Einstellungsmöglichkeiten im Jugendstrafrecht/Diversionsverfahren

  • 4 Minuten Lesezeit

Neben den Einstellungsmöglichkeiten in der Strafprozessordnung gibt es im Jungendstrafrecht weitere Möglichkeiten der Verfahrensbeendigung ohne Urteil des Gerichts. Unter dem Stichwort der „Diversion“ werden die zusätzlichen Möglichkeiten zusammengefasst. Statistisch werden knapp 70 % der Verfahren im Jugendstrafrecht eingestellt. Dem zugrunde liegt immer die Grundausrichtung der Erziehung und Besserung der jugendlichen Täter. So wird angenommen, dass ihre Taten mehr mit der Entwicklung zum Erwachsenen zu tun haben, als mit dem Ausdruck einer kriminellen Gesinnung. Die Vorschriften im Jugendgerichtsgesetz nehmen dabei vielfach Bezug auf die Regelungen der Strafprozessordnung. Es folgt daher eine kurze Übersicht zu den „normalen“ Einstellungsnormen im Strafprozess:

Einstellungsvorschriften in der Strafprozessordnung

Der häufigste Fall der Verfahrensbeendigung ist die Einstellung nach § 170 II StPO. Demnach stellt der Staatsanwalt das Verfahren ein, wenn der hinreichende Tatverdacht für eine Anklageerhebung nicht gegeben ist. Ein hinreichender Tatverdacht liegt vor, wenn nach Einschätzung des Staatsanwalts eine mehr als fünfzigprozentige Wahrscheinlichkeit einer Verurteilung vorliegt.

Die Staatsanwaltschaft kann weiterhin nach § 153 StPO von der Verfolgung absehen, wenn die Schuld des Täters als gering anzusehen ist und kein öffentliches Interesse an der Verfolgung besteht. Zur Anwendung kommt die Vorschrift beispielsweise bei geringen Steuerstraftaten und dem Besitz von kleiner Mengen Betäubungsmittel. Es bedarf hierbei der Zustimmung des zuständigen Tatrichters.

Gemäß § 153a StPO ist eine Einstellung des Verfahrens auch gegen Auflage und Weisungen möglich, wenn diese geeignet sind, das öffentliche Interesse an der Strafverfolgung zu beseitigen und die Schwere der Schuld dem nicht entgegensteht. Das Gesetz nennt als Auflagen und Weisungen beispielhaft die Zahlung eines Geldbetrags an gemeinnützige Einrichtungen oder die Wiedergutmachung des verursachten Schadens.

Der § 154 StPO gibt der Staatsanwaltschaft die Möglichkeit, unwesentliche Nebenstraftaten einzustellen. Die Vorschrift dient dabei der Verfahrensbeschleunigung und hilft dem Beschuldigten eher wenig, da die eingestellte Tat im Hinblick auf die Haupttat nicht ins Gewicht fallen darf.

Erweiterte Einstellungsmöglichkeiten im Jugendstrafrecht

Die §§ 45 und 47 JGG gelten für Jugendliche und Heranwachsende und finden damit im ganzen Spektrum des Jugendstrafrechts Anwendung.

Die Vorschrift des § 45 I JGG ermöglicht es der Staatsanwaltschaft, von der Verfolgung abzusehen, wenn die Tat den Voraussetzungen des § 153 StPO entspricht, also als geringfügig anzusehen ist. Hierbei ist nicht die Zustimmung des Richters vonnöten. Eine Einstellung nach § 45 I JGG wird in das Erziehungsregister eingetragen und kann bei weiteren Taten negative Berücksichtigung finden, obwohl eine Schuldfeststellung gerade nicht erfolgt ist. Angewandt wird die Vorschrift bei jugendtypischen Vergehen mit geringer Schuld und geringen Tatfolgen.

Eine weitere Möglichkeit, das Absehen von Verfolgung zu erreichen, bietet der § 45 II JGG, wonach die Staatsanwaltschaft von Verfolgung absieht, wenn erzieherische Maßnahmen bereits durchgeführt oder eingeleitet wurden. Diese Möglichkeit bezieht sich auf schwerere Straftaten, wie einen Raub („Abziehen“), wenn bei objektiver Betrachtung die Schuld nicht besonders schwer ist. Unter erzieherischen Maßnahmen werden dabei Sanktionen der Eltern, der Schule oder Maßnahmen der Jugendbehörden gefasst. Es geht konkret um die Teilnahme an Drogentherapien oder das Ableisten von Sozialstunden. Ein Geständnis wird dabei nicht vorausgesetzt.

Die dritte Möglichkeit bietet der § 45 III JGG für besonders schwere Taten, die von den vorstehenden Regelungen nicht mehr erfasst werden können. Voraussetzung ist hier neben dem Geständnis der Beschuldigten auch die Mitwirkung des Jugendrichters. Dieser kann nach Anregung durch die Staatsanwaltschaft in einem formlosen Erziehungsverfahren dem Beschuldigten Weisungen und Auflagen erteilen. Zu beachten bleibt, dass ein Geständnis im Hinblick auf mögliche zivilrechtliche Schadensersatzansprüche verheerende Auswirkungen haben kann.

Auch nach Erhebung der Anklage kann der Richter das Verfahren nach der Vorschrift des § 47 JGG einstellen. Möglich ist es, wenn die Voraussetzungen des § 153 StPO vorliegen oder erzieherische Maßnahmen im Sinne des § 45 II JGG durchgeführt wurden. Weiter ist die Einstellung möglich, wenn der Richter die Entscheidung für entbehrlich hält und gegen den geständigen Jugendlichen eine in § 45 III JGG angeordnete Maßnahme anordnet oder der Angeklagte strafrechtlich nicht verantwortlich ist. Man sollte auch hierbei berücksichtigen, dass eine Einstellung des Verfahrens kein Freispruch darstellt. Das ist mit Blick auf die Eintragung in das Erziehungsregister und für die Kostentragung im Verfahren wichtig.

Zusammenfassung zu den Einstellungsmöglichkeiten

Das Jugendstrafrecht bietet die Möglichkeit, mit präventiven Maßnahmen Verurteilungen zu entgehen. Eine Einstellung im Diversionsverfahren ist jedoch nicht mit einem Freispruch oder einer Einstellung nach § 170 II StPO gleichzusetzen. Je nach Aktenlage sollte der „förmliche“ Weg im Jugendverfahren gegangen werden, um spätere Eintragungen und negative Folgen aus dem Erziehungsregister zu vermeiden. Es kann daher nur empfohlen werden, vor einer Aussage bei der Polizei oder der Zustimmung zum Diversionsverfahren, mithilfe eines Rechtsanwalts für Jugendstrafrechts Akteneinsicht zu nehmen. Nur so kann geprüft werden, was für den Einzelfall das bestmögliche Vorgehen ist.


Rechtstipp aus dem Rechtsgebiet

Artikel teilen:


Sie haben Fragen? Jetzt Kontakt aufnehmen!

Weitere Rechtstipps von Rechtsanwalt Benjamin Grunst

Beiträge zum Thema