Neue Rechtslage: Zeugen müssen ab sofort zur Aussage bei der Polizei erscheinen – und aussagen

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Bisherige Rechtslage

Auch wenn es auf den geschickt formulierten, standardisierten Texten der polizeilichen Vorladungen den Anschein hatte, als müsse der Bürger einer Vorladung zu einer Zeugenvernehmung bei der Polizei Folge leisten, war dies rechtlich bisher nicht der Fall.

Nach § 161a Abs. 1 StPO alter Fassung war ein Zeuge nur verpflichtet, auf Vorladung der Staatsanwaltschaft dort zu erscheinen. Nicht aber bei der Polizei. Es bestand bislang auch keine Pflicht zur einer Aussage bei dieser. Man musste nicht einmal mit der Polizei reden.

Der Gesetzgeber hatte bislang also bewusst entschieden, eine Differenzierung bei den Befugnissen zur Zeugenvernehmungen durch Staatsanwaltschaft (und natürlich einem Richter) und der Polizei vorzunehmen.

Neue Rechtslage

Damit ist es jetzt vorbei. Das vom Bundestag beschlossene sogenannte „Gesetz zur effektiveren und praxistauglicheren Ausgestaltung des Strafverfahrens“ bringt insbesondere eine weitreichende Neuregelung der Vorschrift des § 163 StPO, die sich die Ermittlungsbehörden schon lange sehnlichst gewünscht hatten.

Dieses Gesetz ist mit dem 24.08.2017 in Kraft getreten und somit ab sofort auch auf bereits laufende Verfahren anzuwenden.

Nach der damit jetzt geltenden Gesetzeslage ist ein Zeuge nicht nur verpflichtet, einer polizeilichen Vorladung Folge zu leisten, sondern dort auch eine Aussage zur Sache zu machen. § 163 Abs. 3 StPO lautet nun:

„(3) Zeugen sind verpflichtet, auf Ladung vor Ermittlungspersonen der Staatsanwaltschaft zu erscheinen und zur Sache auszusagen, wenn der Ladung ein Auftrag der Staatsanwaltschaft zugrunde liegt (…).“

„Ermittlungspersonen der Staatsanwaltschaft“ sind die Polizei. Damit sind auch die Lager klar. Die Einschränkung, dass es eines Auftrags der Staatsanwaltschaft zu einer solchen Ladung bedarf, wird man in der Praxis voraussichtlich getrost vernachlässigen können. Der Gesetzestext wurde hier derart vage abgefasst, dass zu erwarten ist, dass an eine Konkretisierung der „Auftragslage“ keine allzu strengen Anforderungen gestellt werden. Schließlich ist der erklärte Zweck der Gesetzesänderung ja auch die „effektivere Ausgestaltung des Strafverfahrens“ … Auch dürfte es in Zeiten moderner Kommunikationsmittel nicht mit allzu großem Aufwand für die Polizei verbunden sein, einen benötigten Auftrag bei ihrer Staatsanwaltschaft anzufordern.

Keine Frist, keine Form

Eine Ladungsfrist hat der Gesetzgeber für die polizeiliche Zeugenladung ebenso wenig vorgesehen, wie eine bestimmte Form.

Es kann damit sowohl mündlich, als auch sofort und auch an Ort und Stelle „vorgeladen“ werden. Die Praktische Anwendung dieser gänzlich fehlenden Einschränkungen bei der neu geschaffenen polizeilichen Befugnis durch die Ermittler bleibt mit Spannung abzuwarten.

Wo wird die Neuregelung konkret problematisch?

Eines sei klargestellt: Der Zeuge erfüllt eine wichtige Aufgabe im Ermittlungs- und Strafverfahren, ohne die zumindest der Versuch der Wahrheitsfindung von vornherein zum Scheitern verurteilt wäre und dient somit dem Rechtsstaat. Schließlich kann ein Zeuge durchaus auch zur Entlastung eines Beschuldigten beitragen.

Andererseits: Ungeachtet der grundsätzlichen Abschaffung der bisher geltenden Entscheidungsfreiheit des Bürgers (immerhin ein Freiheitsrecht) kann es für betroffene Personen insbesondere die folgenden konkret problematischen Konstellationen geben:

Zeugnisverweigerungsberechtigte Personen als Zeugen

Denkbar ist, dass es um ein Ermittlungsverfahren z. B. gegen einen Angehörigen geht und hier ein ganz natürlicher persönlicher Zwiespalt des Zeugen besteht, für oder gegen einen nahen Verwandten aussagen zu sollen. Zwar steht dem Angehörigen ein Zeugnisverweigerungsrecht zu, das gesetzlich von § 52 StPO garantiert wird. Allerdings muss ein geladener Verwandter jetzt trotzdem erst einmal einer polizeilichen Vorladung folgen und mit dem Ermittler reden. Er ist dann über sein Zeugnisverweigerungsrecht zu belehren und muss seine Entscheidung, auszusagen oder nicht, vor Ort treffen und mitteilen. Eine ergebnisorientierte Beeinflussung dieser Entscheidung aber ist zumindest denkbar. Durch die Erscheinenspflicht wird sie jedenfalls grundsätzlich erst einmal ermöglicht.

Der „gefährdete Zeuge“ – Gefahr der Selbstbelastung

Ein Zeuge kann sich aber einem noch viel schwierigeren Problem ausgesetzt sehen, nämlich dem einer potentiellen Selbstbelastung durch eine entsprechende polizeiliche Befragung.

Eine Konstellation, die relativ häufig vorkommt, denn Ermittlungsbehörden haben ein nachvollziehbares Interesse daran, eine Person, die bereits unter Verdacht geraten ist, so lange wie möglich in der formalen Zeugenstellung zu halten. Der Zeuge hat nämlich nicht das umfassende und uneingeschränkte Schweigerecht des Beschuldigten, der nicht gezwungen werden darf, Zeuge gegen sich selbst zu sein, sondern kann lediglich auf einzelne Fragen die Antwort verweigern, von denen er denkt, die wahrheitsgemäße Beantwortung könnte die Gefahr eigener Strafverfolgung nach sich ziehen, § 55 StPO. Dies muss er auf Verlangen sogar glaubhaft machen, § 56 StPO. Anders als der Beschuldigte darf er erst Recht nicht lügen. Eine äußerst schwierige Situation für den Zeugen, der sich nach eigenem Wissensstand bei einer als „Zeugenbefragung“ getätigten Aussage permanent der Gefahr aussetzt, sich endgültig selbst zu belasten – ob zu Recht oder zu Unrecht. Tatsächlich kann der Zeugen dann bereits während der polizeilichen Befragung ganz schnell zum Beschuldigten werden. Hier wird daher vom „gefährdeten Zeugen“ gesprochen.

Wer ist (noch) Zeuge, wer (in Wahrheit schon) Beschuldigter?

Verschärfend kommt hinzu, dass die Frage, wer (noch) Zeuge und wer (schon) Beschuldigter ist, zunächst ganz formal alleine durch die Behandlung und Bezeichnung seitens der Ermittlungsbehörde bestimmt wird. Die Entscheidungsbefugnis hat grundsätzlich „die die Vernehmung leitende Person“, § 163 Abs. 4 StPO n.F. Auch das stellt das geänderte Gesetz jetzt deutlich klar. Ab wann hier das insoweit bestehende Ermessen des Vernehmungsbeamten überschritten wird, der formal als Zeuge Bezeichnete, geladene und Vernommene also in Wirklichkeit schon Beschuldigter mit den sich daraus ergebenden Rechten und auch so zu behandeln ist, ist im Einzelfall sehr schwer zu beurteilen – und wird naturgemäß mit der jeweiligen Ermittlungsperson äußerst kontrovers diskutiert werden. Gleiches gilt bei der Vernehmung natürlich für die Diskussion, welche Fragen im Sinne von § 55 StPO (s.o.) beantwortet werden müssen und welche nicht, solange man (noch) „Zeuge“ ist.

Auch neu: Bei Zweifeln soll der Staatsanwalt entscheiden

Immerhin: § 163 Abs. 4 StPO n.F. regelt, dass die Staatsanwaltschaft zu einer Entscheidung berufen ist, falls Zweifel über die Zeugeneigenschaft oder das Vorliegen von Zeugnis- oder Auskunftsverweigerungsrechten bestehen oder im Laufe der Vernehmung aufkommen. Allerdings soll nach der Gesetzesbegründung hier kein förmliches Verfahren in Gang gesetzt werden. Der Vernehmungsbeamte soll beim Staatsanwalt nur „Rücksprache nehmen“, dessen Entscheidung dann verbindlich ist.

Ist das Problem damit gelöst? Nun, auch die Staatsanwaltschaft ist Ermittlungsbehörde, der Vernehmer seine „Ermittlungsperson“. Und ob der Vernehmungsbeamte überhaupt „Zweifel“ hat, entscheidet er zunächst einmal selbst.

Was tun als gefährdeter Zeuge?

Der geladene Zeuge weiß jetzt, dass er bei der Polizei erscheinen muss. Auch, dass er aussagen muss. Kennt insbesondere der gefährdete Zeuge aber die weitere Rechtslage in der Vernehmungssituation? Fordert er nötigenfalls eine Entscheidung der Staatsanwaltschaft zur Frage seines Status (Zeuge/Beschuldigter) oder seinem Recht, einzelne Fragen nicht beantworten zu müssen im Verlauf einer dynamischen, zielgerichteten Befragungssituation bei der Polizei (erfolgreich) ein?

Die Neuregelung ist ergebnisorientiert und beinhaltet viel Konfliktpotential. Sie wird voraussichtlich zeitnah zu vielfacher Beschäftigung der Gerichte führen. Das hilft dem aktuell Betroffenen allerdings nicht. Es besteht aber nach wie vor auch für Zeugen die Möglichkeit der Konsultation anwaltlicher Hilfe. Insbesondere beim gefährdeten Zeugen wird sich ein Strafverteidiger nach vertraulicher Erörterung der Problemstellung mit dem Betroffenen – ohne dass natürlich ein erteiltes Verteidigungsmandat zu diesem Zeitpunkt schon nach außen offengelegt werden müsste – nötigenfalls als Zeugenbeistand für ihn legitimieren und eine etwaige Vernehmung begleiten.

Ordnungsgeld als Preis für Zeitgewinn zur Anwaltskonsultation?

Problematisch können hier allerdings wieder die vom Gesetzgeber nicht vorgesehenen Ladungsfristen (s.o.) werden. Im ungünstigsten Szenario müsste der Zeuge taktisch erst einmal ein Ordnungsgeld (das die Staatsanwaltschaft selbst verhängen kann, § 163 Abs. 4 Ziff. 4, 1. HS StPO n.F.) hinnehmen, um genügend Zeit für eine Anwaltskonsultation zu gewinnen. Dagegen kann dann ohne Zeitdruck gerichtliche Entscheidung beantragt werden.

Richtervorbehalt zumindest bei Ordnungshaft

Wenigstens wurde die Anordnung von Erzwingungshaft (Ordnungshaft) für einen widerspenstigen Zeugen einem Richter vorbehalten, § 163 Abs. 4 Ziff. 4, 2. HS StPO n.F. – allerdings auch ohne Frist- und Formerfordernis, also notfalls auch ganz unkompliziert z. B. telefonisch einzuholen.

Hubertus J. Krause

Rechtsanwalt und Fachanwalt für Strafrecht, Schweinfurt

Kanzlei Blatt § Kollegen


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