Ist die öffentliche Fahndung mit dem Foto eines masturbierenden Mannes rechtmäßig?

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Ein junger Mann sitzt auf einer Parkbank und masturbiert. Dieses Geschehen wurde auf einem Foto festgehalten und dieses Foto nutzt das Landgericht Essen nun zum Zwecke der öffentlichen Fahndung.

Entstanden ist dieses Foto bereits im Sommer dieses Jahres. Eine junge Frau saß auf einer Parkbank im Gelsenkirchener Stadtgarten, als sich ein junger Mann auf die Bank direkt neben ihr setzte, seine Hose öffnete und seinen Penis hervorzog.

Er masturbierte bis zur sexuellen Befriedigung, stand auf und ging.

Der jungen Frau gelang es, unauffällig ein Foto mit ihrem Handy von dem Mann zu machen und meldete es anschließend der Polizei.

Diese konnte mangels weiterer Hinweise zur Person den Täter bislang jedoch nicht identifizieren. Die öffentliche Fahndung soll nun weitere Erkenntnisse bringen.

Die strafrechtliche Beurteilung der öffentlichen Masturbation wurde bereits in einem vorherigen Artikel dargestellt. Dieser Fall ist jedoch unter einem anderen Gesichtspunkt ebenfalls interessant: Inwieweit durfte hier das Landgericht Essen eine öffentliche Fahndung anordnen? Schließlich wird hier ein Mann mit entblößtem Penis öffentlich gezeigt.

Wann und wie wird eine öffentliche Fahndung eingesetzt?

Ganz unbedenklich erscheint die Verfahrensführung der öffentlichen Fahndung nicht zu sein, denn letztendlich stellt dies einen massiven Eingriff in das grundrechtsgeschützte Recht der informationellen Selbstbestimmung dar.

Dieses Recht auf informationelle Selbstbestimmung erlaubt dem Einzelnen, selbst darüber zu entscheiden, was mit Foto- und Filmaufnahmen der eigenen Person in der Öffentlichkeit geschieht. Darunter fallen besonders die Fragen, ob überhaupt verbreitet wird und wenn ja, wo genau.

Bei einer öffentlichen Fahndung werden aber Aufnahmen des möglichen Täters oder Phantombilder ohne dessen Einwilligung in die Massenmedien eingebunden. In Fernsehsendungen wie den Nachrichten wird unter Verwendung der Aufnahmen darüber berichtet oder sie werden im Internet, unter anderem auf Facebook, Twitter oder auf den offiziellen Seiten der Ermittlungsbehörden, publiziert.

In der Praxis wird die Veröffentlichung von Täteraufnahmen aufgrund dessen eher restriktiv verwendet. In der Regel nur, wenn alle anderen Ansätze erfolglos ausgeschöpft wurden.

Dies liegt zum einem an der entsprechenden Richtlinie für Staatsanwälte, wo es heißt, dass zur Beibehaltung des öffentlichen Interesses und der Bereitschaft, Hinweise zu geben, die Methode des öffentlichen Fahndens nur ausnahmsweise genutzt werden soll.

Zum anderen ist besonders im Zeitalter des Internets eine Veröffentlichung von Aufnahmen nicht mehr rückgängig zu machen und es soll daher verhindert werden, dass unschuldige Personen voreilig zu Unrecht beschuldigt werden. Auch soll eine mögliche Resozialisierung des Täters nicht unnötig erschwert werden.

Die Erfolgsaussichten dieser Fahndungsart wurden im Übrigen erst kürzlich in Gießen unter Beweis gestellt: Es lag der Tatvorwurf des schweren sexuellen Missbrauchs eines vierjährigen Mädchens sowie die anschließende Verbreitung der dazugehörigen Aufnahmen vor. Innerhalb weniger Stunden nach der Veröffentlichung von Bildern hatten die Ermittlungsbehörden genug Informationen erhalten, um den 24-Jährigen Täter festnehmen zu können. Nun wird ein gerichtliches Verfahren eingeleitet.

Nichtsdestotrotz bedarf es aus den oben aufgeführten Gründen des starken Eingriffs in das Selbstbestimmungsrecht des vermeintlichen Täters einer umfassenden Abwägung der beteiligten Interessen und einer handfesten Begründung für die Einleitung einer öffentlichen Fahndung.

Die gesetzlichen Ermächtigungsgrundlagen

Grundsätzlich darf nur ein Richter die Genehmigung für eine solche öffentliche Fahndung erteilen. Die Staatsanwaltschaft als Ermittlungsbehörde hat dieses Recht nur bei Gefahr im Verzug, was in der Praxis eher selten vorkommt.

Gesetzlich wird zwischen unterschiedlichen Gründen der öffentlichen Fahndung unterschieden. In den §§ 131 bis 131c StPO ist beispielsweise eine Anordnung zur Festnahme oder zur Aufenthaltsermittlung möglich.

Unter welchen Voraussetzungen kann eine öffentliche Fahndung geführt werden?

Für die Erteilung der Genehmigung für eine Ermittlung zum Aufenthalt nach § 131a StPO müsste der Richter folgende Punkte beachten:

Zum einen muss ein dringender Tatverdacht vorliegen. Ein solcher liegt vor, wenn nach dem gesamten bisherigen Ermittlungsergebnis ein hoher Wahrscheinlichkeitsgrad dafür besteht, dass der Beschuldigte als Täter eine Straftat begangen hat. Dies ist im deutschen Strafprozessrecht die höchste Tatverdachtsstufe.

Zusätzlich müssen alle anderen Ermittlungsarten erheblich weniger erfolgsversprechend oder wesentlich schwerer sein. Diese Voraussetzung ist der Grund, weshalb die Ermittlungsbehörden in der Regel nur als letztes Mittel auf die öffentliche Fahndung zurückgreifen.

Schließlich bedarf es noch einer Straftat von erheblicher Bedeutung. Und genau dieser Punkt erscheint im anfangs dargestellten Fall fraglich zu sein.

Mangels eines ausdrücklichen gesetzlichen Deliktskatalogs ist die Beurteilung des Merkmals „erhebliche Bedeutung“ einzelfallabhängig.

Ein Maßstab für die Überschreitung der Erheblichkeitsschwelle könnte allerdings anhand bereits abgeurteilter Fälle abgeleitet werden

So hat das Amtsgericht Hannover (Beschluss vom 23.04.2015 – 174 Gs 434/15) beispielsweise eine Erlaubnis für die öffentliche Fahndung im Falle eines Sparkassendiebes aufgrund mangelnder erheblicher Bedeutung abgelehnt. Dem unbekannten Täter wurde der Computerbetrug gemäß § 263a StGB vorgeworfen, da er sich mithilfe einer rechtswidrig erlangten Debitkarte Zugang zu Geldausgabeautomaten verschafft hat. Die Strafandrohung wäre in diesem Fall eine Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe gewesen.

In dem U-Bahn-Treter-Fall in Berlin (Landgericht Berlin, Urteil vom 06.07.2017 – 521 KLs 10/17) wurde beispielsweise die öffentliche Fahndung erst sieben Wochen nach der Tat eingeleitet. Diese Vorgehensweise mussten die Ermittlungsbehörden aufgrund heftiger Kritik seitens der Öffentlichkeit stark verteidigen. Sie führten auf, dass eine umfassende Abwägung und Würdigung des Verfahrensstandes notwendig sei, bevor man eine öffentliche Fahndung einleiten dürfte.

Diese Beispiele führen auf, dass die notwendige Erheblichkeitsschwelle im Sinne des § 131a StPO keineswegs leicht zu erreichen ist. Es ist daher umso verwunderlicher, dass das Landgericht Essen der Ansicht ist, diese sei im vorliegenden Fall erreicht. Die Strafandrohung für exhibitionistische Handlungen im Sinne des § 183 StGB ist vergleichsweise niedrig und normiert „nur“ eine Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder Geldstrafe. Zusätzlich ist keine körperliche Verletzung oder Ähnliches erfolgt. Das Opfer hat sich durch die Handlung belästigt gefühlt, doch von einer psychischen Belastung ist mangels Hinweise nicht auszugehen.

Zwar könnte mithilfe des öffentlichen Interesses argumentiert werden, doch ein solches liegt auch bei Sparkassendieben vor.

Und zu beachten bleibt auch die Art des massiven Persönlichkeitseingriffs. Das Foto zeigt nicht nur das Gesicht des Täters, sondern seinen gesamten Körper – einschließlich des entblößten Glieds.

Inwieweit also die Führung einer öffentlichen Fahndung in diesem konkreten Fall rechtmäßig ist, bleibt abzuwarten. Eine Klage wegen Verletzung des Persönlichkeitsrechts ist nicht ausgeschlossen.


Rechtstipp aus den Rechtsgebieten

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