LG Berlin hilft schlecht beratenen Versicherungsnehmern

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LG Berlin hilft schlecht beratenen Versicherungsnehmern

Eine sehr versicherungsnehmerfreundliche Sicht hat das LG Berlin in einem kürzlich veröffentlichtem Urteil (vom 25.1.2013, 23 O 238/11, abgedruckt in r+s 2014, 7) vertreten, die - sollte sich die Rechtsansicht durchsetzen - zu einem großen Haftungsproblem für viele Versicherungsvermittler und Versicherer führen kann.

Der Sachverhalt war wenig spektakulär und findet so jeden Tag hundertfach in Deutschland statt. Der klagende Versicherungsnehmer war seit 1992 privat krankenversichert. Durch eine Werbung aufmerksam gemacht, forderte er 2009 von einem Versicherungsvertreter des beklagten Versicherers ein Angebot über eine private Krankenversicherung an. Er beantragte dann auf einem Formular der Beklagten eine private Kranken- und Pflegeversicherung. Dabei wurde der Antrag - wie es allgemein üblich ist - von dem Versicherungsvertreter ausgefüllt. Der Kläger beantwortete lediglich die ihm mündlich gestellten Fragen. Anschließend unterzeichnete er den Antrag.

2010 erlitt der Kläger einen Schlaganfall. Die Beklagte prüfte daraufhin ihre Leistungspflicht und erklärte wegen vorvertraglicher Anzeigepflichtverletzung den Rücktritt, hilfsweise die Kündigung vom Vertrag. Sie stützte sich dabei darauf, dass ihr bestimmte Behandlungen entgegen der Antragsfragen nicht angezeigt worden waren.

Das LG Berlin gab der Klage auf Erbringung der Versicherungsleistung und auf Feststellung, dass der Versicherer zum Schadenersatz wegen einer Falschberatung bei Vertragsschluss verpflichtet ist, statt.

Bemerkenswert ist das kurz gefasste Urteil dabei in zwei Punkten.

So sprach das LG Berlin dem Versicherer schon das Recht zum Rücktritt ab. Das Gesetz sehe nämlich vor, dass der Versicherungsnehmer nur diejenigen Fragen beantworten müssen, die ihm in Textform gestellt wurden. Viele Versicherer haben dabei ihren Vertrieb so organisiert, dass die jeweiligen Antragsbögen am Computer ausgefüllt und dem Versicherungsnehmer am Ende ausgedruckt und mit der Bitte um Durchsicht zur Unterschrift vorgelegt werden. Das LG Berlin vertrat nun die Ansicht, dass Voraussetzung für die Erfüllung des Textformerfordernisses sei, dass der zukünftige Versicherungsnehmer während der Beantwortung der Fragen mitlesen könne, die Fragen ihm also verkörpert vor Augen sind. Das reine Vorlesen - wie es in der Praxis oft erfolgt - reicht hierfür nicht aus. Da im Verfahren nicht vorgetragen wurde, dass dem Kläger die Fragen in Textform vorlagen, verlor der Versicherer das Rücktrittsrecht, so dass es auf die Frage, ob der Kläger Fragen falsch beantwortet hatte, nicht mehr ankam.

Der zweite Teil des Urteils befasst sich mit den Beratungspflichten eines Versicherers bei Umdeckung einer privaten Krankenversicherung. Dabei stellte das Gericht fest, dass bei Umdeckung einer länger laufenden privaten Krankenversicherung zwingend darüber aufzuklären ist, dass mit dem Wechsel des Versicherers die bislang angesparten Altersrückstellungen verloren gehen und als Folge davon die Prämien beim neuen Versicherer wegen des Alters deutlich schneller und höher steigen können als beim alten Versicherer. Da hierüber unstreitig nicht aufgeklärt wurde, spricht die Vermutung dafür, dass der Versicherungsnehmer bei ordnungsgemäßer Aufklärung vom Abschluss abgesehen hätte. Es wurde daher festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, den aus der Falschberatung resultierenden Schaden zu ersetzen. Dies beinhaltet, dass sie die Prämiendifferenz zwischen den alten und dem neuen Versicherer zukünftig ersetzen muss.

Das Urteil befasst sich mit zwei in der Praxis bedeutsamen Fragestellungen und kann große Auswirkungen haben. Da ein Großteil der Versicherer den Vertrieb so organisiert hat, dass den Anforderungen des Urteils zur Wahrung der Textform nicht genügt wird, stellt sich somit in allen Rücktrittsfällen wegen vorvertraglicher Anzeigepflichtverletzung - einem Dauerbrenner im Personenversicherungsrecht - die Frage, ob das Rücktrittsrecht überhaupt besteht. Infolgedessen steigen in derartigen Auseinandersetzungen die Chancen der Versicherungsnehmer. Allerdings, dass sei erwähnt, ist die vom LG Berlin vertretene Rechtsansicht nicht unumstritten und ein Urteil des BGH zu dieser Frage fehlt bislang.

Berücksichtigt man, dass in den letzten Jahren Neugeschäft für private Krankenversicherer größtenteils nur über Umdeckungen zu erzielen war und dass eine Aufklärung über die Nachteile praktisch nie erfolgt ist, dürften hier noch viele Haftungsfälle für die Versicherer und die Versicherungsvertreter schlummern. Das Urteil zeigt allerdings auch ein Problem auf. Zwar wird der Versicherer und Vermittler regelmäßig dem Grunde nach zu Schadenersatz verurteilt. Zur Bezifferung des Schadens, nämlich der Differenz der Beiträge in der Zukunft, benötigt der Versicherungsnehmer aber eine Auskunft des Vorversicherers. Ob dieser die Auskunft regelmäßig bereitwillig erteilen wird und ob ein diesbezüglicher Anspruch aus dem beendeten Versicherungsvertrag besteht, ist bislang noch offen.

RA Heiko Effelsberg, LL.M.

Fachanwalt für Versicherungsrecht


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