tatsächlich eine Veräußerung stattgefunden hat (Veräußerungsfiktion). Der Gewinn wird nach dem Teileinkünfteverfahren zu 60 % der Einkommensteuer unterworfen (§ 3 Nr. 40 lit. c EStG). Hintergrund des Ersatztatbestands ist, dass nach dem OECD-Musterabkommen das Besteuerungsrecht für Gewinne aus der Veräußerung von Kapitalgesellschaftsanteilen dem Ansässigkeitsstaat zusteht und damit eine steuerliche „Entstrickung“ in Deutschland einhergeht (Art. 13 Abs. 5 OECD-MA 2017).

Der Gesetzgeber hat aber offenbar den Fall nicht bedacht, dass aufgrund der Besonderheiten des DBA D-CH unter den Voraussetzungen der überdachenden Besteuerung das Besteuerungsrecht für diese Gewinne weiterhin in Deutschland verbleibt und sich nicht in den Ansässigkeitsstaat Schweiz verlagert. In der Kommentarliteratur wird daher folgerichtig vertreten, dass der Ersatztatbestand in diesem Fall keine Anwendung finden sollte, da es zu keiner Entstrickung kommt. Dieser Rechtsansicht ist zu folgen. Aus dem Sinn und Zweck der Norm ergibt sich, dass der Ersatztatbestand dann eingreifen soll, wenn das Besteuerungsrecht Deutschlands beschränkt oder zumindest eingeschränkt wird, nicht wenn es vollumfänglich bestehen bleibt (teleologische Reduktion). Die Rechtsprechung hat sich – soweit ersichtlich – noch nicht mit dieser Frage beschäftigt, während sich die Finanzverwaltung bisher – gemäß dem Autor vorliegender verbindlicher Auskunft – nach § 89 AO weiterhin auf den Gesetzeswortlaut beruft und die Wegzugsbesteuerung auch bei überdachender Besteuerung anwenden will.

  • 2. Vereinbarkeit mit der Niederlassungsfreiheit

Der Europäische Gerichtshof beschäftigt sich derzeit mit der Frage, ob die Erhebung der Wegzugsbesteuerung gegen die im FZA garantierte Niederlassungsfreiheit verstößt (EuGH, anhängiges Verfahren – C-581/17 –, siehe auch hier).  Anders als bei Wegzugsfällen in einen EU-/EWR-Staat ist für Wegzugsfälle in die Schweiz keine zinslose Stundung der Steuer vorgesehen, bis die Anteile veräußert werden oder der Wohnsitz aus der EU/EWR verlegt wird. Damit wird ein Wegzugshindernis geschaffen, insbesondere da ohne tatsächliche Veräußerung vielfach auch keine Liquidität für die zu zahlende Steuerlast vorhanden ist. Eine Rechtfertigung – beispielsweise die Notwendigkeit der Sicherstellung der tatsächlichen Erhebung der Steuer – wird daran scheitern, dass hierfür auch eine Stundung mit Stellung einer Bankgarantie ausreichend wäre. In den Schlussanträgen des Generalanwalts Melchior Wathelet vom 27.09.2018 hat dieser sich bereits dafür ausgesprochen, dass die Bestimmungen des FZA der bisherigen deutschen Regelung entgegenstehen, wonach bei einem Wegzug in die Schweiz noch nicht realisierte Wertsteigerungen von Gesellschaftsrechten ohne Aufschub besteuert werden. Das allerdings nur im Anwendungsbereich der Freizügigkeit, also bei Personen, die eine selbständige oder unselbständige Erwerbstätigkeit in der Schweiz ausüben oder ausüben wollen. Erfolgt der Umzug bzw. die Ansässigkeitsverlagerung in die Schweiz aus privaten Zwecken oder besteht die Tätigkeit dort lediglich in der Verwaltung von Beteiligungen an Gesellschaften im Herkunftsstaat, kann man sich nach einer aktuellen EuGH-Entscheidung hingegen nicht auf die Niederlassungsfreiheit berufen.

IV. Doppelwohnsitz im Erbfall

Zwischen Deutschland und der Schweiz besteht ein weiteres Doppelbesteuerungsabkommen betreffend Erbschaftsteuer (nicht jedoch für Schenkungsteuer). Die Systematik des ErbSt-DBA ist dabei mit dem des Einkommensteuer-DBA vergleichbar. Allerdings verwendet das ErbSt-DBA D-CH statt dem Begriff der „Ansässigkeit“ den des „Wohnsitzes“ des Erblassers. Die Bestimmung des „Wohnsitzes“ erfolgt nach einem vergleichbaren Muster in einer Stufenprüfung (unbeschränkte Erbschaftsteuerpflicht, ständige Wohnstätte, Lebensmittelpunkt, gewöhnlicher Aufenthalt, Staatsangehörigkeit). Auch im ErbSt-DBA ist dann eine überdachende Besteuerung vorgesehen, wenn der Erblasser im Zeitpunkt seines Todes seit mindestens fünf Jahren in der Bundesrepublik Deutschland über eine ständige Wohnstätte verfügte (Art. 4 Abs. 3 ErbSt-DBA D-CH). Dasselbe gilt, wenn der Erwerber des Nachlasses zum Zeitpunkt des Todes des Erblassers über eine ständige Wohnstätte in Deutschland verfügt oder dort seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte (Art. 8 Abs. 2 ErbSt-DBA D-CH). Auch hier ist die Folge, dass die sonstigen Zuweisungsnormen des ErbSt-DBA überlagert werden und somit das deutsche Steuerniveau unter Anrechnung schweizerischer Steuer erreicht wird.

V. Fahrzeuge im Privatbesitz

Bei einem Doppelwohnsitz stellen sich für private Kraftfahrzeuge im Wesentlichen die Fragen der Verzollung, der Zulassung (Fahrzeugausweis), der Versteuerung (Kraftfahrzeugsteuer) und des Führerscheins.

Nach den schweizerischen Vorschriften benötigen Fahrzeugführer aus Deutschland, die seit zwölf Monaten in der Schweiz wohnen und sich in dieser Zeit nicht länger als drei Monate ununterbrochen im Ausland aufgehalten haben, einen schweizerischen Führerausweis. Unter denselben Voraussetzungen müssen auch ausländische Motorfahrzeuge mit schweizerischem Fahrzeugausweis und schweizerischen Kontrollschildern versehen werden. Allerdings gibt es Ausnahmen für Wochenaufenthalter, die ihren Familienwohnsitz in Deutschland beibehalten und regelmäßig durchschnittlich zwei Mal im Monat zwei aufeinanderfolgende Tage mit dem Fahrzeug dorthin zurückkehren. Diese können auch eine zeitlich befristete Bewilligung für die Benützung eines unverzollten Fahrzeugs mit ausländischem Kontrollschild und Führerschein beantragen. Im Übrigen kann bei Begründung des Lebensmittelpunkts in der Schweiz ein Antrag gestellt werden, das Fahrzeug abgabenfrei als Übersiedlungsgut zu überführen (Formular 18.44). Voraussetzung ist aber, dass es vom Zuziehenden während mindestens sechs Monaten im Zollausland (Deutschland) benutzt worden war.

Nach deutschem Recht dürfen in der Schweiz zugelassene Fahrzeuge mit ihren schweizerischen Kennzeichen fahren, wenn sie nur vorübergehend am Verkehr im Inland teilnehmen und im Inland kein regelmäßiger Standort begründet ist (§ 20 FZV). Hat der Fahrzeughalter den Mittelpunkt seiner Lebensinteressen in Deutschland oder nutzt das Fahrzeug hauptsächlich im Inland, so muss das Fahrzeug also hier zugelassen werden. Kommt er der Pflicht nicht nach, begeht er eine Ordnungswidrigkeit (§§ 3, 48 FZV). In diesen Fällen muss er auch Kfz-Steuer bezahlen (§ 3 Nr. 13 KraftStG). Wurden die Steuern nicht dementsprechend entrichtet, so liegt eine strafbare Steuerhinterziehung vor (§ 370 AO). Mit dem schweizerischen Führerschein darf in Deutschland fahren, wer keinen „ordentlichen Wohnsitz“ im Sinne der Fahrerlaubnis-Verordnung in Deutschland hat (§ 29 FeV). Dies wird angenommen, wenn man während mindestens 185 Tagen im Jahr in Deutschland wohnt und hier enge persönliche und/oder berufliche Bindungen bestehen (§ 7 FeV). Für die Verzollung gilt eine ähnliche Regelung wie in der Schweiz: Als Umzugsgut ist ein Kraftfahrzeug abgabenfrei, wenn der „gewöhnliche Wohnsitz“ in der Schweiz mindestens zwölf Monate bestanden hat und das Umzugsgut seit mindestens sechs Monaten in der Schweiz vor der Verlegung des gewöhnlichen Wohnsitzes in die EU benutzt worden ist. Das Umzugsgut unterliegt dann aber weiterhin der zollamtlichen Überwachung, das heißt es darf zwölf Monate lang keiner anderen Person überlassen werden. Zu beachten ist, dass die Zollbefreiung nur gewährt wird, wenn bei der Übersiedlung der Antrag auf dem entsprechenden Formular gestellt wird (Formular 0350). In den übrigen Fällen muss daher eine doppelte Verzollung vorgenommen werden.

VI. Zusammenfassung und Ausblick

Da die verschiedenen Gesetze und Abkommen nicht aufeinander abgestimmt sind, finden sich die Begriffe „Wohnen“, „Wohnsitz“, „ständige Wohnstätte“, „ordentlicher Wohnsitz“ und „gewöhnlicher Wohnsitz“ – und jedes Mal ist etwas anderes gemeint. Daher stellt ein Doppelwohnsitz im internationalen Verhältnis eine erhebliche Herausforderung dar, die eine sorgfältige Beratung und Planung im Vorfeld erfordert, insbesondere auch um die steuerlichen Normen richtig und in günstiger Weise anwenden zu können und nicht unerwartet mit dem Steuerstrafrecht konfrontiert zu werden.

Die Wegzugsbesteuerung bei bloßer Ansässigkeitsverlagerung ist überraschend und nicht zu rechtfertigen, soweit sie nicht mit einer Entstrickung des Besteuerungsrechts für die jeweiligen Kapitalgesellschaftsanteile einhergeht. Wenn der steuerpflichtige Anteilsinhaber hier noch der überdachenden Besteuerung unterliegt, sollte die resultierende Besteuerung einer gerichtlichen Prüfung unterzogen werden. Hier ist eine gesetzgeberische Korrektur der Vorschrift beziehungsweise eine teleologische Reduktion vonnöten.

Mit Spannung darf die Entscheidung des EuGH zur Niederlassungsfreiheit im Freizügigkeitsabkommen erwartet werden. Wenn dieser den Schlussanträgen des Generalanwalts folgt, wird der Gesetzgeber voraussichtlich damit reagieren, die Schweiz in die Stundungsregelung aufzunehmen, wie sie bisher für EU/EWR-Fälle gilt.


Rechtstipp aus den Rechtsgebieten

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