Gewährleistung wegen fehlerhafter CE-Prüfung und CE-Kennzeichnung nebst "gefälschter" CE-Zertifikate

  • 5 Minuten Lesezeit

Görtz Legal Rechtsanwaltsgesellschaft mbH / Stuttgart

Fachanwaltskanzlei für internationales Wirtschaftsrecht mit Schwerpunkt Produkthaftung & Produktsicherheit

Landgericht Verden - Urteil v. 18.10.2021 - Rücktritt im b2b wegen fehlender CE-Prüfung, gefälschter CE-Zertifikate und fehlerhafter CE-Kennzeichnung

Görtz Legal hat vor dem Landgericht Verden für ein Handelsunternehmen mit Urteil v. 18.10.2021 das Recht auf Rückabwicklung wegen der Lieferung mangelhafter Masken wegen nicht erfolgter EU-Baumusterprüfung und fehlerhafter CE-Kennzeichnung erfolgreich durchgesetzt.

1.         Sachmangel - fehlerhafte FFP2-Masken

Das Landgericht Verden hat auf Grund formeller Mängel betreffend die CE-Kennzeichnung die Mangelhaftigkeit im Handelsverkehr verkaufter „FFP2-Masken“ wegen fehlender EU-Baumusterprüfung, fehlerhafter EU-Konformitätserklärung und fehlerhafter CE-Kennzeichnung nach der Verordnung Nr. 2016/425/EU zur Produktsicherheit von persönlicher Schutzausrüstung festgestellt.

  • Sachmangel der formell fehlerhaften FFP2-Masken bei abstraktem Risiko der fehlenden Verkehrsfähigkeit;
  • vorliegend gab es sogar eine konkrete behördliche Rücknahmeanordnung gegenüber dem Lieferanten und Quasi-Hersteller.

2.         Arglistige Täuschung in „Kenntnis“ fehlender CE-Prüfung und fehlerhafter CE-Zertifikate 

Das Landgericht Verden hat weiter festgestellt, dass dem Lieferanten dann eine arglistige Täuschung des Käufers im Sinne von § 377 Abs. 5 HGB - entsprechend wohl auch § 123 BGB und § 263 StGB - anzulasten ist, wenn dieser als Quasi-Hersteller eine (fehlerhafte) EU-Konformitätserklärung ausstellt und (zu Unrecht) eine CE-Kennzeichnung vornimmt und damit die Einhaltung der Anforderungen der PSA-Verordnung gegenüber dem Käufer vorgibt, wissend, dass die erforderliche EU-Baumusterprüfung einer benannten Stelle nicht erfolgt ist.

Der Lieferant kann sich damit nicht auf eine etwa verspätete Mängelrüge gemäß § 377 Abs. 2 HGB berufen. Ferner kann der Käufer auf Grund der arglistigen Täuschung nach § 123 BGB das Kaufgeschäft anfechten. Durch die Anfechtung ist das Kaufgeschäft als von Anfang an nichtig zu behandeln und entsprechend wie bei einem Rücktritt rückabzuwickeln. Darüber hinaus ergeben sich infolge arglistiger Täuschung entsprechende Ansprüche auf Rückabwicklung auch nach Deliktsrecht gemäß § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 263 StGB (Betrug) und bei festgestellter verwerflicher Gesinnung auch nach § 826 BGB.

Ergänzung der Rechtsprechung zum Dieselabgasskandal

In Fällen des Dieselabgasskandals haben die Gerichte regelmäßig eine arglistige Täuschung des Kunden und Käufers durch den Verkäufer - selbständige Autohändler - verneint. Das Wissen der Automobilhersteller zu der manipulierten Abgassteuerung  wurde den selbständigen Autohändlern nicht zugerechnet. Vorliegend hat der Lieferant und Verkäufer die Masken jedoch unter eigener Firma und Marke an das Handelsunternehmen verkauft und als solcher mit seiner fehlerhaften EU-Konformitätserklärung und CE-Kennzeichnung die Täuschungshandlung selbst begangen.

Eine Vielzahl von Lieferanten in der EU verkaufen fremdhergestellte Waren unter der eigenen Marke. Das bringt es mit sich, dass diese Lieferanten als sog. Quasi-Hersteller das CE-Kennzeichen auf der Ware selbst anbringen bzw. anbringen lassen und eine eigene EU-Konformitätserklärung ausstellen müssen. Dabei wird es jedoch vielfach von diesen Lieferanten versäumt eine eigene Konformitätsbewertung durchzuführen und dazu benötigte Untersuchung wie die EU-Baumusterprüfung durch notifizierte Dritte durchführen zulassen, wie es die CE-Richtlinien als  Voraussetzung für die eigene EU-Konformitätserklärung und CE-Kennzeichnung vorschreiben, so handelt dieser Lieferant beim Weiterverkauf seiner Waren an Dritte - Händler wie auch Endkunden gleichermaßen arglistig. Es ist anerkannt, dass eine solche arglistige Täuschung auch dann anzunehmen ist, wenn der Lieferant und Verkäufer fehlerhaften Angabe von vertrags- und produktwesentlichen Aspekten ohne eigene Überprüfung ins Blaue hinein trifft.

Damit Händler und Lieferanten sich diesen Vorwurf nicht gefallen lassen müssen, muss ein eigenes Kontrollsystem bestehen, anhand dessen die Händler und Lieferanten die CE-Konformität der von ihnen vertriebenen Produkte vor dem Weiterverkauf prüfen und zwar unabhängig, ob bloßer Inverkehrbringer bzw. Händler oder Quasi-Hersteller. 

Nur die wenigsten Unternehmen verfügen bislang über ein solches Kontrollsystem und die Sensibilität für die Anforderungen und teilweise existentiellen Rechtsfolgen des Produktsicherheitsrechts. 

Ausblick

Wir von Görtz Legal sind uns sicher, dass das breite Feld des Produktsicherheitsrecht die Zivilgerichte in den nächsten Jahren über den Dieselabgasskandal hinaus in noch weitaus größerem Umfang beschäftigen wird und von Seiten der Marktüberwachungsbehörden stetig steigende Kontrollen, Nachfragen und Anordnungen in Bezug auf den Vertrieb unterschiedlicher Warengüter - von Maschinenanlagen, Fahrzeugen, Elektrogeräten bis hin zu Lebensmitteln und Spielzeug erfolgen werden. 

Wer die Anforderungen der unterschiedlichen CE-Richtlinien - Maschinen-Richtlinie, Niederspannungs-Richtlinie, ROHS-Richtlinie, RED-Richtlinie, EMV-Richtlinie, Spielzeug-Richtlinie, REACH-Verordnung, etc. nicht beachtet, setzt sein Unternehmen nicht „nur“ behördlichen Rückfragen und Sanktionen bis hin zum behördlich angeordneten Rückruf aus, sondern auch der Gefahr weitreichender Gewährleistungs-, Rückabwicklung- und Regressansprüchen sowie wettbewerblichen Unterlassungsansprüchen.

Wir von Görtz Legal beraten seit mehreren Jahren erfolgreich Unternehmen sowohl bei der Umsetzung der Anforderungen der CE-Richtlinien in den unternehmerischen Abläufen und Dokumentation sowie im Dialog und Austausch mit den Marktaufsichtsbehörden in der Auseinandersetzung mit Kunden und Lieferanten. 

3.         Fehlerhafte CE-Kennzeichnung u. a. als verdeckter Sachmangel 

Weiter hat das Landgericht Verden festgestellt, dass ein Händler seinen handelsrechtlichen Untersuchungsobliegenheiten gemäß § 377 HGB in aller Regel entspricht, wenn er die gekaufte Ware auf das Vorhandensein einer erforderlichen CE-Kennzeichnung untersucht. Dies gilt im Besonderen, wenn der Händler auf Verlangen vom Lieferanten eine EU-Konformitätserklärung erhält.

Eine fehlerhafte CE-Kennzeichnung sowie eine fehlerhafte EU-Konformitätserklärung stellen in aller Regel einen dem Käufer nicht ohne Weiteres erkennbaren und damit verdeckten Sachmangel gemäß § 377 Abs. 3 HGB dar.

Ob der Lieferant als Quasi-Hersteller selbst oder dessen Vorlieferant als tatsächlicher Hersteller eine nach der jeweils einschlägigen CE-Richtlinie erforderliche Konformitätsbewertung durchgeführt hat und insbesondere auch eine erforderliche EU-Baumusterprüfung bei einer notifizierten Stelle hat durchführen lassen, muss der Händler jedenfalls ohne konkrete Anhaltspunkte zu Unregelmäßigkeiten nicht überprüfen. Dabei handelt es sich insbesondere auch jeweils um Informationen, über die im Übrigen auch nur der Lieferant und Hersteller Auskunft erteilen kann.  

Praxishinweis:

Der vielfach in Sachmängelgewährleistungsfällen und der Produkthaftung erhobene Einwand unzureichender bzw. verspäteter Mängelrüge wegen offen zu Tage tretender Mängel nach § 377 Abs. 1 und 2 HGB greift in Fällen einer fehlerhaften CE-Kennzeichnung und/oder EU-Konformitätserklärung entsprechend der Entscheidung des Landgerichts Verden damit in aller Regeln nicht ein.

Dabei wird es sich mangels offenkundiger Anhaltspunkte grundsätzlich um einen verdeckten Sachmangel handeln.

Der gewerbliche Käufer muss dann gleichwohl zur Wahrung seiner Mängelansprüche noch immer Sorge gleichermaßen dafür tragen, dass er nach der Entdeckung eines solchen verdeckten Mangels, diesen unverzüglich und nachweisbar gegenüber seinem Lieferanten rügt.  

Dominik Görtz

Rechtsanwalt

Wirtschaftsjurist (Univ. Bayreuth)
Fachanwalt für Internationales Wirtschaftsrecht

www.goertz-legal.de

Görtz Legal Rechtsanwaltsgesellschaft mbH

goertz@goertz-legal.de

Stuttgart / Heilbronn

Foto(s): Görtz Legal Rechtsanwaltsgesellschaft mbH

Rechtstipp aus den Rechtsgebieten

Artikel teilen:


Sie haben Fragen? Jetzt Kontakt aufnehmen!

Weitere Rechtstipps von Rechtsanwalt Dominik Görtz

Beiträge zum Thema