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Grober ärztlicher Behandlungsfehler und Beweislast - punktuelle Beweislastumkehr, aber mit Ausnahmen

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Grundsätzlich muss der Geschädigte den vollen Nachweis aller Tatsachen, auf den er seinen Anspruch stützt, erbringen, wenn der Gegner den Klagevortrag bestreitet. Das gilt auch für Schadensersatzansprüche eines Patienten gegen seinen ärztlichen Behandler wegen fehlerhafter Behandlung, da der Arzt in der Regel nicht den Eintritt eines bestimmten Erfolges schuldet sondern „lediglich" die sorgfältige und kunstgerechte Erbringung der Behandlung; der Arztvertrag ist im Regelfall ein Dienstvertrag und kein Werkvertrag.

Jedoch hat die Rechtsprechung im Falle grober Behandlungsfehler aus Billigkeitsgründen Beweiserleichterungen zu Gunsten des Patienten entwickelt. Ein solcher liegt vor, wenn das Fehlverhalten des Behandlers aus objektiver ärztlicher Sicht schlechterdings nicht mehr verständlich ist („so ein Fehler darf einfach nicht passieren").

Ein grober Behandlungsfehler des Arztes führt demnach zu Gunsten des betroffenen Patienten zu einer punktuellen Beweislastumkehr hinsichtlich der Kausalität zwischen Arztfehler und Gesundheitsschaden (sogenannte haftungsbegründende Kausalität), und zwar bezüglich des sogenannten Primärschadens (erste Verletzungsfolge des Arztfehlers). Liegt ein grober Behandlungsfehler vor, dann muss der Arzt den Gegenbeweis führen, dass sein grober Fehler für den Schaden nicht ursächlich war. Gelingt ihm der Gegenbeweis nicht, so geht das zu Lasten des Arztes. Bei komplexen medizinischen Abläufen kann die Frage der Beweislast Prozess entscheidend sein!

Ein grober Behandlungsfehler kann bezüglich fehlerhafter Therapie aber auch hinsichtlich Fehlern und Mängeln bei Diagnose und Aufklärung vor dem ärztlichen Eingriff vorliegen. 

Von dieser Regel, die die Rechtsprechung zu Gunsten der Patienten aus Billigkeitsgründen entwickelt hat, gibt es aber Ausnahmen zu Gunsten des Behandlers, die wieder das „normale" Grundprinzip, wonach der Patient auch für die Kausalität beweispflichtig ist, in Kraft setzen (BGH Urteile vom 27.04.2004 und vom 19.06.2012). Dies gilt in folgenden Fällen:

  • ein Zusammenhang zwischen Arztfehler und Schaden erscheint äußerst unwahrscheinlich;
  • es hat sich nicht das Risiko, das mit dem groben Fehler des Arztes zusammenhängt, verwirklicht, sondern ein anderes Risiko;
  • der Patient hat durch eigenes Verhalten selbst in das Geschehen eingegriffen, weswegen sich der Verlauf des Behandlungsgeschehens nicht mehr aufklären lässt.

In diesen 3 Fallgruppen kommt der Patient nicht in den Genuss der ansonsten gegebenen punktuellen Beweislastumkehr!

Neuerdings hat der BGH sogar eine Beweislastumkehr auch im Falle eines einfachen Behandlungsfehlers unter gewissen Voraussetzungen angenommen (Urteile vom 07.06. und 13.09.2011). Die Urteile betreffen jeweils einfache Befunderhebungsfehler. Wenn ein deutlicher und gravierender Krankheitsbefund, der dringend eine Behandlungsreaktion erfordert, nicht erkannt wird, weil der Arzt trotz Vorliegen eines Krankheitssymptoms dessen gebotene Abklärung unterlässt, kann schon diese Nachlässigkeit, die für sich genommen noch kein grober Behandlungsfehler ist, zu einer Beweislastumkehr führen.



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