Loyalitätskonflikt und Kindeswohl im familiengerichtlichen Verfahren

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Nach der Trennung ihrer Eltern fühlen sich Kinder häufig zerrissen. Sie sehen sich Veränderungen in ihrem Leben ausgesetzt, die sie schnell überfordern und verängstigen. Ein Auseinanderfallen der bestehenden Familienkonstellation kann für die Kinder zu enormen Umbrüchen führen. Nicht selten leiden die Bindungen zu Eltern, aber auch Geschwistern, Großeltern und bei einem Wegzug auch zu den Freunden des Kindes.

Deswegen ist es von großer Bedeutung, dass die Trennung der Eltern für die Kinder so schonend wie möglich vollzogen wird. Essenziell dafür ist, dass Eltern ihre Kinder nicht in einen sog. Loyalitätskonflikt verwickeln.

1. Was ist unter einem Loyalitätskonflikt zu verstehen?

Bei einem Loyalitätskonflikt handelt es sich um einen inneren Konflikt, der dadurch entsteht, dass die betroffene Person den Vorstellungen und Wünschen von weiteren Personen gerecht werden will, die sich gegenseitig ausschließen.

Bei Kindern sind dies meist die unterschiedlichen Vorstellungen der Eltern, die die Kinder vor den beschriebenen inneren Konflikt stellen. Häufig glauben sie, sich nach einer Trennung zwischen ihren Eltern entscheiden zu müssen. Beobachtet wird auch, dass Kinder dazu neigen können, zu versuchen, ihre Eltern durch eine gelebte Überkorrektheit gleich zu behandeln. Sie kommen dann sehr schnell an ihre Grenzen, da dies ein unmögliches Vorhaben ist.

Gleichzeitig versuchen betroffene Kinder immer weiter, ihre Elternteile nicht zu verletzten oder zu kränken. Häufig trauen sich Kinder und Jugendliche nicht, mit Ihren Eltern das Gespräch über etwaige Betreuungsmodelle oder ihren Lebensmittelpunkt zu suchen, da sie eine Konfrontation befürchten oder den jeweiligen Elternteil nicht enttäuschen wollen.

Dies führt dann dazu, dass von Trennungen betroffene Kinder sich nicht frei und in der Lage fühlen, gegenüber ihren Eltern ihre Gefühle, Wünsche, Sehnsüchte und Sorgen offen zu kommunizieren.

In diesen Fällen wird beobachtet, dass Kinder dann beginnen, sich für das Wohlbefinden ihrer Elternteile verantwortlich zu fühlen, obwohl sie hierzu entwicklungsbiologisch noch gar nicht in der Lage sind (sog. Parentifizierung).

2. Die Rolle der Eltern im Loyalitätskonflikt

Die Haltung der Eltern und der Inhalt ihrer Kommunikation mit dem Kind spielen eine erhebliche Rolle für die positive oder negative Entwicklung des Kindes in der Trennungsphase. Sofern Eltern bei Ihrem Kind (bewusst oder unbewusst) einen bestehenden Loyalitätskonflikt bestärken oder intensivieren, kann dies zu erheblichen Gefährdungen der körperlichen und seelischen Entwicklung des Kindes führen. Bei festgestellter oder offensichtlicher Verstärkung eines Loyalitätskonflikts bei einem Kind kann von dem Bestehen einer Kindeswohlgefahr ausgegangen werden.

3. Bedeutung im familiengerichtlichen Verfahren

Im Rahmen familiengerichtlicher Auseinandersetzungen spielen bestehende oder behauptete Loyalitätskonflikte eine erhebliche Rolle. Häufig können sich die erkennenden Richter_innen erst dann Klarheit über die innere Situation der Kinder verschaffen, wenn über die entsprechende Frage ein Sachverständigengutachten eingeholt wurde.  

a. Bedeutung im Umgangsverfahren

Die Anordnung eines beschränkten oder begleiteten Umgangs kann drohende Gefährdungen für das Wohl des Kindes verhindern und gleichzeitig sicherstellen, dass das Umgangsrecht eines Elternteils, welches verfassungsrechtlich geschützt ist, überhaupt möglich wird. Neben dem Ausschluss des Umgangs können als mildere Mittel die Einschränkung des Umgangs oder dessen Durchführung in begleiteter Form angeordnet werden.

Im Umgangsverfahren ist häufig zu prüfen, inwiefern ein ernsthaft von dem Kind geäußerter Widerstand gegen den Umgang mit dem anderen Elternteil zu berücksichtigen ist. Wenn im Rahmen der Tatsachenermittlung dann klar wird, dass ausweislich des Sachverständigengutachtens das Kind seinen Willen gerade nicht autonom gebildet hat, sondern sich im Loyalitätskonflikt befindet und nur Stress vermeiden wollte, so wird der Kindeswille unter Umständen für die zu beschließende Umgangsregelung nicht zu beachten sein (vgl. OLG Saarbrücken, Beschluss vom 09.11.2018 - 6 UF 111/18). Wichtig zu wissen: Es handelt sich bei den gerichtlichen Entscheidungen immer um Einzelfallentscheidungen, bei welchen verschiedene Aspekte des Kindeswohls und äußere Umstände gegeneinander abgewogen werden.

Ein befristeter Ausschluss des Umgangsrechts kommt nach der Rechtsprechung etwa auch dann in Frage, wenn ein Elternteil das Kind dauerhaft in einen Loyalitätskonflikt bringt, nicht akzeptieren will, dass der Lebensmittelpunkt des Kindes bei dem anderen Elternteil liegt und Maßnahmen der Erziehungsberatung von Bedingungen abhängig macht (vgl. OLG Nürnberg Beschl. v. 9.8.2007 – 11 UF 305/07).

b. Bedeutung im Sorgerechtverfahren

Auch in sorgerechtlichen Verfahren spielen Loyalitätskonflikte häufig eine Rolle. Es geht bei sorgerechtlichen Regelungen um die Frage, welche Regelung (der elterlichen Sorge) dem Wohl des Kindes am besten entspricht. Neben weiteren Kriterien findet auch der geäußerte Kindeswille bei der gerichtlichen Entscheidung Berücksichtigung.

Die Berücksichtigung des Kindeswillens ist jedoch auch hier umso problematischer, je tiefer sich das Kind in einem Loyalitätskonflikt befindet. Das Kind kann in diesen Fällen – auch abhängig von seinem Alter – überfordert sein, wenn ihm eine Willensäußerung abverlangt wird, und kann dadurch, dass vorrangig auf andere Kriterien abgestellt wird und letztlich dadurch, dass „die Erwachsenen die Entscheidung zu treffen haben“, entlastet werden (vgl. OLG Köln (10. Zivilsenat), Beschluss vom 04.11.2015 - 10 UF 123/15 für ein 7-jähriges Kind, das mit der Aussage zitiert wird: „Mama und Papa verwirren mich total, die machen mich schwindelig“.)

Dem geäußerten Willen eines auch bereits 16-jährigen Kindes zur Ausübung des Sorgerechts ist nach der Rechtsprechung nicht zu folgen, wenn der geäußerte Kindeswille aus einem erheblichen Loyalitätskonflikt heraus geäußert werde, den es selbst nicht lösen könne. In einem solchen Fall sei die Entscheidung deshalb vom Familiengericht unabhängig von diesem geäußerten Willen und allein nach Gesichtspunkten des Kindeswohls zu treffen. Die Bemerkung des Kindes, entweder sollten beide Eltern oder keiner von beiden das Sorgerecht ausüben, lasse auf einen solchen für das befragte Kind unlösbaren Loyalitätskonflikt schließen (OLG Köln (4. Zivilsenat), Beschluss vom 28.08.2008 - 4 UF 102/08).

4. Gefahr des Überstrapazierens des Begriffs des Loyalitätskonflikts

Ähnlich wie der Begriff der Bindungsintoleranz, wird der Begriff des Loyalitätskonflikts nur allzu schnell in familiengerichtliche Verfahren eingeführt. Schnell kommt es zu Schuldzuweisungen und Stigmatisierungen einzelner Elternteile, obwohl bei neutraler Betrachtung die Grenze zu der Verursachung eines Loyalitätskonflikts noch nicht erreicht ist. Hier ist Vorsicht geboten, denn auch der übereilte oder unbedachte Vorwurf kann sich für den beschuldigenden Elternteil negativ im Verfahren auswirken. Gleichzeitig dürfen Warnsignale nicht übersehen und bei bestehendem Loyalitätskonflikt auf dessen Auswirkungen auf das Kindeswohl vehement hingewiesen werden.

5. Handlungsempfehlungen an Eltern

Falls Sie sich nicht sicher sind, ob Ihr Kind unter den Folgen eines Loyalitätskonflikts leidet, ist es stets empfehlenswert die Problematik mit allen befassten Helfersystemen (d.h. Jugendamt, Ärzte, Psychotherapeuten, Familientherapeuten usw.) ergebnisoffen zu besprechen.

Seien Sie selbst auch offen für Anregungen, wie Sie Loyalitätskonflikte vermeiden können. Häufig ist bereits eine dem anderen Elternteil gegenüber wohlwollende und vermittelnde Ausdrucksweise hilfreich, denn Kinder beobachten die Kommunikation ihrer Eltern. Sie sollten auch niemals Themen des Paarkonflikts mit ihren Kindern besprechen oder ihrem Kind Entscheidungen („Wo willst du künftig wohnen?“) abverlangen, die es nach seinem Entwicklungsstand noch gar nicht treffen kann.

Falls bei Ihnen Unsicherheiten hinsichtlich der Notwendigkeit eines gerichtlichen Antrags oder genereller Beratungsbedarf zu Loyalitätskonflikten in familienrechtlichen Verfahren besteht, kontaktieren Sie mich gerne direkt über anwalt.de.


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