Rufbereitschaft als „Arbeitszeit“?

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Der Europäische Gerichtshof hat mit Urteil vom 21.02.2018 in der Rechtssache „Matzak“ wieder Belebung in die Diskussion gebracht, ob Rufbereitschaftszeiten als Arbeitszeiten anerkannt werden müssen.

Herr Matzak ist für die Stadt Nivelles (Belgien) seit 1981 als freiwilliger Feuerwehrmann tätig. In dieser Eigenschaft übernimmt er dienstplanmäßig auch Wach- und Bereitschaftsdienste. Vorgegeben ist Herrn Matzak bzw. den freiwilligen Feuerwehrleuten, dass sie sich zuhause aufhalten und bei Bereitschaft im Bedarfsfall innerhalb von acht Minuten bei normalen Verkehrsverhältnissen in der Feuerwache (Feuerwehrkaserne) eintreffen müssen, um ihren Dienst aufzunehmen.

Eine solche Sonderform der Arbeit wäre bei Arbeitnehmern in Deutschland wohl „Rufbereitschaft“, denn der Betroffene hält sich nicht am Arbeitsplatz auf, sondern an einem anderen Ort, ist erreichbar und muss im Bedarfsfall während solcher Zeiten zum Arbeitsplatz kommen, um seine Arbeit aufzunehmen.

Der Europäische Gerichtshof ist nicht an diese Begrifflichkeiten gebunden. Er hat aber die hier in Rede stehende Form der Erreichbarkeit des „Arbeitnehmers“ (unterstellt, freiwillige Feuerwehrleute fallen unter diesen Begriff) für Arbeitszeit im Sinne der Richtlinie RL 2003/88/EG gehalten. Er begründet dies im Wesentlichen mit folgenden Argumenten:

Die Zeit, die ein Arbeitnehmer im Rahmen seiner für seinen Arbeitgeber erbrachten Tätigkeiten verbringt, kann im Sinne der Richtlinie „Arbeitszeit“ oder „Ruhezeit“ sein. Die Richtlinie wolle Mindestvorschriften zur Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen der Arbeitnehmer aufstellen. „Arbeitszeit“ in diesem Sinne setze voraus, dass sich der Arbeitnehmer an dem vom Arbeitgeber bestimmten Ort aufhalte und ihm zur Verfügung stehe, um gegebenenfalls die Arbeitsleistung aufnehmen zu können. Bei der Rufbereitschaft sei es allerdings so, dass nur die ständige Erreichbarkeit, nicht die Anwesenheit an einem bestimmten Ort geschuldet sei. Vorliegend sei der Arbeitnehmer aber zusätzlich verpflichtet gewesen, innerhalb von acht Minuten am Einsatzort einzutreffen und an seinem Wohnort anwesend zu sein. Die Möglichkeit, anderen Tätigkeiten nachzugehen, sei dadurch nicht mehr gegeben. Die Mitgliedstaaten könnten unabhängig davon aber frei regeln, ob sie für solche Bereitschaftszeiten zu Hause eine Vergütung vorschreiben.

EuGH, gerichtl. Aktenz.: C.2018/82, Neue Zeitschrift für Arbeitsrecht (NZA) 2018 Seite 293 („Matzak“)

Der Europäische Gerichtshof hat damit also nicht gleichzeitig festgelegt, dass eine solche Zeit wie Normalarbeitszeit zu vergüten ist. Er hat auch nicht festgestellt, dass es sich um Arbeitszeit im Sinne des deutschen Arbeitszeitgesetzes handelt oder um vergütungspflichtige Arbeit(szeit).

Allerdings wird vertreten, dass eine solche Rufbereitschaft auch nach deutschem Recht Arbeitszeit sein könne. Entscheidend seien die Umstände des Einzelfalls. Entscheidend sei, ob der Arbeitnehmer durch die Rufbereitschaft so sehr an der Verfolgung seiner persönlichen und sozialen Interessen gehindert werde, dass sich die Situation letztlich kaum von einer Anwesenheit im Betrieb unterscheide (Bayreuther, Neue Zeitschrift für Arbeitsrecht, 348 ff.).

Was bedeutet dies im Hinblick auf die Frage der Vergütung?

Da das Europäische Recht nicht regelt, welche Zeiten als vergütungspflichtige Arbeitszeiten im innerstaatlichen Recht behandelt werden müssen, kann die Entscheidung des EuGH in der Rechtssache „Matzak“ hierzu naheliegenderweise keine Aussagen beinhalten.

Sie darf aber durchaus als Hinweis verstanden werden, dass eine solche Rufbereitschaft als Arbeitszeit auch im innerstaatlichen Recht verstanden werden muss.

Auswirkungen auf die Praxis:

Mit dieser Entscheidung ist Bewegung in die Diskussion um Rufbereitschaftszeiten gekommen: Insbesondere in der Pflege kommt es durchaus häufig vor, dass über die regelmäßige Arbeitszeit hinaus noch Rufbereitschaften hinzukommen. Diese werden von den Beschäftigten verständlicherweise als zusätzliche Einschränkung ihres privaten Lebensbereichs empfunden: Die Freizeit kann zwar noch als „Freizeit“ in Anspruch genommen werden, völlig frei ist der Arbeitnehmer gleichwohl nicht und er muss jederzeit damit rechnen, zur Arbeit gerufen zu werden. Es bleibt abzuwarten, ob dadurch eine höhere Wertigkeit der Arbeitsbeiträge der Beschäftigten durch Rufbereitschaft erreicht werden kann.

Dr. Bert Howald

Rechtsanwalt 

Fachanwalt für Arbeitsrecht

Anwaltskanzlei Gaßmann & Seidel, Stuttgart


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