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Schlafes Richter

  • 3 Minuten Lesezeit
Sandra Voigt anwalt.de-Redaktion

Wer in der Nacht wenig Schlaf bekommen hat, braucht sich nicht wundern, wenn der Körper im Lauf des Tages seinen Tribut fordert. Selbst (ehrenamtliche) Richter sind davor nicht gefeit – sind sie doch auch nur Menschen mit ganz normalen Bedürfnissen. Das Problem ist nur: Wird ein Richter vom Schlaf übermannt, bekommen es ganz, ganz viele Leute im Gerichtssaal mit. Im schlimmsten Fall bricht nicht nur über den ruhebedürftigen Richter das Jüngste Gericht herein. Es kann auch passieren, dass die mangelnde geistige Anwesenheit des Richters zur Aufhebung des gefällten Urteils führt.

Richter verschläft Verhandlung

Ein ehrenamtlicher Richter hatte wohl eine schwere bzw. lange Nacht hinter sich, als er am nächsten Morgen zu spät und verschlafen zu einer Verhandlung kam. Kaum saß er auf dem Richterstuhl, fielen ihm die Augen schon wieder zu; Zeugen berichteten zusätzlich von einem „auf die Brust gesunkenem Haupt“, vornüber gebeugtem Oberkörper und hörbarem Atmen.

Ein Berufsrichter versuchte daraufhin, seinen „kaputten“ Kollegen aufzuwecken, indem er ihn dreimal mit dem Fuß – ob auch mit der Hand, daran konnte er sich nicht mehr erinnern – anstieß. Das wiederum stieß jedoch auf taube Ohren – der ehrenamtliche Kadi schlief nämlich weiter wie ein Murmeltier und schreckte, gestört durch die Anstubser, nur ab und zu auf.

Das aufgrund dieser Verhandlung gefällte Urteil brachte nun aber den betroffenen Kläger um den Schlaf. Er war der Ansicht, dass der Richter während der relevanten Verhandlung zwar körperlich, aber nicht geistig anwesend gewesen sei und sich deshalb auch kein Urteil habe bilden können. Der besagte Kadi erklärte, sich nicht daran erinnern zu können, den Schlaf der Gerechten geschlafen zu haben – er habe den Verhandlungen vielmehr „wie immer“ folgen können. 

Geschlossene Augen als Zeichen für konzentriertes Zuhören?

Das Bundessozialgericht (BSG) hob das Urteil auf und verwies den Rechtsstreit zurück an die Vorinstanz. Der Richter mag zwar körperlich im Gerichtssaal gewesen sein – geistig dagegen war er im Land der Träume. Und wer schläft, kann sich schlecht auf anspruchsvolle Gerichtsverhandlungen konzentrieren und letzten Endes bei der Entscheidungsfindung behilflich sein. Das gilt selbst dann, wenn ein Richter die Gerichtsakte und die Rechtslage bereits wie im Schlaf kennt.

Das BSG wies allerdings darauf hin, dass ein Richter nur in der Lage sein muss, den wesentlichen Vorgängen zu folgen. Ob aber z. B. ein Fünf-Minuten-Nickerchen – sog. Powernap – zur rechten Zeit erlaubt ist, ließ das Gericht leider offen.

Ferner stellten die Richter klar, dass allein geschlossene Augen und das – dauerhafte – Senken des Kopfes noch lange nicht bedeuten, dass jemand schläft. Diese Haltung kann nämlich auch der geistigen Entspannung dienen oder verdeutlichen, dass sich der Richter besonders auf die Verhandlung und das dort Gehörte konzentriert. In diesem Fall darf natürlich nicht zu streng mit ihm ins Gericht gegangen werden. 

Hinzukommen müssen deshalb noch weitere Anzeichen, die verdeutlichen, dass der Richter ein Nickerchen gemacht hat, z. B. hörbares und gleichmäßiges Atmen, Schnarchen, fehlende Orientierung nach dem Aufwachen oder plötzliches Aufschrecken.

Vorliegend hatte der ehrenamtliche Richter seine Zeit während der Verhandlung ausschließlich im Schlummerland verbracht. So war er bereits verschlafen in den Gerichtssaal gekommen. Auch fielen ihm die Augen augenblicklich zu, nachdem er am Richtertisch Platz genommen hatte. Diese friedliche Siesta wurde lediglich durch den Berufsrichter gestört, der seinen Sitznachbarn mit ein paar Fußtritten aufwecken wollte. Die Schlafmütze schreckte aber jedes Mal nur kurz auf und nickte nach der unwillkommenen Unterbrechung sofort wieder ein. Auch wirkte er nach der Verhandlung schlaftrunken. Die BSG-Richter gingen deshalb davon aus, dass die geschlossenen Augen nicht von besonderer Konzentration herrührten, sondern vielmehr von der Mütze Schlaf, die sich der ehrenamtliche Kadi gegönnt hatte.

Fazit: Richter müssen sowohl körperlich als auch geistig an ihren Verhandlungen teilnehmen. Anderenfalls fehlen ihnen die erforderlichen Kenntnisse und Informationen, um ein sachgerechtes Urteil fällen zu können. Hat der Richter während des Prozesses geschlafen, ist sein auf Grundlage der Verhandlung gefälltes Urteil aufzuheben.

(BSG, Beschluss v. 12.04.2017, Az.: B 13 R 289/16 B)

(VOI)

Foto(s): ©iStockphoto.com

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