Mehr Schein als Sein? Hat Network-Marketing wie Tupperware Zukunft?

  • 5 Minuten Lesezeit

Die Krise des ersten und damit ältesten sowie bekanntesten weltweiten Party-Vertriebsunternehmens lässt wieder Fragen über die Zukunft des dahinterstehenden Direktvertriebsmodells aufkommen.

Wo liegen gemäß den Erfahrungen des Autors aus der mehr als 20-jährigen rechtlich-organisatorischen Begleitung von Direktvertriebsunternehmen Stärken und Schwächen und wie kann Network für alle Beteiligten zum Erfolg führen?

In der durchrationalisierten Welt der Onlineshops und Online-Marktportale wie Amazon und Ebay wird gerne der entscheidende Nachteil des rein elektronischen Vertriebs übersehen:

Menschen kaufen nach wie vor am liebsten bei Menschen.

Wer schon einmal unerwartet in einem leeren Verkaufsraum stand, weil das Beratungs- und Verkaufspersonal abwesend war, kann bestätigen: Es fehlt etwas. Und das ist nicht nur die Beratung, sondern auch der emotionale Teil des Kaufens, der mit „Einkaufserlebnis“ umschrieben wird. 

Kein noch so gutes Callcenter und erst recht kein Chatbot können es digital ersetzen.

Die Kaufentscheidung ist - wissenschaftlich belegt - immer emotional gesteuert.

Und genau hier liegt bereits der entscheidende Mehrfachvorteil des Direktvertriebs: 

Richtig angelegt, kann Direktvertrieb den Kunden eine schnelle Versorgung mit Online-Bestellsystemen ohne Wege und Transportaufwand ermöglichen und dabei gleichzeitig die persönliche Betreuung und Beratung durch das Vertriebspartnerunternehmen sicherstellen:

Die perfekte Kombination von Vorteilen für die moderne Konsumgesellschaft

Gerade bei beratungsbedürftigen Produkten wie Funktionskosmetika, deren sichere Anwendung auch einen vorherigen Test voraussetzt, hat ein reiner Onlineshop entscheidende Nachteile. Aber es gibt auch andere erklärungsbedürftige Produkte, die nur mit Textbeschreibungen kaum verkäuflich sind.

Außerdem sind die Markteinstiegsinvestitionen nicht vergleichbar. Daher überrascht es nicht, dass gerade innovative, bisher unbekannte Produkte in den letzten Jahrzehnten praktisch immer über Direktvertriebe erfolgreich etabliert wurden. Das aktuell bekannteste Beispiel ist der Thermomix des deutschen Direktvertriebs-Urgesteins Vorwerk, einem mittlerweile großen Konzern.

Bei vielen modernen Direktvertriebsunternehmen, die ihr Marketing überwiegend in einem offenen Netzwerksystem organisieren, ist die hocheffektive Kombination aus persönlicher Verkaufsberatung und Kundenbetreuung mit effektiver Onlinebestellung längst Standard geworden. Rein äußerlich unterscheidet sich die Webpräsentation mit Bestellmöglichkeit daher nicht von einem Onlineshop. Der einzige Unterschied ist die zwingende Zuordnung der Bestellung zu einem bestimmten Vertriebspartnerunternehmen, das anstelle des sonst agierenden Händlers keine betragsoffene Handelsspanne, sondern eine Provision erhält.

Aber auch für die vielen originär in der EU gegründeten und über Jahrzehnte gefestigten, hochseriösen Direktvertriebsunternehmen mit Network-Vertriebssystem ist die Tupperware-Krise Anlass, die eigene Organisation auf Modernisierungsmöglichkeiten und eine bessere Anpassung an veränderte Erwartungen und Marktumstände zu prüfen:

Aber wo liegen Nachteile und Risiken und wovon hängt dauerhafter Erfolg ab?

Wenn - wie auch bei Tupperware nach wie vor - hochqualitative, haltbare und dennoch innovative, damit marktfähige Produkte angeboten werden, kann der Erfolg eines Unternehmens ganz logisch nur von seiner Organisation und der Stellung im Markt abhängen.

Nach wie vor ist Hintergrund ein wesentliches Erfolgshindernisses der kulturelle Zwiespalt zwischen den Kulturen in der EU und dem Ursprung der Direktvertriebe in den USA. Vor allem die Network-Vertriebssysteme, bei denen neben der Kundenwerbung auch die Anwerbung neuer Vertriebspartner vollständig den bestehenden überlassen wird, zeigen die klassischen Merkmale radikaler Wettbewerbs- und Erfolgsbindung. Das Herstellerunternehmen stellt allenfalls eine Internetpräsentation und die Lieferlogistik zur Verfügung, evtl. ergänzt durch Werbematerialien und gelegentliche Präsentationsveranstaltungen, deren Kosten aber konsequent auf die Vertriebspartner umgelegt werden.

Das Unternehmen überlässt beim Network-Marketing den Kundenaufbau und sogar den Aufbau des Vertriebs insgesamt den Vertriebspartnerunternehmen und beschränkt sich prinzipiell auf die Produktentwicklung, Produktion und Logistik. Diese Organisation passt zu einer 

traditionellen und geachteten Salesman-Kultur in den USA, verbunden mit dem Spirit einer auf Fleiß und gute Produkte aufgebauten Karriere „aus dem nichts“, während es hierzulande und in Nachbarländern immer noch eine eher negative Bezugnahme auf „fahrende Händler“ oder „Hausierer“ gibt.

Solche unsachlich und rein negativ bewerteten,  historischen Bezugnahmen verstellen allerdings nur den klaren Blick auf die tatsächlich wesentlichen Erfolgsfaktoren und Risiken, genau wie die grob unsachliche Pauschalisierung des Network-Marketings auf die einzelne illegale Schneeballsysteme oder Pilotenspiele, bei denen nicht der Vertrieb werthaltiger Produkte, sondern im Wesentlichen nur das Anhäufen von Kopfprämien für hinzugewonnene Teilnehmer „nach oben“ beabsichtigt.

Damit haben hierzulande typische, familiär begründete, mittelständische Anbieter nichts zu tun. Bei einer weitgehend unbeeinflussten, selbständigen Tätigkeit von Vertriebspartnern muss es aber in jedem Fall bleiben, und das nicht nur zur sozialversicherungsrechtlichen Abgrenzung von Scheinselbständigkeit.

Bewertungen sollte man daher auf Fakten und einer fachkundigen Analyse begründen, um echte Erfolgsaussichten eines bestehenden oder geplanten Network-Vertriebs abschätzen zu können:

Was macht ein nachhaltig erfolgreiches Direktvertriebsunternehmen aus?

Wie in allen Branchen und für jede Vertriebsorganisation gibt es sachliche Kriterien, nach denen Unternehmen bewertet werden können.

Klar ist, dass Unternehmen, die offensichtlich Verbraucherrechte missachten und deshalb nicht einmal einen ordentlichen Geschäftssitz in der EU unterhalten, sich also offensichtlich auch sonst jeder rechtlichen Kontrolle über einen  Zugriff der Justiz entziehen wollen, für einen Existenzaufbau ausscheiden. Passend dazu sind bei solchen Anbietern die Produkte meist wegen Rechtsverstößen nicht verkehrsfähig, Produktbeschreibungen unvollständig und Shopsysteme rechtswidrig gestaltet. So wie mit Kunden gehen diese unseriösen Anbieter dann früher oder später auch mit den angeworbenen Vertriebspartnern um.

Bestimmende Faktoren für nachhaltig erfolgreiche Unternehmens sind im Übrigen neben der Qualität der Produkte die Funktion der vielfältigen Organisationsvarianten, die sich grundlegend aus den meist als über Allgemeine Geschäftsbedingungen (AGB) festgeschriebenen Vertriebsverträgen ergeben.

Die allermeisten werden bei der Frage eines Einstiegs in einen Network-Vertrieb neben den angebotenen Produkten das Provisionssystem als Grundlage des angestrebten Einkommens unter die Lupe nehmen. Es nennt sich meist Marketingplan oder Vergütungsplan und regelt neben Provisionen für vermittelte Produktverkäufe oder manchmal auch mögliche Eigenverkäufe gegen Handelsspannen auch die Provisionen, die für die Umsätze nachgeordneter Vertriebspartner gezahlt werden. Denn nach dem System des Network-Marketings fallen – geringere - Provisionen auch als Gegenleistung für das Anwerben und Betreuen weiterer Vertriebspartner, die so genannte Sponsorentätigkeit umsatzabhängig an.

Aber auch die weiteren Vertragsbestimmungen sind relevant.

So bieten Unternehmen weniger Sicherheit, die sich eine befristete, aber sonst nach den gesetzlichen Grundlagen mögliche ordentliche Kündigung vorbehalten. Diese ist generell möglich.

Ein Bestandsschutz muss also durch einen Verzicht auf das Kündigungsrecht in den Verträgen festgeschrieben sein. Sonst können Vertriebspartner ihre mühsam aufgebaute Existenzgrundlage unverschuldet verlieren – allenfalls gegen eine geringe Entschädigung. Zudem sollte ein effektiver vertraglicher Schutz gegen Abwerbung von Interessenten und anderen wettbewerbsverzerrenden Methoden bestehen. 

Es lohnt also auch für Interessenten in jedem Fall, eine anwaltliche Vertragsprüfung und Vertragsanalyse in Auftrag zu geben.

Unternehmen, die an die Eröffnung eines erfolgreichen Direktvertriebs denken, sollten umso mehr auf mit Erfahrung und für Laien verständlich gestaltete Vertragsgrundlagen setzen. So schafft man Erfolg über das Engagement der Vertriebspartner, für das Vertrauen die ganz wesentliche Grundlage ist.

Denn die Verträge schaffen auch Sicherheit vor unlauterer Beeinflussung des Wettbewerbs in den Vertriebssystemen und Provisionsmanipulation. Gerade die Network-Vertriebe leben von legal, aber sonst weitgehend alleine oder in Teams frei agierenden Vertriebspartnern, die sich an unterschiedliche gesellschaftliche Zielgruppen mit vielfältigen Werbemethoden ungestört anpassen und so ihre ganz individuelle Erfolgsmethode entwickeln können.

Verträge sind so neben den angebotenen Produkten das wesentliche Fundament eines erfolgreichen Direktvertriebs.

Foto(s): Frau am Pool: Maridav, Shutterstock 1145748266, Frau Mit Kaffee: Shutterstock Bild ID: 1170107968 paulaphoto

Rechtstipp aus den Rechtsgebieten

Artikel teilen:


Sie haben Fragen? Jetzt Kontakt aufnehmen!

Weitere Rechtstipps von Rechtsanwalt Stefan Musiol

Beiträge zum Thema