Kindeswohl und Wechselmodell

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Wenn sich Eltern trennen, lautet oftmals die Frage: Lebt das Kind/leben die Kinder zukünftig bei Vater oder Mutter? Traditionell wachsen in Deutschland Trennungskinder bei ihrer Mutter auf und haben Umgang mit ihrem Vater – etwa an jedem 2. Wochenende, in den Ferien und bei besonderem Anlass.

Der Europarat forderte bereits im Oktober 2015 alle Mitgliedsstaaten auf, die Doppelresidenz (bei uns besser bekannt unter dem Begriff Wechselmodell) – also die Betreuung von Trennungskindern durch beide Elternteile in im grundsätzlich gleichen Maß – als Vorgabe im Gesetz zu verankern.

In Skandinavien ist dieses Modell inzwischen Standard. In Deutschland begegnen ihm die Gerichte aber auch Eltern mit Skepsis.

Eine gesetzliche Regelung existiert bei uns nicht. Einigen sich beide Elternteile, so gibt es auch heute schon gelebte und funktionierende Modelle. Probleme des Melderechts, des Kindergeldes und der materiellen Versorgung des Kindes – „Wer bezahlt die neuen Schuhe oder übernimmt die Kosten der Klassenfahrt?“ – werden einvernehmlich untereinander geklärt.

Eine Anordnung des Wechselmodells durch das Familiengericht gegen den Willen eines Elternteils schied nach bisheriger Rechtsprechung aus.

Der Bundesgerichtshof hat erstmals im Februar 2017 entschieden, dass die Anordnung des Wechselmodells auch gegen den Willen eines Elternteils in Betracht komme – auch in einem Verfahren zur Regelung des Umgangs. Dabei handle es sich immer um Einzelfallentscheidungen – orientiert am Wohl des betroffenen Kindes.

Das Gericht weist darauf hin, dass mit der Doppelresidenz jedoch höhere Anforderungen an Kind und Eltern gestellt würden. Räumliche Nähe der elterlichen Haushalte, geeignete äußere Rahmenbedingungen und eine entsprechende Kooperations- und Kommunikationsfähigkeit seien Voraussetzung. Bei hohem Konfliktniveau der Eltern entspreche ein Wechselmodell nicht dem Kindeswohl.

Gerade mit dieser notwendigen Kooperations- und Kommunikationsfähigkeit lässt der BGH den Familiengerichten Raum für eine einzelfallbezogene Ablehnung des Antrags.

Im Verfahren den anderen Elternteil schlechtzumachen oder eine „Schlammschlacht“ im Gerichtssaal zu führen, wird eher zu einer Versagung des Wechselmodells führen.

Beachtlich ist die Äußerung des BGH, dass bereits das Festhalten des Kindesvaters an einem Wechselmodell unter Ablehnung anderer Optionen dagegenspreche, dass der Kindesvater das Kindeswohl ausreichend im Auge habe. Diese Gratwanderung zwischen klarer Positionierung, Kompromissbereitschaft und Richtigstellung falscher Behauptungen bedarf Fingerspitzengefühl und guter Vorbereitung im Verfahren und – nicht zuletzt – immer wieder eines Blicks auf das Kind, um dessen Wohl und Wehe es vorrangig geht.

Hilfreich für eine gesellschaftliche Akzeptanz des Wechselmodells wäre eine gesetzliche Regelung – wie vom Europarat bereits 2015 gefordert.


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