Mitgliederversammlungen und Vorstandssitzungen in Krisenzeiten

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Wie Vereine und Stiftungen trotz Corona handlungsfähig bleiben

Die Corona-Pandemie hat die Welt seit einigen Wochen fest im Griff. Von den weitreichenden Einschränkungen des öffentlichen und privaten Lebens sind auch Vereine und Stiftungen betroffen. Bei vielen ist der Betrieb vorübergehend gar komplett zum Erliegen gekommen.

In dieser besonderen Situation ergeben sich für Vorstände ganz unterschiedliche rechtliche Fragen, etwa mit Blick auf die Entscheidungsverfahren der Organe: Darf bzw. wie kann die turnusmäßig anstehende Mitgliederversammlung mit Blick auf aktuell bestehende Ausgangs-, Kontakt- und Versammlungsbeschränkungen bzw. -verbote stattfinden? Was passiert, wenn ein Vorstandsmandat ausläuft, ein Nachfolger aber nicht zeitnah gewählt werden kann?

Wann kann bzw. darf eine Mitgliederversammlung nicht einberufen werden?

Mitgliederversammlungen finden grundsätzlich in Form von Präsenzveranstaltungen statt. Wann eine Mitgliederversammlung einzuberufen ist, ist in der Vereinssatzung zu regeln. Je nachdem, was die Mitglieder für ihren Verein für sinnvoll erachten, haben sie festgelegt, dass die Mitgliederversammlung z. B. „im ersten Quartal“, „einmal im Jahr“ oder „zum Ende des Jahres“ zusammenkommen soll.

Der Vorstand ist verpflichtet, die Versammlung entsprechend der jeweiligen Satzungsbestimmung einzuberufen. Wenn nun aber – wie aktuell aufgrund der Corona-Pandemie – überragende Gründe des Gemeinwohls oder höherrangige Interessen des Vereins der Durchführung einer Mitgliederversammlung entgegenstehen, kann es durchaus vertretbar sein, die Versammlung zu einem anderen als dem in der Satzung bestimmten Termin abzuhalten. Dabei gilt das Prinzip der Verhältnismäßigkeit.

Mit Blick auf die aktuelle Corona-Problematik können etwa folgende Kriterien entscheidungsleitend sein:

  1. Gibt es ein offizielles Versammlungsverbot? Dann besteht sogar der Fall der rechtlichen Unmöglichkeit.
  2. Wie hoch ist die Zahl der Teilnehmer und bestehen bei diesen ggf. besondere Risikofaktoren (z. B. Vorerkrankungen)? Besteht die Möglichkeit der Reduktion der Teilnehmerzahl durch einen entsprechenden Appell im Vorfeld? Hierbei ist jedoch auf die Beschlussfähigkeit der Mitgliederversammlung zu achten!
  3. Welche Risikoneigung besteht bei der jeweiligen Art der Veranstaltung darüber hinaus – etwa aufgrund der Kontaktmöglichkeiten der Teilnehmer, der Dauer der Veranstaltung, der Größe und der Belüftungsmöglichkeiten der Räumlichkeiten sowie der Möglichkeiten für die Handhygiene?

Wird unter diesen Umständen eine Versammlung verschoben und damit nicht gemäß Satzungsbestimmung fristgerecht abgehalten, ist dies letztlich nicht nur im (gesundheitlichen) Interesse der Teilnehmer. Das zuständige Einberufungsorgan handelt damit auch nicht schuldhaft, kann also auch nicht haftbar gemacht werden.

Welche Alternativen gibt es?

Von der Grundregel der „körperlichen“ Versammlung kann abgewichen werden, wenn die Satzung andere Verfahren der Beschlussfassung vorsieht. So enthalten Vereinssatzungen mitunter Bestimmungen, die „virtuelle“ Versammlungen und/oder Beschlussfassungen im schriftlichen oder elektronischen Umlaufverfahren erlauben. Eine zunächst abgesagte Präsenzveranstaltung wäre dann entsprechend des anderen, gemäß Satzung zulässigen Verfahrens neu zu organisieren.

Tipp: Rechtstipp „Moderne Durchführung der Mitgliederversammlung“

Wenn die Satzung eine entsprechende Regelung nicht beinhaltet, biete das Gesetz folgende Ausweichmöglichkeit: Gemäß § 32 Abs. 2 BGB ist eine Entscheidung auch ohne Versammlung der Mitglieder gültig, wenn „alle Mitglieder ihre Zustimmung zu dem Beschluss schriftlich erklären“. Handelt es sich um einen Beschluss, der beim Vereinsregister einzureichen ist, müssen das Umlaufverfahren und sein Ergebnis im Protokoll skizziert werden.

In Analogie hierzu wird zudem überwiegend auch die Zulässigkeit der nicht körperlichen, virtuellen Mitgliederversammlung auch ohne ausdrückliche Satzungsbestimmung bejaht, wenn sämtliche Mitglieder dem Verfahren zustimmen/nicht widersprechen. Die Allzustimmung ist dabei nur für die Abhaltung der Versammlung als solche notwendig; für die einzelnen Beschlussgegenstände sind dann lediglich die Mehrheiten erforderlich, die die Satzung bestimmt.

Unklar ist, ob eine virtuelle Versammlung auch ohne Satzungsgrundlage und ohne Allzustimmung der Mitglieder möglich ist. Derzeit mehren sich in der Literatur die Stimmen, die dies für zulässig halten.

Da die rechtlichen Rahmenbedingungen für die Beschlussfassung ohne Präsenzveranstaltung nicht ganz klar sind, bedarf es im Einzelfall einer Risikoanalyse. Stimmen alle Mitglieder dem Verfahren zu oder kann von dieser Zustimmung ausgegangen werden, dürften die verbleibenden Risiken wohl hinnehmbar sein. Zwar ist es denkbar, dass ein Mitglied seine Meinung ändert und später gegen einen entsprechenden Beschluss vorgeht, eine Klageerhebung ist nach einer gewissen Zeit aber nicht mehr erfolgversprechend. Problematisch sind die rechtlichen Unsicherheiten vor allem dann, wenn eine Eintragung im Vereinsregister erforderlich ist, denn dann kommt es auf die Haltung des (Register-)Gerichts an.

Diese Sonderregelungen gelten in der Corona-Krise

Am 27.03.2020 ist das „Gesetz zur Abmilderung der Folgen der Covid-19-Pandemie im Zivil-, Insolvenz- und Strafverfahrensrecht“ bzw. das "Gesetz über Maßnahmen im Gesellschafts-, Genossenschafts-, Vereins-, Stiftungs- und Wohnungseigentumsrecht zur Bekämpfung der Auswirkungen der COVID-19-Pandemie" in Kraft getreten. Nach Anpassungen am 22.12.2020 enthält es folgende für Vereine relevanten Bestimmungen:

(1) Ein Vorstandsmitglied eines Vereins oder einer Stiftung bleibt auch nach Ablauf seiner Amtszeit bis zu seiner Abberufung oder bis zur Bestellung seines Nachfolgers im Amt.

(2) Abweichend von § 32 Absatz 1 Satz 1 des Bürgerlichen Gesetzbuchs kann der Vorstand auch ohne Ermächtigung in der Satzung vorsehen, dass Vereinsmitglieder,

1. an der Mitgliederversammlung ohne Anwesenheit am Versammlungsort teilnehmen, und Mitgliederrechte im Wege der elektronischen Kommunikation ausüben können oder müssen,

2. ohne Teilnahme an der Mitgliederversammlung ihre Stimmen vor der Durchführung der Mitgliederversammlung schriftlich abgeben können.

(2a) Abweichend von § 36 des Bürgerlichen Gesetzbuchs ist der Vorstand nicht verpflichtet, die in der Satzung vorgesehene ordentliche Mitgliederversammlung einzuberufen, solange die Mitglieder sich nicht an einem Ort versammeln dürfen und die Durchführung der Mitgliedersammlung [sic!] im Wege der elektronischen Kommunikation für den Verein oder die Vereinsmitglieder nicht zumutbar ist.

(3) Abweichend von § 32 Absatz 2 des Bürgerlichen Gesetzbuchs ist ein Beschluss ohne Versammlung der Mitglieder gültig, wenn alle Mitglieder beteiligt wurden, bis zu dem vom Verein gesetzten Termin mindestens die Hälfte der Mitglieder ihre Stimmen in Textform abgegeben haben und der Beschluss mit der erforderlichen Mehrheit gefasst wurde.

(3a) Die Absätze 2 und 3 gelten auch für den Vorstand von Vereinen und Stiftungen sowie für andere Vereins- und Stiftungsorgane.

Abs. 1: Handlungsfähigkeit von Vorständen wird sichergestellt.

Die Amtszeit von Vorstandsmitgliedern, die für eine bestimmte Zeit bestellt wurden, endet mit Zeitablauf. Wenn ein neues Vorstandsmitglied nicht rechtzeitig bestellt werden kann, kann dies dazu führen, dass der Verein bzw. die Stitung nicht mehr ordnungsgemäß vertreten werden kann. Viele, aber nicht alle Vereine und Stiftungen regeln allerdings in ihren Satzungen, dass Vorstandsmitglieder, deren Amtszeit befristet ist, im Amt bleiben, bis ihr Nachfolger gewählt ist.

Durch das o. g. Gesetz bleibt die Handlungsfähigkeit nun auch für solche Vereine und Stiftungen erhalten, die keine entsprechende Regelung in ihre Satzung aufgenommen haben und neue Vorstandsmitglieder aufgrund der Beschränkungen durch die Corona-Pandemie nicht bestellen oder Amtszeiten verlängern können.

Die Wahl kann nach den Regelungen des Abs. 2 Nr. 2 oder Abs. 3 erfolgen, wenn die Satzung die Vorstandswahl im schriftlichen Verfahren nicht ausdrücklich ausschließt.

Die Abberufung von Vorstandsmitglieder bleibt von dieser Regelung unberührt und hat somit weiter nach den entsprechenden Satzungsbestimmungen zu erfolgen.

Abs. 2 und 2a: Virtuelle Mitgliederversammlung sind auf Beschluss des Vorstandes auch ohne Satzungsregelung zulässig.

Nr. 1: Das Gesetz stellt klar, dass virtuelle Mitgliederversammlungen auch ohne ausdrückliche Ermächtigung in der Satzung durchgeführt werden können.

Nr. 2: Zudem ermöglicht es Mitgliedern, ihre Stimmrechte durch vorherige Stimmabgabe auszuüben. Die Stimmabgabe muss schriftlich erfolgen, d. h. in Form einer Erklärung, die eigenhändig unterzeichnet ist und dem Verein im Original zugehen muss. Eine Übermittlung per E-Mail ist nur zulässig, wenn die Erklärung mit einer qualifizierten elektronischen Signatur versehen ist.

Es ist unverständlich, warum der Gesetzgeber nicht auch hier Textform zugelassen hat.

Der neue Abs. 2a stellt klar, dass der Vorstand unter den hier genannten Voraussetzungen von der Pflicht zur Einberufung der Mitgliederversammlung entbunden ist.

Abs. 3: Umlaufverfahren ohne Satzungsbestimmung werden erleichtert.

Darüber hinaus wird die Beschlussfassung der Mitglieder im Umlaufverfahren ohne Satzungsregelung dadurch erleichtert, dass die grundsätzlich notwendige Zustimmung aller Mitglieder vorübergehend entfällt und nun lediglich die sonstigen, im Gesetz oder in der Satzung geregelten Mehrheitserfordernisse für eine gültige Beschlussfassung erfüllt sein müssen.

Es müssen alle Mitglieder beteiligt, also zur Beschlussfassung eingeladen werden und bis zu dem vom Verein gesetzten Termin mindestens die Hälfte der Mitglieder ihre Stimmen abgegeben haben.

Anders als bei der Stimmabgabe gemäß Abs. 2 Nr. 2 ist die Stimmabgabe im Umlaufverfahren in Textform, also z. B. per Fax, E-Mail, WhatsApp oder SMS ohne elektronische Signatur zulässig.

Die Bestimmungen gelten nur für bis zum 31.08.2022 ablaufende Bestellungen bzw. stattfindende Versammlungen.

Abs. 3a: Anwendbarkeit auf andere Organe

Durch die Ergänzung des Abs. 3a ist nun klargestellt, dass die Sonderregelungen für Mitgliederversammlungen auch für alle anderen Organe von Vereinen und Stiftungen gelten – eine für die Praxis dringend notwendige Klarstellung!

Auch wenn die beschlossenen Sonderregelungen in Zeiten von Corona Vereinen etwas Handlungsdruck nehmen, sollte die Gelegenheit genutzt werden, um die Vereinsarbeit durch entsprechende Satzungsanpassungen zu flexibilisieren.

Hierbei, bei der Prüfung im Einzelfall sowie bei anderen vereinsrechtlichen Fragen unterstützen wir sie gerne!


Rechtstipp aus dem Rechtsgebiet

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