Oberlandesgericht Jena folgt Bundesverfassungsgericht: Keine Verurteilung im Bußgeldverfahren ohne Herausgabe der Rohmessdaten!

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Ein Beitrag von Michael Böhler, Rechtsanwalt und Fachanwalt für Verkehrsrecht, Konstanz


Mit Beschluss vom Beschluss vom 12.11.2020, Az. 2 BvR 1616/18 hatte das Bundesverfassungsgericht verlangt, dass es dem Betroffene in einem Bußgeldverfahren wegen einer Geschwindigkeitsüberschreitung ermöglicht werden muss, Einsicht in die Rohmessdaten des Messgerätes zu nehmen.  Dies war zuvor von den Bußgeldbehörden und auch der Mehrheit der Gerichte verweigert worden, da die Messdaten kein Bestandteil der Akte seien und infolge der Zulassung durch die Physikalisch-Technische Bundesanstalt in Braunschweig ein „standardisiertes Messverfahren“ gegeben sei.



Grundsatz des fairen Verfahrens verlangt Herausgabe der Rohmessdaten 

Das Bundesverfassungsgericht sah in der Nichtherausgabe der Rohmessdaten einen Verstoß gegen den Grundsatz des fairen Verfahrens. Dem Betroffenen und einem von ihm vorgerichtlich beauftragten privaten Sachverständigen sollten die Rohmessdaten zur Verfügung gestellt werden, um die Waffengleichheit mit der Bußgeldbehörde zu gewährleisten.



Oberlandesgericht Jena fordert Herausgabe bei Messung mit Poliscan Speed


Das Oberlandesgericht Jena hat sich dieser Auffassung mit Beschluss vom 17.03.2021, Az. 1 OLG 331 SsBs 23/20 angeschlossen.


Der Betroffene hatte hier wegen einer Geschwindigkeitsüberschreitung, dem eine Messung mit Poliscan zugrunde gelegen hat,  Einsicht in die Messunterlagen verlangt, welche ihm nicht gewährt worden ist. Dem hat sich das Oberlandesgericht Jena entgegengestellt:


Der Betroffene müsse den gegen ihn erhobenen Tatvorwurf auf breiter Grundlage prüfen und insbesondere nach etwaigen, allen Messungen anhaftenden, aber der Messung des Betroffenen nicht zu entnehmenden Fehlern suchen können, die die Messbeständigkeit des Gerätes in Frage stellen könnten. Erst dann könne der Betroffene einschätzen, „ob im konkreten Fall tatsächlich ein standardisiertes Messverfahren ordnungsgemäß zur Anwendung gekommen ist und das Messgerät fehlerfrei funktioniert hat“. Ob bestimmte Informationen für die Verteidigung von Bedeutung sein könnten, unterliege allein ihrer Einschätzung, wobei sie sogar rein theoretischen Entlastungsmöglichkeiten nachgehen könne. Ob anhand des Messfilms ggf. ermittelte Auffälligkeiten geeignet sind, die einer Messung im standardisierten Messverfahren zugebilligte Beweiskraft zu erschüttern oder ob das Gericht sich gleichwohl vom Geschwindigkeitsverstoß überzeugen könne, sei letztlich eine Frage der Beweiswürdigung im Einzelfall.

Es ist davon auszugehen, dass sich die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgericht auch bei den übrigen Oberlandesgerichten durchsetzen wird.


Somit ist ein Ansatz für eine erfolgreiche Verteidigung gegen einen Bußgeldbescheid geschaffen worden, weshalb dessen Anordnung nicht ohne Überprüfung hingenommen werden sollte.

Als erfahrener Verteidiger in Bußgeldsachen unterstütze ich Sie gerne!



 



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