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NSU-Untersuchungsausschuss: Pleiten, Pech, Pannen oder Plan?

  • 4 Minuten Lesezeit
Esther Wellhöfer anwalt.de-Redaktion

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Heute wurden die Ergebnisse des NSU-Untersuchungsausschusses vom Thüringer Landtag veröffentlicht. In dem 1896 Seiten starken Dokument werden detailliert zahlreiche Pannen und Fehler der Ermittler und anderer beteiligten Behörden aufgedeckt. Die Redaktion von anwalt.de berichtet über die Pannenserie. Nur so konnte das Terror-Trio vermutlich insgesamt 13 Morde im ganzen Land begehen – obwohl sie bereits unter Beobachtung standen.

Von Spuren, Puppen und Bomben

Wenn man es freundlich formulieren will: Im Fall NSU war das Handeln der Polizeibeamten oftmals bemerkenswert. Bei den Ermittlungen zu einer Briefbombe war beispielsweise laut Zeugen ein Polizeibeamter durch die Schneespur gelaufen, die sich vor dem Briefkasten befand. Und die Puppe mit einem Judenstern, die an einer Autobahnbrücke aufgehängt gefunden worden war, wurde von den Polizeibeamten einfach abgeschnitten. Nachdem sie auf die Autobahn gefallen war, wurden sie sich ihres Fehlers bewusst – und hingen sie kurzerhand einfach wieder auf.

In dem Stadion in Jena hatten spielende Kinder eine Bombenattrappe gefunden. Die Polizisten fuhren die Bombe ohne weitere Maßnahmen, wie beispielsweise eine Spurensicherung oder auch der Situation angemessenen Sicherheitsmaßnahmen, mit ihrem Streifenwagen durch die Stadt zum Polizeirevier. Weiter wurde in Stadtroda eine funktionstüchtige USBV gefunden. Nachdem sie entschärft worden war, wurden die Einzelteile kurzerhand in einer Mülltonne entsorgt.

Pannen bei Garagendurchsuchung

Im Zuge der Ermittlungen waren drei Garagen in Jena durchsucht worden. Üblicherweise erfolgen solche Durchsuchungen zeitgleich. Anders jedoch im Fall NSU. Am Tag der Durchsuchung stellten die Ermittler fest, dass eine der Garagen einem ihrer Kollegen, einem Polizeibeamten, gehört. Man beschloss, mit der Durchsuchung der einen Garage an der Kläranlage zu warten, bis der Kollege um 7 Uhr seinen Dienst antrat, damit er die Garage öffnen konnte. Der Suchtrupp für die anderen Garagen in der Richard-Zimmermann-Straße wurde pünktlich losgeschickt.

In der Garage an der Kläranlage wurden die Fahnder fündig. Man fand unter anderem USBV, das Spiel „Pogromly“ und TNT. Wie viel TNT dort genau gefunden wurde, dokumentierten die Ermittler allerdings nicht – auch nicht, bevor der Sprengstoff am 2. Februar vernichtet wurde. Geschätzt wird die Menge auf etwa ein bis zwei Kilo. Die protokollierte Menge von 1392 g stammt laut einem Zeugen, der mit der Zerstörung des TNT betraut war, vermutlich aus einer Hochrechnung.

Flucht unter den Augen der Polizei

Als die Garage bei der Wohnung seiner Eltern durchsucht wurde, tauchte dort Uwe Böhnhardt auf und verschwand in der elterlichen Wohnung. Etwa eine halbe Stunde zuvor wurde den Polizeibeamten vor Ort mitgeteilt, dass man am anderen Durchsuchungsort fündig geworden war. Nichts destotrotz: Uwe Böhnhardt verließ etwa eine halbe Stunde nach seinem Eintreffen die Wohnung mit einer vollgepackten Sporttasche. Nachdem die Verantwortlichen Rücksprache gehalten hatten, kamen sie überein, dass man keine freiheitsentziehenden Maßnahmen gegen Böhnhardt durchführen wolle. Der Grund: Anscheinend stammten die Hinweise auf die Garage vom Landesamt für Verfassungsschutz. Deshalb war man sich nicht sicher, ob die Beweise in einem Verfahren eingebracht werden könnten. So mussten die Polizisten tatenlos zusehen, wie der Terrorist unbehelligt in seinem roten Kleinwagen davonfuhr.

Haftbefehl: Ja. Nein. Ja.

Die Ungereimtheiten setzen sich in den nächsten Tagen nach der erfolgreichen Flucht fort. Hatte der zuständige Staatsanwalt am Tag der Garagendurchsuchungen noch eine vorläufige Festnahme beantragt, was die Ausschreibung zur Fahndung möglich machte, hob er diesen Antrag einen Tag später wieder auf und ließ die Sache in eine reine Aufenthaltsfeststellung umwandeln, weil seiner Ansicht nach nicht die Voraussetzungen für einen dringenden Tatverdacht vorlagen. Insbesondere eine Verbindung zwischen der Garage und den drei Verdächtigen war nach seiner Meinung nicht ausreichend belegt. Beate Zschäpe war „Mieterin“ einer der Garagen, in einer wurde der Pass von Uwe Mundlos und weiterer Schriftverkehr gefunden. Uwe Böhnhardt stand mit beiden in einer nachweislich engen persönlichen Verbindung. Nach der Aufhebung des Haftbefehls leitete der Staatsanwalt die Sache an einen Kollegen weiter.

Dieser beantragte einen Tag später beim Amtsgericht Jena erneut Haftbefehl, der vom Amtsgericht auch erlassen wurde. Zwar waren die Verdächtigen seit der Durchsuchung nicht mehr aufgetaucht, sodass der Staatsanwalt den zweiten Antrag auf Erlass eines Haftbefehls auf Fluchtgefahr stützen konnte. Die wesentlichen Indizien waren aber unverändert, da keine wesentlichen neuen Ermittlungsergebnisse zutage kamen. Aufgrund dieser Beweislage kam die „Schäfer-Kommission“ zu dem Ergebnis, dass bereits am Tag der Durchsuchung ausreichend Indizien vorlagen, die einen dringenden Tatverdacht und damit einen Haftbefehl gerechtfertigt hätten.

Pannenserie und Verstrickungen

Die hier dargestellten Geschehnisse und Abläufe sind nur ein kleiner Teil des NSU-Komplexes. Nur selten hat ein Skandal so viele Fragen aufgeworfen. Einige wurden mit dem Untersuchungsausschuss in Thüringen beantwortet. Trotzdem liegt weiterhin noch vieles zu den NSU-Morden im Dunkeln. Persönliche Befindlichkeiten von Beamten, Kompetenzgerangel, zwielichtige V-Leute, die Vorenthaltung von Geheimdokumenten im Untersuchungsausschuss, die Vernichtung oder der Verlust von Beweismaterial und viele weitere Punkte finden sich in dem umfangreichen Bericht. Andere werden – wenn überhaupt – erst im Laufe der Zeit geklärt werden können.

Doch trotz der offenen Fragen steht in puncto NSU-Untersuchungsausschuss schon ein Ergebnis fest, wie es ein mit den Ermittlungen vertrauter Polizeibeamter, der in diesem Zusammenhang von Dilettantismus sprach, ausdrückte:

Ich sehe schon die Schlagzeile in der BILD-Zeitung Neue Ermittlungspannen beim LKA.' “

(WEL)

Foto(s): ©Fotolia.com

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