Ordentliche Zahlungsverzugskündigung wegen dreistelligem Betrag regelmäßig nicht wirksam

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LG Berlin, Urteil vom 16.06.2016 – 67 S 125/16

Mit Urteil vom 16.06.2016 hat das Landgericht Berlin über die Voraussetzungen einer ordentlichen Kündigung wegen Zahlungsverzuges entschieden.

Der Ausgangsstreit: Die Parteien sind seit 2002 über ein Wohnraummietverhältnis miteinander verbunden. Der Mieter erkrankte im Jahr 2011 an einer chronisch psychischen Erkrankung. Im Jahr 2011 geriet er mit einer Miete in Höhe von 142,75 €, im Jahr 2013 mit einer Miete von 60,54 € und in den Monaten Mai und August 2014 mit den vollen Mieten von 290,10 € in Rückstand. Insgesamt befand er sich daher im Zahlungsverzug mit 743,49 € bei einer Miethöhe von 290,10 €. Die Vermieter erklärten zunächst mit Schreiben vom 31.03.2015 sowie dann mit der Klage im Jahr 2015 die fristlose außerordentliche und hilfsweise die ordentliche Kündigung des Mietverhältnisses wegen Zahlungsverzuges. Der Mietrückstand wurde vor Ablauf der Frist des § 569 Abs. 3 Nr. 2 BGB und damit innerhalb der Schonfrist ausgeglichen. Die fristlos außerordentliche Kündigung wurde hierdurch unwirksam. Nach der Rechtsprechung des BGH hat eine Zahlung innerhalb der Schonfrist regelmäßig aber keine Auswirkung auf die gleichzeitig ausgesprochene ordentliche Kündigung (BGH, Urteil vom 16. Februar 2005 – VIII ZR 6/04). Die Vermieter hielten an ihrer Räumungsklage fest. Das Amtsgericht Wedding wies die Klage mit der Begründung ab, dass das Festhalten an der ordentlichen Kündigung hier ausnahmsweise treuewidrig sei (vgl. hierzu LG Berlin, Urteil vom 16.09.2014 – 67 S 290/14; LG Bonn, Urteil vom 06.11.2014 – 6 S 154/14; BGH, Beschluss vom 06.10.2015 – VIII ZR 321/14).

Die Entscheidung: Das Landgericht Berlin weist die Berufung der Vermieter zurück. In seinem Urteil stellt das Landgericht aber zunächst klar, dass nach seiner Ansicht das Festhalten an der Kündigung wegen Zahlungsverzuges nie treuewidrig sein kann. Eine Bewertung als „treuewidrig“ enthält immer eine Missbilligung der Rechtsausübung. Dabei war zum Zeitpunkt des Ausspruchs der Kündigung diese aber berechtigt. Es war der Mieter, der seinen Zahlungsverpflichtungen schuldhaft nicht nachgekommen war. Ein zunächst rechtmäßiges Verhalten kann aber nicht nachträglich missbilligt werden. Die ordentliche Kündigung war aber, nach Ansicht des Landgerichts, von Anfang an nicht wirksam, da bei einer Bewertung nach den §§ 573 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 BGB ein ausreichendes berechtigtes Interesse des Vermieters an der Beendigung des Mietverhältnisses nicht vorlag. Die Pflichtverletzung des Mieters war unter Berücksichtigung sämtlicher Umstände des zu beurteilenden Einzelfalls nicht erheblich genug. Berücksichtigt werden hierbei u. a.:

  • die beanstandungsfreie Dauer des bisherigen Vertragsverhältnisses,
  • das Gewicht und die nachteiligen Auswirkungen der Vertragspflichtverletzung,
  • eine mögliche Wiederholungsgefahr,
  • der dem Mieter zur Last zu legende Grad des Verschuldens.

Weiterhin können zu Gunsten des Mieters dessen persönliche Umstände oder ein pflichtwidriges Vorverhalten des Vermieters zusätzliche Berücksichtigung finden. Hier war insbesondere zu berücksichtigen, dass der Zahlungsrückstand insgesamt nur 783,49 € betrug. Ein Verzug mit einem allein dreistelligen Zahlbetrag ist, so das Landgericht, regelmäßig nicht ausreichend, um eine ordentliche Kündigung des Mietvertrages zu rechtfertigen. Dass die Höhe des Rückstandes eine fristlose Kündigung gem. § 543 Abs. 1, Abs. 2 S. 1 Nr. 3 BGB erlaubt, ist für die Bewertung der ordentlichen Kündigung unerheblich, da der Mieter die Wirksamkeit dieser Kündigung durch Zahlung innerhalb der Schonfrist beseitigen kann. Außerdem sprach hier für den Mieter, dass das Mietverhältnis seit nahezu dreizehn Jahren störungsfrei bestand. Auch die chronische Erkrankung des Mieters wurde zu seinen Gunsten berücksichtigt.

Praxistipp: Das Landgericht wirft mit seinem Urteil vollkommen neue Fragen im Hinblick auf die Wirksamkeit einer zusammen mit der fristlosen Kündigung ausgesprochenen ordentlichen Kündigung auf. Nach Ansicht des Landgerichts wird es jedenfalls bei Mietrückständen in dreistelliger Höhe für den Vermieter schwer zu begründen, dass ihn der Rückstand wirtschaftlich so hart trifft, dass ihm ein Festhalten an dem Mietverhältnis nicht zumutbar ist. Mieter werden in Zukunft zusätzlich zu einem Verstoß gegen Treu und Glauben mit der fehlenden Erheblichkeit der Pflichtverletzung gegen eine Verurteilung zur Räumung ankämpfen können. In dem Urteil erklärt das Landgericht auch, dass es hier nicht entscheiden muss, ob sich aus europarechtlichen Normen („small claims procedure“, VO (EG) Nr. 861/2007)) evtl. eine Mindesthöhe für einen erheblichen Rückstand von 2.000,00 € ableiten lässt. Das Landgericht sieht es also zumindest für möglich an, dass Forderungen von unter 2.000,00 € nur in Ausnahmefällen eine ordentliche Kündigung rechtfertigen.


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