Sonderbedarfszulassung Systemische Therapie

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Wie kommen Systemische Therapeuten ins System der Vertragspsychotherapie?

Mit Beschluss vom 22.11.2018 hat der Gemeinsame Bundesausschuss (GBA) den Weg für die Systemische Therapie als viertes Richtlinienverfahren zur Behandlung von Erwachsenen freigemacht.* Die Eingliederung der Systemischen Therapie in die Psychotherapie-Richtlinie erfolgte mit Beschluss des GBA vom 22.11.2019 zum 1.4.2020. Vertragspsychotherapeuten mit entsprechender Genehmigung nach der Psychotherapie-Vereinbarung können Leistungen der Systemischen Therapie seit dem 1.7.2020 nach dem EBM abrechnen. Hierzu profitieren zunächst die in einem der schon länger etablierten Richtlinienverfahren (tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie, analytische Psychotherapie, Verhaltenstherapie) qualifizierten und bereits im System der GKV zugelassenen Psychotherapeuten, die zusätzlich die Genehmigung Systemische Therapie erhalten haben und entsprechende Leistungen erbringen möchten und können.

Noch nicht zugelassene Systemische Therapeuten können sich zunächst in einem Planungsbereich bewerben, der geöffnet wurde wegen eines Versorgungsgrads von unter 110 Prozent für Psychotherapeuten generell oder wegen Unterschreitens der Mindestquote für eine ihrer Subgruppen (25 Prozent bei Ärztlichen Psychotherapeuten oder 50 Prozent hiervon bei Fachärzten für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie).

In geschlossenen Planungsbereichen verbleibt ihnen (neben der Tätigkeit in einer Jobsharing-BAG oder einem entsprechenden Anstellungsverhältnis) vor allem die Praxisnachfolge mit Nachbesetzung als regulärer Weg ins System. Dieser Weg ist jedoch gerade neu ausgebildeten Psychotherapeuten wegen der gesetzlichen Auswahlkriterien wie Approbationsalter und Dauer der therapeutischen Tätigkeit faktisch überwiegend verschlossen. Hinzu kommt, dass die Zulassungsgremien bei dem Kriterium der beruflichen Eignung der Überstimmung des Richtlinienverfahrens von abgebendem und nachfolgendem Therapeuten ein hohes Gewicht beimessen (vgl. BSG, Urt. vom 2.7.2014 – B 6 KA 23/13 R –, Rn 28 juris), die hier noch selten vorliegen wird. Ansonsten könnte die KV bei der Ausschreibung einer Praxis die als Auswahlkriterium zu berücksichtigende Bereitschaft der Bewerber, Leistungen der Systemische Therapie zu erbringen, als besonderes Versorgungsbedürfnis definieren (§ 103 Abs. 4 Satz 5 Nr. 7 SGB V; vgl. BSG a.a.O.). Ein geregeltes Verfahren dazu, wie die KV hierzu veranlasst werden könnte, existiert jedoch leider nicht, weshalb gerade Bewerber keinen Einfluss hierauf haben.

Da die Systemische Therapie, wie ausgeführt, bislang von den Zugelassenen kaum angeboten wird, liegt als Ausweg ein Antrag auf Zulassung wegen eines qualifikationsgebundenen Sonderbedarfs nahe (vgl. BSG, Urt. v. 28.6.2017 – B 6 KA 28/16 R). Denn nach dem zitierten BSG-Urteil handelt es sich bei den verschiedenen Richtlinienverfahren um unterschiedliche Versorgungsbereiche, für die jeweils eigenständig eine Bedarfsprüfung vorzunehmen ist (s.a. BSG, Urt. v. 23.6.2010 ‑ B 6 KA 22/09 R). Und die Praxen der wenigen bereits zugelassenen Systemischen Therapeuten werden in aller Regel schon mit anderen Leistungen ausgelastet sein, die sie in einem der herkömmlichen Verfahren erbringen. Entsprechende Anträge liegen etwa dem ZA Berlin bereits vor, werden aber, soweit ersichtlich, v.a. mit dem Argument zurückgewiesen, dass ein entsprechender Bedarf zum neuen Verfahren Systemische Therapie gar nicht vorhanden sei. Dies folge schon daraus, dass Zugelassene mit entsprechender Qualifikation keine Leistungen Systemische Therapie abrechneten. Außerdem lägen der Terminservicestelle spezifische Anfragen nach Systemischer Therapie nicht vor.

Es bleibt zu hoffen, dass die Berufungsausschüsse und Sozialgerichte dieser sehr problematischen Argumentation nicht folgen werden. Denn es versteht sich von selbst, dass die neu eingeführte Systemische Therapie bei den Patienten noch nicht allseits bekannt sein kann, was aber noch nicht gegen einen entsprechenden Bedarf spricht. Nach hier vertretener Auffassung muss gerade angesichts dessen, dass die Systemische Therapie aktuell so gut wie nicht im System der Vertragspsychotherapie vertreten ist, von einem gewissen Mindestbedarf an diesen Leistungen ausgegangen werden. Wenn Niedergelassene im Zuge der Prüfung dieses Bedarfs demgegenüber (oftmals reflexartig) behaupten, noch entsprechende Kapazitäten zu haben, so wäre dies von den Zulassungsgremien äußerst kritisch zu hinterfragen durch Überprüfung der Abrechnungszahlen, und zwar notfalls auch unter Hintanstellung von Belangen des Datenschutzes der Praxisinhaber (vgl. BSG, Urteil vom 17.03.2021 - B 6 KA 2/20 R).

Leider existieren keine vom Gesetzgeber bzw. vom Gemeinsamen Bundesausschuss (GBA) in der Bedarfsplanungsrichtlinie vorgegebenen Mindestquoten, die von vornherein einen angemessenen Anteil der Vertragspsychotherapeutensitze (bspw. zehn Prozent der regionalen Verhältniszahl) dem neuen Verfahren der Systemischen Therapie vorbehielten. Die Öffnung eines Planungsbereichs speziell für Systemische Therapeuten durch den zuständigen Landesausschuss der Ärzte und Krankenkassen scheidet daher aus. Umso mehr erscheint es aber verfassungsrechtlich geboten, für die neue Subspezialisierung der Systemischen Therapie wenigstens den Weg einer Sonderbedarfszulassung zu eröffnen, da Zulassungsbeschränkungen ansonsten am Maßstab der Berufsfreiheit kaum mehr zu rechtfertigen wären (vgl. BSG, Urt. v. 28.6.2017 - B 6 KA 28/16 R -, Rn 34 mit Verweis auf BVerfG, Beschluss vom 27. April 2001 - 1 BvR 1282/99).

Als von einzelnen Zulassungsausschüssen in Baden-Württemberg bereits praktizierter Kompromiss kommt schließlich noch eine dem Umfang nach beschränkte und zeitlich auf zwei Jahre befristete persönliche Ermächtigung des Zulassungsanwärters in Betracht, die aber einen noch unsichereren Status impliziert als eine Sonderbedarfszulassung und allenfalls hilfsweise beantragt werden sollte.

Im Übrigen genehmigen die Zulassungsausschüsse bedarfsunabhängige Institutsermächtigungen von einschlägigen Ausbildungseinrichtungen, damit Systemische Therapeuten ausgebildet und entsprechend auch auf eine vertragspsychotherapeutische Tätigkeit vorbereitet werden können. Auch vor diesem Hintergrund erscheint es nicht angemessen, den Absolventen dieser Ausbildungsinstitute nach Erwerb der Approbation den vertragspsychotherapeutischen Markt de facto weitestgehend zu verschließen.

*S. Barth, Holger in: Psychotherapie in Politik und Praxis 2020 (Mitgliedermagazin des bvvp), Nr. 3, 18 f.


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