Familienrechtsverfahren im Vergleich zwischen Deutschland und den Vereinigten Staaten von Amerika

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Deutschland versus U.S.A. im Familienrechtsverfahren (English version below)

In Deutschland ist das Familienrecht bundeseinheitlich geregelt, d. h. alle 16 Bundesländer unterliegen den gleichen Rechtsvorschriften. Im Gegenzug hierzu ist in den Vereinigten Staaten von Amerika (USA) das Familienrecht Sache der Einzelstaaten. Bundesgesetze sowie auch Maßnahmen zur Förderung sind hier lediglich Rahmenbedingungen. In den amerikanischen Einzelstaaten gibt es jedoch bereits Bestimmungen zur gegenseitigen Anerkennung von Entscheidungen und zur Rechtshilfe, z. B. den „Uniform Marriage and Divorce Act“ oder den „Uniform Child Custody Jurisdiction Act“ der von sämtlichen Staaten in Kraft gesetzt wurde, vgl. hierzu z. B. Section 61.501-61.542 der Statuten von Florida. Dies bedeutet, dass der Umzug in einen anderen Staat wegen der Erschwerung des Umgangs mit den Kindern der Zustimmung des anderen Ehegatten oder des Gerichts bedarf. Aber selbst der Umzug innerhalb eines Staates unterliegt erheblichen Einschränkungen, vgl. z. B. Florida Statutes 61.13001 „Parental relocation with a child“.

Wie auch in Deutschland stark ausgeprägt, wird in den USA das gemeinsame Sorgerecht sehr häufig angewandt, besonders das gemeinsame rechtliche Sorgerecht („joint legal custody“) bei dem die Kinder zwar hauptsächlich bei einem Elternteil wohnen, der andere aber an allen die Kinder betreffenden wichtigen Entscheidungen teilnimmt und ein umfangreiches Umgangsrecht besitzt. Statt dem reinen Besuchsrecht „visitation“ heißt dieses nun zunehmend „parenting time“, statt Sorgerecht von (gemeinsamer) elterlicher Entscheidungsfindung oder Elternverantwortung.

Im Unterschied zur familienrechtlichen Auseinandersetzung in Deutschland hat jedoch der amerikanische nicht sorgeberechtigte Elternteil – von Ausnahmen abgesehen – eine direkte Auskunftspflicht und nicht nur über den/die Sorgeberechtigten. Diese erstreckt sich u. a. über die schulischen Leistungen und Gesundheitsvorsorge. Besonders effektiv wird dabei das Bundesgesetz FAMILY EDUCATIONAL RIGHTS AND PRIVACY ACT (FERPA) hervorgehoben, das bestimmt, dass beiden Eltern, unabhängig vom Sorgerecht, von der Schule volle Informationen gewährt werden müssen. Bei Verweigerung der Auskunft durch die Schule wird beispielsweise sehr schnell die bundesstaatliche Förderung dieser Schule eingestellt.

Die Tendenz zeigt, dass vor allem Vereinbarungen eines gemeinsamen materiellen (rotierenden) Sorgerechts („joint physical custody“), bei dem die Kinder 30-50 % der Zeit bei dem anderen Elternteil wohnen, zunehmen. Untersuchungen zeigen, dass in Staaten mit häufiger Zuerkennung der gemeinsamen materiellen Sorge (bis zu 44 % der Fälle in Montana) die Scheidungsraten fast viermal schneller abnahmen als in Staaten wo gemeinsame Elternschaft selten ist. Diese Staaten haben im Vergleich niedrigere Scheidungsraten. Die Erfahrung zeigt auch, dass zumindest dann, wenn das Konfliktpotential zwischen den Eltern nicht sehr groß ist, sich gemeinsame Sorge sehr zum Vorteil der Kinder auswirkt. Konflikte werden durch gemeinsame Sorge in den USA nicht verstärkt, sondern meist reduziert. Eine große Zahl der Staaten geht daher von der gemeinsamen Sorge als Regelfall aus, oder bevorzugt diese, außer, es würde das Kindeswohl gefährden. 

Fallgruppen der Kindeswohlgefährdung sind zum Beispiel neben gefährdenden Verhaltensweisen eines Elternteils die Misshandlung des Kindes oder des anderen Ehegatten. Bei einer Verurteilung wegen schwerer häuslicher Gewalt bspw. muss die Annahme der Gefährdung positiv widerlegt werden, andererseits muss die Kindeswohngefährdung zunächst einmal nachgewiesen werden. Im Bundesstaat Kalifornien z. B. kann die gemeinsame Sorge auch angeordnet werden, wenn ein Ehepartner nicht zustimmt, vgl. California Code 3081. 

Im Hinblick auf die Gewährung des Sorgerechts ist in Deutschland vor allem das Kindeswohl sowie die Bindung des Kindes zu dem Elternteil ausschlaggebend. Bei der Gestaltung des Sorgerechts und Bestimmung des Hauptwohnsitzes der Kinder in den USA ist es von erstrangiger Bedeutung, welcher Elternteil dem anderen am ehesten einen häufigen Umgang garantiert (Bindungstoleranz), z. B. California Code 3040, Florida Code 61.13, Utah Code 30-3-10. Im Family Code von Kalifornien ist die gemeinsame und physische rechtliche Sorge per Gesetz bereits seit langem der Regelfall, vgl. Section 3080. Ausschlussgründe, die dann eine gemeinsame elterliche Sorge nicht erlauben, sondern zum alleinigen Sorgerecht eines Partners führen, sind v. a. häusliche Gewalt, Drogenmissbrauch, Kindesmissbrauch, aber auch eine Falschanschuldigung wegen vermeintlichen Kindesmissbrauchs, vgl. Section 3022.5 

Im Gegensatz zu Deutschland, in dem die Ehescheidung nicht zwingend verbunden mit der Regelung des Sorgerechts entschieden werden muss, aber häufig geschieht, wird in einer zunehmenden Zahl von US-Staaten von Gerichts wegen zunächst versucht, aus Gründen des Kindeswohls, die Ehe durch ein Versöhnungsverfahren zu erhalten. Vor allem in Kalifornien, Florida, Utah sind die Beratung, Mediation und Therapie (Kalifornien) entweder angeboten oder sogar vorgeschrieben (z. B. in Florida, Kalifornien) bevor eine Regelung durch das Gericht erfolgt. Im Staat New York kann das Familiengericht bei Eheschwierigkeiten, unabhängig von einem Scheidungsantrag, zu einem Vermittlungsversuch angerufen werden, das dann notfalls die Teilnahme des Ehepartners anordnen kann (Section 911-915, 921-926).

In Deutschland hingegen kann, muss aber nicht, vom Familiengericht die Mediation angeordnet werden, d. h. ein vorgerichtliches Streitschlichtungsverfahren als ernsthafter Versuch zu einer einvernehmlichen Lösung. Sollte aber auch hier ein tatsächlich schweres Fehlverhalten eines Partners in Form von Gewalt z. B. vorliegen, besteht auch diese Möglichkeit nicht. 

In vielen Staaten wird (bei Bedarf) dem Kind vom Gericht ein Vertreter im Verfahren beigestellt. Dieser „guardian ad litem“ (G.A.L.) ist ein Verfahrenspfleger, also sowohl von einem Vormund als auch von einem Prozessbevollmächtigten (Anwalt) des Kindes zu unterscheiden. Er/sie braucht im allgemeinen kein Anwalt zu sein, muss sich aber in einem speziellen, von Staat zu Staat unterschiedlichen Ausbildungsprogramm qualifizieren (vgl. z. B. Florida). Er/sie vertritt die Interessen des Kindes, ist aber für alle Parteien ansprechbar, versucht auch zwischen diesen zu vermitteln, berichtet aber auch dem Gericht. Ähnlich hierzu gibt es in Deutschland den Verfahrensbeistand durch das Jugendamt, das dann die Rechte des Kindes vertritt und zwischen den „Fronten“ möglichst schlichtend wirken soll, auch wenn dies häufig in der Erfahrung schon ausweglos scheinen mag.

Eine ganz besonders wichtige Erkenntnis, die sich in den USA immer mehr durchsetzt, hier aber leider noch nicht einmal im Ansatz vorhanden zu sein scheint, ist, dass die verschiedenen Helfer, wie die Anwälte der beiden Parteien, Anwalt des Kindes, Mediatoren, Therapeuten und das Gericht zum Wohle des Kindes eng zusammenarbeiten müssen (vgl. z. B. Familienkriege – die Entfremdung von Kindern). Nur das Gericht hat aber die Macht, das auch durchzusetzen. Sehr oft wird dazu vom Gericht ein erfahrener Manager (case manager, special master, family master) eingesetzt, der das Verfahren koordiniert, vorantreibt und dazu weitreichende Vollmachten besitzt, z. B. Anhörungen durchzuführen, Berichte anzufordern etc. Gerade bei konfliktreicher Trennung/Scheidung allgemein, ohne Therapie und einem gewissen Druck (durch das Gericht), nur an die Vernunft zu appellieren, geht völlig ins Leere, besonders wenn das Gericht noch dazu „Gewinner“ (Alleinsorgende) und „Verlierer“ (die bestenfalls ihre Kinder besuchen dürfen, und dass dann effektiv meist nicht auf Dauer) kreiert. Das Cochemer Modell hat Elemente dieses Ansatzes aufgegriffen, soweit dies im Rahmen des bestehenden deutschen Familienrechtes möglich ist.

English version:

In Germany family law is regulated nationwide which means that 16 federal states are linked to the same legislation and jurisdiction. In return, in the United States of America (USA), family law is a matter for individual states. Federal laws as well as measures for the promotion are merely general conditions here. However, there are already provisions in the US for mutual recognition of decisions and legal assistance, e.g. the Uniform Marriage and Divorce Act or the Uniform Child Custody Jurisdiction Act, which has been enacted by all states, for example, e.g. Section 61.501-61.542 of the Articles of Association of Florida. This means that relocation to another state requires the consent of the other spouse or court because of the difficulty of dealing with the children. But even the move within a state is subject to considerable restrictions, e.g. Florida Statutes 61.13001 “Parental relocation with a child“.

As it is mostly handled in Germany, common custody is often used in the US, especially joint legal custody, where the children live mainly with one parent but the other participates with all the important children decisions and has a comprehensive right of access. Instead of the mere visitation right “visitation“, this now increasingly means „parenting time“ instead of custody of (joint) parental decision-making or parent responsibility.

In contrast to the family law dispute in Germany, however, the US non-restrained parent has – with exceptions – a direct obligation to provide information and not only about the guardian. This extends especially on school performance and health care. The Federal Law FAMILY EDUCATIONAL RIGHTS AND PRIVACY ACT (FERPA), which stipulates that full information must be provided by the school, irrespective of custody, is high effective. For example, if the school refuses to provide information, the federal funding for this school can quickly be abandoned.

The trend shows that, above all, there is an increase in joint physical custody agreements in which children live with the other parent for 30-50 % of the time. Studies show that in states with frequent attribution of common material concern (up to 44 % of Montana cases) divorce rates decrease almost 4 times faster than in states where common parenting is rare. By comparison these states have lower divorce rates. Experience has also shown that at least when the conflict potential between the parents is not immense, common concern is very beneficial for the children. Conflicts are not reinforced by common concern in the US, but mostly reduced. A large number of states, therefore, believe that common concern is the norm, or prefers it, unless it jeopardizes the well-being of the child.

Case groups of the endangerment of the child are, for example, in addition to endangered behaviors of a final part of the maltreatment of the child or other spouse. In the case of a conviction for serious domestic violence, for example, the assumption of the risk must be positively refuted, on the other hand, the risk to the child must first be proven. In the state of California, e.g. the common concern can also be ordered if a spouse does not agree, cf. California Code 3081.

With regard to the granting of child custody, the best interests of the child in Germany as well as the attachment of the child to the parent are decisive. When designing custody and determining the principal place of residence of children in the US, it is of paramount importance which parent is most likely to guarantee the other's frequent intercourse (attachment tolerance), e.g. California Code 3040, Florida Code 61.13, Utah Code 30-3-10. In the Family Code of California, common and physical legal care has long been the rule by law, see also Section 3080. Reasons of exclusion, which then do not allow a common parental custody, but lead to the sole custody of a partner are especially domestic violence, drug abuse, child abuse, but also a false accusation of alleged child abuse, see also Section 3022.5

In opposite to Germany, where divorce does not necessarily have to be decided in conjunction with custody, but is often the case, in a growing number of US states court-martial attempts are first made to reconcile marriage for reasons of the child's well-being to obtain. Especially in California, Florida, Utah, the counseling, mediation and therapy (California) are either offered or even prescribed (for example, in Florida, California) before settlement by the court. In the state of New York, the family court can be called to a mediation attempt in case of difficulties, regardless of a divorce petition, which can order the spouse's participation if necessary (sections 911-915, 921-926).

In Germany, on the other hand, mediation can be ordered by the family court, e.g. pre-litigation dispute – but not necessarily – as a serious attempt at a friendly solution. If, however, an actually serious misconduct of a partner is shown, e.g. abusing or violence there is no such possibility.

In many states, the child will be provided by the court with a representative (if necessary). This “guardian ad litem“ (G.A.L.) is a procedural lawyer to be distinguished from both a legal guardian and a lawyer (advocate) of the child. He or she generally does not need to be a lawyer, but must qualify in a special, state-to-state training program (see, for example, Florida). He or she represents the interests of the child but is accessible to all parties, tries to mediate between them, but also reports to the court. Similarly, in Germany there is the procedural assistance by the youth welfare office, which then represents the rights of the child and between the “fronts“ should be as simple as possible, even if this often seems hopeless in law practice.

A particularly important finding that is becoming more and more prevalent in the US, but unfortunately does not even seem to be here in Germany in the approach is that the various helpers, such as the lawyers of the two parties, lawyer of the child, mediators, therapists and the Court for the benefit of the child must work closely together (see for example, family wars-the alienation of children). But the court has the power to enforce it. Very often, the court employs an experienced manager (case manager, special master, family master) who coordinates the process, drives it forward and has far-reaching powers, e.g. Conduct hearings, request reports, etc. Especially with conflict-rich separation / divorce in general, without therapy and a certain pressure (by the court), to appeal only to reason is completely in vain, especially if the court declares to “winner“ (sole owner) and „losers“ (who, at best, are allowed to visit their children, and then effectively do not usually do so permanently). The Cochem model has taken up elements of this approach, insofar as this is possible within the framework of existing German family law.

Vera Mueller-Lehnert

-Rechtsanwältin / lawyer-


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