Pridie-Bohrung nicht indiziert: 6.000 Euro

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Mit gerichtlichem Vergleich vom 22.10.2014 hat sich ein niedergelassener Orthopäde verpflichtet, an meine Mandantin einen Gesamtbetrag in Höhe von 6.000 Euro sowie vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe einer 2,0 Gebühr zuzüglich Auslagenpauschale und Mehrwertsteuer nach einem Streitwert von 6.000 Euro zu zahlen.

Die am 04.04.1964 geborene Mandantin verdrehte sich im August 2011 das linke Kniegelenk. Es kam zu einem knackenden Geräusch. Sie stellte sich beim Beklagten vor, welcher nach bildgebender Diagnostik mit Röntgen und MRT zu einer Arthroskopie mit Pridie-Bohrungen riet. Er klärte über die Notwendigkeit einer postoperativen Entlastung auf. Bei der Pridie-Bohrung handelt es sich um das Anbohren von Knorpeldefekten, um die darunter liegende Knorpelschicht zu durchbrechen und das Einsprossen von Blutgefäßen und damit eine Regeneration des Gewebes durch Ersatzknorpel zu ermöglichen. Die Blutung aus dem intakten Knochen heraus soll die Bildung von Ersatzknorpel anregen. Bei diesem Ersatzknorpel handelt es sich um sogenannten Faserknorpel, der im Gegensatz zum ursprünglichen, hyalinen Knorpel nicht so belastbar ist.

Die Mandantin hatte dem Orthopäden vorgeworfen, sie fehlerhaft über die Chancen und Risiken der Pridie-Bohrung aufgeklärt zu haben. Die Pridie-Bohrung sei durch die sogenannte Mikrofrakturierung abgelöst worden. Da bei der Pridie-Bohrung Hitzenekrosen in dem Umfeld der Bohrerspitze entstünden und die darunter liegende Knorpelschicht destabilisiert wäre, käme sie kaum noch zur Anwendung. Seit der Operation lasse sich das Kniegelenk nicht mehr strecken. Das Knie sei erheblichst eingesteift. Die Mandantin habe Schmerzen beim Gehen und Stehen. Am 05.12.2012 wurde die Mandantin in einem Nachfolgekrankenhaus aufgenommen, wo am 06.12.2012 bei ausgeprägter Beschwerdesymptomatik eine Arthroskopie, eine partielle Synovialektomie mit Knorpelglättung durchgeführt wurde. Die ursprünglich geplante Knorpeltransplantation konnte aufgrund des erheblichen Kniebinnenschadens des linken Kniegelenkes nicht mehr durchgeführt werden. Am 11.09.2013 wurde der Mandantin eine Teilprothese im linken Kniegelenk implantiert.

Nach Einholung eines gerichtlichen Sachverständigengutachtens hat die Kammer des Landgerichtes Dortmund am 03.09.2014 folgenden Hinweisbeschluss mit Vergleichsvorschlag erteilt: Die Operation durch den Beklagten am 11.12.2011 sei zu diesem Zeitpunkt nicht indiziert gewesen. Konservative Behandlungsmethoden seien vor der OP durch den Beklagten nicht ausreichend ausgeschöpft worden. Allein der Verweis des Beklagten, die Karteikarte der Mandantin enthalte die Eintragung „Angst vor Medikamenten“, lasse noch nicht den Rückschluss darauf zu, dass sie eine OP der Vergabe von Tabletten oder Spritzen vorgezogen hätte. Weil der Sachverständige betätigt habe, es hätten sehr gute Chancen bestanden, dass sich das Kniegelenk durch eine konservative Behandlung wieder beruhige, hätte die Klägerin über die vorzuziehende Möglichkeit der konservativen Therapie aufgeklärt werden müssen. Dass sie trotz einer ausführlichen Aufklärung auf eine OP bestanden hätte, könne die Kammer nicht ohne weiteres annehmen. Es spräche viel dafür, dass die OP überhaupt nicht durchgeführt worden wäre. Auf die Frage der Operationsmethode in Form einer Pridie-Bohrung käme es somit nicht an.

Dass die Operation, selbst wenn sie am 01.12.2011 indiziert gewesen wäre, aufgrund des präoperativen kernspintomographischen Befundes nicht in Form einer Pridie-Bohrung hätte stattfinden dürfen, werde vom Sachverständigen verneint. Dieser führe aus, seitens des Beklagten sei lediglich eine erstgradige Chondropathie und eine umschriebene Knorpelulzeration im Bereich des medialen Femurkondylus befundet worden. Daraus lasse sich schließen, dass nicht in typischer Weise eine Knorpelglatze mit freiliegendem Knochen als Indikation für eine Pridie-Bohrung vorgelegen habe. Unter Zugrundelegung dieses Befundes sei allenfalls eine Chondroplastik mit vorsichtiger Glättung der Knorpelrauigkeit und Abtragung abgeschilfter, funktionsloser Knorpelreste indiziert gewesen. Der Beklagte sei dieser Feststellung unter Verweis auf dem im OP-Bericht vom 01.12.2011 festgehaltenen Knorpelschaden Grad IV entgegengetreten. Das bedeute nichts anderes als das Vorhandensein der vom Sachverständigen geforderten Knorpelglatze. Dem sei allerdings entgegenzuhalten, dass der Sachverständige - an dessen Sachkunde die Kammer keine Zweifel habe – den OP-Bericht ebenso wie das wenige Wochen zuvor erstellte Röntgenbild umfassend gewürdigt und auch den Knorpelschaden Grad IV mit in seine Bewertung einbezogen habe. Eine weitere Beweisaufnahme sei somit notwendig.

Der Sachverständige schätze das Verhalten des Beklagten als einfachen Behandlungsfehler ein. Zur Begründung führe er aus, dass das Ausschöpfen der konservativen Therapie keine Gewähr für einen dauerhaften Erfolg biete. Eine arthroskopische Abklärung hätte ggf. zu einem späteren Zeitpunkt erfolgen müssen. Gleiches gelte für den speziellen Eingriff der Pridie-Bohrung, die im weiteren zeitlichen Verlauf ebenfalls hätte indiziert sein können. Ob die Kammer die Einschätzung teile, der Behandlungsfehler des Beklagten sei nicht völlig unverständlich, solle für den Vergleichsvorschlag offen bleiben.

Der Schaden der Klägerin bestünde in der Beschleunigung eines schon initial eingetretenen Arthroseprozesses im linken Kniegelenk. Der Sachverständige führe aus, dass dieser Zustand aufgrund der arthrotischen Vorschädigung der Klägerin zwar ohnehin eingetreten wäre, bei ordnungsgemäßer Behandlung aber mit hoher Wahrscheinlichkeit um mehrere Jahre hätte herausgezögert werden können. Hinsichtlich der Folgen genügt bei Annahme eines einfachen Behandlungsfehlers eine überwiegende Wahrscheinlichkeit, die der Sachverständige bejaht habe.

Bei der Bemessung des Schmerzensgeldes habe die Kammer neben den verbleibenden Beweisrisiken berücksichtigt, dass die Klägerin drei Operationen habe durchführen lassen, die ihr zu diesem Zeitpunkt erspart geblieben wären. Allerdings hätte die Vorerkrankung dann weiter bestanden, so dass mit einer Verschlechterung des Gesundheitszustandes zu einem späteren Zeitpunkt zu rechnen war. Die Klägerin möge neben der sie betreffenden Beweislast bedenken, dass sie bereits erheblich vorgeschädigt war, ihre Beschwerden zum Teil allein auf diese Vorschäden zurückzuführen seien und die Behandlung des linken Kniegelenkes zurzeit vorläufig abgeschlossen sei. Unter Abwägung der relevanten Faktoren hielt die Kammer einen Betrag von 6.000 Euro angemessen, wobei der Feststellungsantrag in der vorgeschlagenen Summe mit berücksichtigt sei.

Zur Vermeidung einer weiteren umfangreichen Beweisaufnahme haben beide Parteien den Vergleich angenommen, so dass ein Vergleichsbeschluss am 22.10.2014 erging.

(Landgericht Dortmund, Vergleichsbeschluss vom 22.10.2014, AZ: 4 O 206/13)

Christian Koch, Fachanwalt für Medizinrecht



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