Landgericht Berlin: Schutz älterer Mieter. Härtefall bei der Eigenbedarfskündigung.

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Das Land­ge­richt Ber­lin (Urt. v. 25.05.2021; AZ: 67 S 345/18) stärkt mit einem ak­tu­ellen Ur­teil den Schutz alter und am Wohn­ort ver­wur­zel­ter Mie­ter vor Ei­gen­bedarfskün­di­gun­gen. Sol­che Mie­ter könn­ten auch dann einen An­spruch auf Fort­set­zung des Miet­ver­hält­nis­ses haben, wenn bei ihnen keine er­heb­li­chen ge­sund­heit­li­chen Be­ein­träch­ti­gun­gen hin­zu­kä­men. Ver­mie­ter müss­ten dann be­son­ders ge­wich­ti­ge per­sön­li­che oder wirt­schaft­li­che Nach­tei­le für den Fall des Fort­be­stan­des des Miet­ver­hält­nis­ses gel­tend ma­chen.

Das Amtsgericht Mitte hatte eine Räumungsklage abgewiesen. Die dagegen erhobene Berufung hatte zunächst keinen Erfolg. Das LG Berlin wies sie 2019 mit der Begründung zurück, der Beklagten stehe gemäß § 574 Abs. 1 Satz 1 BGB allein aufgrund ihres hohen Lebensalters ein Anspruch auf eine zeitlich unbestimmte Fortsetzung des Mietverhältnisses zu. Gegen dieses Berufungsurteil des LG Berlin legte die Klägerin Revision ein. Der BGH hob das LG-Urteil daraufhin teilweise auf und verwies die Sache zurück. Das hohe Alter eines Mieters begründe allein und ohne weitere Feststellungen zu den sich hieraus ergebenden Folgen für den betroffenen Mieter grundsätzlich noch keine Härte. Zudem hänge eine tiefe Verwurzelung des Mieters am Ort der Mietwohnung maßgeblich von der individuellen Lebensführung des jeweiligen Mieters ab.

Räumungsklage erneut zurückgewiesen.

Das LG Berlin hat die Berufung der Klägerin jedoch erneut zurückgewiesen. Dabei ließ es dahinstehen, ob die von der Beklagten behaupteten gesundheitlichen Beeinträchtigungen tatsächlich derartig erheblich sind, wie vom AG angenommen. Denn Mieter könnten sich im Einzelfall auch ohne gesundheitliche Beeinträchtigungen berechtigt auf eine Fortsetzung des Mietverhältnisses berufen. Dies gelte jedenfalls dann, wenn sich der Mieter zum Zeitpunkt des Wohnungsverlustes bereits in einem hohen Lebensalter befinden und zudem aufgrund eines langjährigen Mietverhältnisses tief am Ort der Mietsache verwurzelt ist. Diese Voraussetzungen hat das LG nach erneuter Tatsachenfeststellung im zugrunde liegenden Fall für gegeben erachtet. Die Folgen des Wohnungsverlustes seien für die Beklagte so schwerwiegend, daß sie auf eine Verletzung ihrer durch Art. 1, Abs. 1 GG garantierten Menschenwürde hinausliefen. Die Interessen der klagenden Vermieterin müssten dahinter zurückstehen. Das LG hat die erneute Revision zum BGH nicht zugelassen. Es merkt an, daß gegen die Nichtzulassung einer Revision grundsätzlich Beschwerde beim BGH eingelegt werden könne.

Der BGH hat bereits teilweise die Anforderungen an den Eigenbedarf gelockert.

Der BGH hat in letzter Zeit die Anforderungen an den Eigenbedarf gelockert oder ausgeweitet. So hat der BGH entschieden (Urt. v. 29.03.2017; AZ: VIII ZR 45/16), daß es - entgegen einer verbreiteten Praxis - nicht zulässig ist, den Berufs- oder Geschäftsbedarf als ungeschriebene weitere Kategorie eines typischen Vermieterinteresses an der Beendigung eines Wohnraummietverhältnisses zu behandeln.

So weise der Entschluss eines Vermieters, die Mietwohnung nicht nur zu Wohnzwecken zu beziehen, sondern dort zugleich überwiegend einer geschäftlichen Tätigkeit nachzugehen (sog. Mischnutzung), eine größere Nähe zum Eigenbedarf nach § 573, Abs. 2, Nr. 2 BGB auf, da er in solchen Fallgestaltungen in der Wohnung auch einen persönlichen Lebensmittelpunkt begründen will. In diesen Fällen werde es regelmäßig ausreichen, daß dem Vermieter bei verwehrtem Bezug ein beachtenswerter Nachteil entstünde - was bei einer auf nachvollziehbaren und vernünftigen Erwägungen der Lebens- und Berufsplanung des Vermieters häufig der Fall sein dürfte. Entsprechendes gilt, wenn die Mischnutzung durch den Ehegatten oder Lebenspartner des Vermieters erfolgen solle.

Entscheidend ist der Einzelfall. Eigenbedarf und Schadensersatz.

Die Gerichte haben im Einzelfall festzustellen, ob ein berechtigtes Interesse des Vermieters an der Beendigung des Mietverhältnisses besteht (§ 573, Abs. 1 Satz 1 BGB).

Eigenbedarf setzt (Stellvertretend für viele: Entscheidung des BGH vom 16.12.2009; Az. VIII ZR 313/08) voraus, daß der Vermieter den Selbstnutzungswunsch ernsthaft beabsichtigt und die Wohnung benötigt. Der bloße Wunsch, in den eigenen vier Wänden zu wohnen, reicht nicht aus. Eigenbedarf liegt erst dann vor, wenn der Vermieter vernünftige und nachvollziehbare Gründe nennen kann, warum er oder eine begünstigte Person die Wohnung beziehen will. Die Eigenbedarfskündigung für Wohnraum ist in §§ 573, 573c BGB geregelt. Ein Vermieter, der schuldhaft eine Kündigung wegen Eigenbedarfs ausspricht, der in Wahrheit nicht besteht, ist dem Mieter gemäß § 280 Abs. 1 BGB zum Ersatz des daraus entstehenden Schadens verpflichtet. Dazu kann gehören: Höhere Neumiete, Maklerkosten, Umzugskosten. Dieser Schaden ist regelmäßig erheblich. Der Tatbestand des Betruges kann erfüllt sein. Mietervereine gehen davon aus, daß 20% der Eigenbedarfskündigungen vorgetäuscht sind.

Der sogenannte Härtefall

Die Beendigung des Mietverhältnisses bedeutet dann eine nicht zu rechtfertigende Härte für den Mieter, wenn die Kündigung auch unter Würdigung der berechtigten Interessen des Vermieters nicht zu rechtfertigen ist, bzw. angemessener Ersatzwohnraum unter zumutbaren Bedingungen nicht zu beschaffen ist (§ 574 BGB).

Verschärfung der Anforderungen an die Härtefallprüfung.

Der BGH (Urteile v. 22.05.2019, Az. VIII ZR 180/18 und VIII ZR 167/17) hat seine Rechtsprechung am Mittwoch präzisiert und dazu im Wesentlichen ausgeführt, daß viele Gerichte diese Prüfung nicht in gebotener Tiefe durchführen. Denn auf beiden Seiten seien Grundrechtsgüter von staatlicher Seite, und damit auch von den Gerichten, zu berücksichtigen. Für den Vermieter spreche das Recht auf Eigentum, für den Mieter hingegen das Recht auf Gesundheit. In beiden Fällen ging es um hochbetagte Mieter, die schon über 40 Jahre die streitgegenständlichen Immobilien bewohnten.

Ausschlaggebend: Sachverständigengutachten.

Zu prüfen ist also z. B., welche physischen Verschlechterung für den Mieter eintreten. Auch psychische Gründe können ausschlaggebend sein. Der BGH weist auf eine seiner früheren Entscheidung hin, nach der bei entsprechendem Sachvortrag des Mieters das Gericht stets durch Sachverständigengutachten die gesundheitlichen Umzugsfolgen zu prüfen habe. Insbesondere müsse festgestellt werden, wie schwer die Gesundheitsbeeinträchtigungen sein und mit welcher Wahrscheinlichkeit sie eintreten könnten.

Das Sachverständigengutachten bewertet die besondere Härte des Einzelfalles, da hohes Alter oder lange Mietdauer regelmäßig nicht pauschal für eine besondere Härte sprechen. Erforderlich ist ein qualifizierter Sachvortrag des Mieters mit Vorlage von ärztlichen Attesten, die eine Überprüfung des Gesundheitszustandes erforderlich machen. 


Rechtsanwalt Holger Hesterberg

Bundesweite Tätigkeit. Mitgliedschaft im Deutschen Anwaltverein


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