Probeweises Einsperren in einer Zelle – oder: Aussageerpressung und Rechtsbeugung eines Richters?

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Der Tatbestand der Aussagerpressung und der Rechtsbeugung 

Wegen Aussageerpressung macht sich gemäß § 343 StGB strafbar, wer als Amtsträger, der zur Mitwirkung an einem Strafverfahren berufen ist, einen anderen körperlich misshandelt, gegen ihn sonst Gewalt anwendet, ihm Gewalt androht oder ihn seelisch quält, um ihn zu nötigen, in dem Verfahren auszusagen oder zu erklären oder dies zu unterlassen. Die Freiheitsstrafe beträgt dann ein Jahr bis zu zehn Jahren.

Wegen Rechtsbeugung wird gemäß § 339 StGB mit Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu fünf Jahren bestraft, wer sich als Richter bei der Leitung oder Entscheidung einer Rechtssache zugunsten oder zum Nachteil einer Partei einer Beugung des Rechts schuldig macht. Das Recht ist gebeugt, wenn objektive Rechtsregeln gebrochen werden und so eine Entscheidung ergeht, die objektiv im Widerspruch zu Recht und Gesetzt steht und sich nicht mehr im Rahmen des Vertretbaren bewegt.

Macht sich ein Richter wegen Aussageerpressung und Rechtsbeugung strafbar, wenn er einen Beschuldigten probeweise in einer Zelle einsperrt, um ein Geständnis zu erwirken? 

Ob sich ein Richter wegen Aussageerpressung und Rechtsbeugung strafbar macht, wenn er einen Beschuldigten probeweise in einer Zelle einsperrt, um ihn zu einem Geständnis zu bewegen, beschäftigte auch den Bundesgerichtshof in seiner Entscheidung vom 15. August 2018 (2 StR 474/17).

Bei dem der Entscheidung zugrunde liegenden Fall war der Angeklagte seit dem 2. März 2009 als Strafrichter auf Probe bei einem Amtsgericht eingestellt worden. In einer Hauptverhandlung am 28. August 2009, in der es um die Strafbarkeit eines Beschuldigten wegen Exhibitionismus ging, war der Richter fest entschlossen, gegen den Beschuldigten eine Verwarnung mit Strafvorbehalt auszusprechen und ihm im Rahmen der Bewährungsauflage die Weisung zu erteilen, sich einer ambulanten Therapie zu unterziehen. Hierfür wollte er von dem Beschuldigten jedoch ein vollumfängliches Geständnis hören. Der Beschuldigte blieb zunächst jedoch trotz intensiver Befragung bei seiner bisherigen Einlassung, nicht vorsätzlich gehandelt zu haben. Daran änderte sich auch dann nichts, als der Richter dem Beschuldigten vorhielt, er habe im Wiederholungsfalle mit einer Freiheitsstrafe zu rechnen, wobei er im Gefängnis ein leichtes Opfer für sexuelle Übergriffe durch Mithäftlinge sei. Der Hinweis des Staatsanwalts, ein Geständnis könne sich strafmildernd auswirken, blieb ebenfalls ohne Erfolg. Der Strafrichter wurde daraufhin immer ungeduldiger, da er aus seiner Sicht ein vollumfängliches Geständnis benötigte, um die Durchführung der Therapie anordnen zu können.

Um den Druck auf den Beschuldigten zu erhöhen, entschloss sich der Richter dazu, dem Beschuldigten eine Gewahrsamszelle zu zeigen. Mit den Worten „Sie kommen jetzt mal mit, ich zeige Ihnen mal, wie ihre Zukunft aussehen kann“ sprang er während der Verhandlung daher plötzlich auf und brachte den Beschuldigten zusammen mit einem Wachtmeister in den Gewahrsamsbereich im Keller des Amtsgerichts. Der Richter fragte den Beschuldigten dann, ob er einmal sehen wolle, wie es in einer Zelle so sei. Auch teilte er ihm mit, dass er die Tür für ca. eine Minute schließen, aber nicht verriegeln werde und dass der Beschuldigte jederzeit klopfen könne, wenn er Angst habe und die Zelle verlassen wolle. Der nunmehr völlig verängstigte Beschuldigte folgte den Anweisungen des Strafrichters und setzte sich auf die in der Zelle befindliche Bank, woraufhin der Strafrichter die Zellentür schloss und den Riegel vorschob. Nach höchstens einer Minute – wie zuvor zugesagt – konnte der Beschuldigte die Zelle wieder verlassen und äußerte dabei, dass man in einer solchen Zelle viel Zeit zum Nachdenken habe. Der Beschuldigte wurde dann wieder zurück in den Gerichtssaal gebracht, wobei die gesamte Unterbrechung etwa fünf Minuten gedauert hat. Der Beschuldigte bestritt die Tat zunächst weiterhin, woraufhin der Richter aus einem schriftlichen Gutachten des Sachverständigen dessen Einschätzung des Beschuldigten vorlesen ließ, um den Druck auf den Beschuldigten weiterhin zu erhöhen. Nach dem Gutachten liege bei dem Beschuldigten ein sexueller Masochismus vor, zudem bestehe der Verdacht auf einen Transvestitismus sowie auf einen Fetischismus. Der Beschuldigte räumte den vorsätzlichen Verstoß gegen § 183 StGB (Exhibitionismus) schließlich ein und war auch bereit, sich einer ambulanten Therapie zu unterziehen.

Der Richter wurde in der ersten Entscheidung des Landgerichts Kassel vom Vorwurf der Rechtsbeugung in Tateinheit mit Aussageerpressung freigesprochen (1. September 2011). Der Bundesgerichtshof hatte diesen Freispruch auf die Revision der Staatsanwaltschaft jedoch aufgehoben (31. Mai 2012). Nunmehr hat das Landgericht Kassel den Strafrichter wegen Rechtsbeugung und Aussageerpressung zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr verurteilt, die aber zur Bewährung ausgesetzt wurde. Auch hat es fünf Monate dieser Strafe für vollstreckt erklärt (27. Juni 2017).

Entscheidung des Bundesgerichtshofs 

Der Bundesgerichtshof ist in seiner Entscheidung vom 15. August 2018 nun zu dem Schluss gekommen, dass die Entscheidung des Landgericht Kassels vom 27. Juni 2017 rechtlicher Überprüfung nicht standhält. Der Strafrichter habe sich nicht wegen Rechtsbeugung und Aussageerpressung strafbar gemacht.

Der Aufenthalt des Beschuldigten in der Gewahrsamszelle und das zeitweilige Verschließen der Zellentür für einen kurzen Zeitraum stelle keine Gewaltanwendung dar, da darin kein Einsperren und somit auch keine Freiheitsberaubung liege. Einsperren ist das Festhalten in einem umschlossenen Raum durch äußere Vorrichtungen, so dass der Betroffene objektiv gehindert ist, sich von dem Ort wegzubewegen. An der Unmöglichkeit der Fortbewegung fehlt es, wenn die Fortbewegung nur erschwert wird. Vorliegend sei eine Fortbewegung nicht unmöglich gemacht worden, da es dem Beschuldigten jederzeit möglich gewesen wäre, aus der Zelle entlassen zu werden. Zudem sei der Beschuldigte durch die Maßnahme auch nicht seelisch gequält worden.

Eine Strafbarkeit wegen Rechtsbeugung aufgrund der Anwendung einer verbotenen Vernehmungsmethode (§ 136a StPO) konnte der Bundesgerichtshof ebenfalls nicht erkennen. Es sei aber nicht ausgeschlossen, dass der Beschuldigte durch eine unerlaubte, erhebliche manipulative Einflussnahme und einen dadurch erzeugten schwerwiegenden seelischen Druck in seiner Entscheidung über das Ob und Wie seiner Aussage maßgeblich beeinträchtigt war und deshalb doch eine Beugung des Rechts im Sinne von § 339 gegeben ist. Dies habe das Landgericht Kassel aber nicht rechtsfehlerfrei angenommen.

Der Bundesgerichthof verwies den Fall daher zur erneuten Prüfung an das Landgericht Kassel zurück und wies darauf hin, dass die neu zur Entscheidung berufene Strafkammer zu erörtern habe, ob durch die festgestellte Einwirkung auf den Beschuldigten zur Abgabe einer Einwilligung in eine ambulante Therapie Verfahrensrecht in erheblicher Weise verletzt worden ist.

Wie es nun im 3. Rechtsgang weitergeht, bleibt also weiterhin spannend.


Rechtsanwalt Steffen Dietrich, Fachanwalt für Strafrecht aus Berlin


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