„Kopftuchverbot“ – Was erlaubt der EuGH Arbeitgebern?

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(aktuelle Rechtsprechung - Update unten 15.11.2021)

Das offene Tragen religiöser Symbole am Arbeitsplatz ist ein immer wiederkehrender Anlass für arbeitsrechtliche Auseinandersetzungen. In Deutschland entzündet sich der Streit regelmäßig am islamischen Kopftuch und beschäftigt die Arbeitsgerichte. Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat jetzt weitere Leitlinien gegeben, wann Arbeitgeber das offene Tragen religiöser Symbole am Arbeitsplatz untersagen können.

Der Sachverhalt

In dem ersten Fall ging es um eine Heilerziehungspflegerin, die gegen den Willen ihres Arbeitgebers während ihrer Arbeit mit Kindern weiterhin das islamische Kopftuch tragen wollte. Der Arbeitgeber hatte jedoch ein Neutralitätsgebot erlassen, das den Mitarbeitenden untersagte, gegenüber Eltern, Kindern und Dritten am Arbeitsplatz sichtbare Zeichen ihrer politischen, weltanschaulichen oder religiösen Überzeugungen zu tragen.

Im zweiten Fall klagte eine Verkaufsberaterin/Kassiererin einer Drogeriekette. Auch hier wollte die Mitarbeiterin das islamische Kopftuch am Arbeitsplatz weiter tragen, obwohl die Arbeitgeberin eine Leitlinie erlassen hatte, die das Tragen auffälliger und großflächiger Zeichen religiöser, politischer oder weltanschaulicher Überzeugungen am Arbeitsplatz untersagte.

Beide Fälle waren dem EuGH durch deutsche Gerichte vorgelegt worden (Arbeitsgericht Hamburg (erster Fall) und Bundesarbeitsgericht (zweiter Fall)). Die Gerichte wollten vom EuGH wissen, ob derartige Regelungen die Arbeitnehmerinnen nach europäischem Recht wegen ihrer Religion benachteiligen und wenn ja, ob diese Benachteiligungen ausnahmsweise gerechtfertigt sein können.

Die Entscheidung

Der EuGH sieht in dem Verbot des offenen Tragens religiöser Symbole durchaus eine Ungleichbehandlung wegen der Religion. Solch ein Verbot kann dennoch rechtmäßig sein, wenn es durch ein rechtmäßiges Ziel sachlich gerechtfertigt ist und die Mittel zur Erreichung dieses Ziels angemessen und erforderlich sind (EuGH, Urteil vom 15. Juli 2021 – C-804/18 und C-341/19). Gemünzt auf die oben genannten Fälle bedeutet das:

  1. Der Arbeitgeber muss ein sachliches Ziel verfolgen. Das kann z. B. eine Neutralitätspolitik sein, also das Ziel, gegenüber Kunden und Dritten religiös neutral aufzutreten.
  2. Der Arbeitgeber muss zudem nachweisen, dass er ein „wirkliches Bedürfnis“ hat, das Ziel zu verfolgen. In diesem Sinne muss er durch die Neutralitätspolitik die Rechte seiner Kunden wahren (z. B. die Rechte der Eltern auf eine Kindererziehung, die ihren eigenen religiösen Vorstellungen entspricht) und zugleich Nachteile davon haben, wenn er die Neutralitätspolitik nicht verfolgt (z. B. geringere Buchungszahlen in Kindertagesstätten).
  3. Darüber hinaus müssen die vom Arbeitgeber ergriffenen Maßnahmen – hier also das Verbot, religiöse Symbole offen zu tragen – geeignet sein, das Ziel zu erreichen. Von großer Bedeutung ist dabei, dass der Arbeitgeber seine Maßnahmen „kohärent und systematisch“ umsetzt.
  4. Schließlich muss der Arbeitgeber seine Maßnahmen zur Zielerreichung auf das unbedingt erforderliche Maß beschränken.

Konsequenzen für die Praxis 

Der EuGH hat die Grundsätze festgelegt, die nationalen Gerichte müssen diese jetzt auf die konkreten Fälle anwenden. Der EuGH hat jedoch klargemacht, dass eine Neutralitätspolitik nur dann ein Verbot religiöser Symbole rechtfertigen kann, wenn sie konsequent umgesetzt wird. Und jedenfalls an diesem Punkt unterscheiden sich, meinem Eindruck nach, die beiden oben dargestellten Fälle:

Während im Fall der Heilerziehungspflegerin das offene Tragen religiöser Symbole vollständig untersagt war, waren im Fall der Verkaufsberaterin nur „großflächige“ religiöse Symbole verboten. Warum jedoch ein kleines, offen getragenes christliches Kreuz religiös neutral und das Tragen eines islamischen Kopftuches die Neutralitätspflicht verletzen soll, erschließt sich nicht. Es würde auch niemand einen Schiedsrichter als neutral bezeichnen, der in einem Spiel auf seiner Kleidung das Wappen einer der beiden konkurrierenden Mannschaften trägt – egal, ob es sich um ein großes Wappen auf der Trikotvorderseite oder um ein kleines auf dem Trikotkragen handelt.

Gut möglich also, dass das Verbot im Falle der Heilerziehungspflegerin durch das Gericht als rechtmäßig bewertet wird, im Falle der Verkaufsberaterin jedoch nicht.

Letztlich ist vieles von den konkreten Einzelfällen abhängig. Eine klare Handlungsempfehlung lässt sich aber bereits gegeben: Wer das offene Tragen von religiösen Symbolen am Arbeitsplatz verbieten will, muss es vollständig tun und konsequent umsetzen. Anderenfalls ist Streit vorprogrammiert.


Link zum Urteil des EuGH vom 15. Juli 2021


UPDATE 15.11.2021: 

Das Bundesarbeitsgericht hat mitgeteilt, dass sich die Parteien im Fall der Drogeriekette verglichen haben (der Inhalt des Vergleiches ist nicht öffentlich bekannt), das Bundesarbeitsgericht muss in dieser Sache also keine Entscheidung mehr treffen.


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