Sorgerechtliche Meinungsverschiedenheiten in der Corona- Pandemie

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Bei Meinungsverschiedenheiten regelt § 1628 BGB, dass das Familiengericht auf Antrag eines Elternteils in einer bestimmten  Sorgerechtsangelegenheit von erheblichem Gewicht die Entscheidungsbefugnis einem Elternteil allein übertragen kann. Hierfür ist die Stellung eines Antrags eines Elternteils notwendig.


Bisher betrafen Meinungsverschiedenheiten vor allem das Aufenthaltsbestimmungsrecht, die Ausbildungs- und Berufswahl, die Wahl der Schulart oder die zweckmäßige Verwaltung des Kindesvermögens. In der Corona-Pandemie allerdings haben sich neue Themenkreise und Fallgruppen entwickelt.


1. Betreuung des Kindes 


Während der bundesweiten Schulschließung mussten sich die Familiengerichte verstärkt mit Meinungsverschiedenheiten der Eltern zur Notbetreuung der Kinder beschäftigen. Bisher wurde von den Familiengerichten zumeist vertreten, dass die Frage einer zusätzlichen Betreuungsform im schulischen Zusammenhang von der Alltagskompetenz des betreuenden Elternteils umfasst sei. Somit bedurfte es einer gerichtlichen Entscheidung bei Meinungsverschiedenheiten hierüber nicht, da es sich um keine Angelegenheit von erheblicher Bedeutung handelte. 


Die schulischen Rahmenbedingungen haben sich allerdings während der Pandemie verändert. Die Notbetreuung hat eine gesteigerte Wichtigkeit erlangt und ist zumindest während erheblichen Infektionsgeschehens von großer Bedeutung. Zumindest im März 2020 bestand die Besorgnis, die Teilnahme an der Notbetreuung würde ein erhöhtes Infektionsrisiko für die Kinder bergen (so zumindest das Amtsgericht München in einer Entscheidung aus dem Jahr 2020).  Das Amtsgericht Aachen hat im Mai 2020 dagegen vertreten, dass ein erhöhtes Infektionsrisiko am Ort Betreuung durch die Schutzvorkehrungen gemildert wäre. Es sei zudem das Risiko einer Infektion gegen die Nachteile einer andauernden Isolation im häuslichen Umfeld abzuwägen. Festzuhalten bleibt, dass die Betreuung des Kindes zu Zeiten von Schulschließungen eine Frage von erheblicher Bedeutung i. S. d. § 1628 BGB ist und bei Meinungsverschiedenheiten die Familiengerichte entscheiden können. 


2. Impfung des Kindes


Seit Zulassung des Impfstoffs von BioNTech/Pfizer auch für Kinder, beschäftigen sich die Familiengerichte damit, welchem Elternteil die Entscheidung über die Corona- Impfung zu übertragen ist. Die Oberlandesgerichte sehen, soweit ersichtlich, die Corona-Schutzimpfung als Angelegenheit von grundlegender Bedeutung für das Kind an.


Es ist immer das Kindeswohl zu berücksichtigen. Die Entscheidung ist zugunsten des Elternteils zu treffen, der im Hinblick auf die jeweilige Angelegenheit das bessere Konzept verfolgt. Bei Schutzimpfungen dürfte bei Uneinigkeit der Eltern maßgeblich auf die Empfehlungen der STIKO durch die Gerichte abgestellt werden. Deren Empfehlungen sind als medizinischer Standard anerkannt. Empfehlung der STIKO dürfen im Einzelfall aber nicht wahllos ohne Überprüfung übernommen werden. Eine Untersuchung durch den Kinderarzt und dessen Einschätzung zu etwaigen Kontraindikationen ist zu beachten. Zudem darf der Kindeswille nicht völlig unbeachtet bleiben, wenn das Kind ein gewisses Alter und einen gewissen Entwicklungsstand erreicht hat und sich eine eigenständige Meinung zur Schutzimpfung bilden kann. 


Beschlüsse der Oberlandesgerichte sind allerdings immer nur auf den Zeitpunkt ihrer Entscheidung gesehen zu verstehen. Kenntnisse über den Verlauf der Pandemie sind immer umfangreicher geworden, die medizinische Forschung ist ständig im Fluss.


3. Auslandsreisen


Für Reisen mit dem Kind musste bislang keine Zustimmung des mitsorgeberechtigten anderen Elternteils eingeholt werden. Die Gerichte sind davon ausgegangen, dass der tatsächlich betreuende Elternteil die Befugnis zur alleinigen Entscheidung in Angelegenheiten des täglichen Lebens hat. Reisen ins Ausland waren grundsätzlich davon umfasst. Lediglich dann, wenn mit dem Reiseziel ein über das allgemeine Lebensrisiko hinausgehendes erhöhtes Gefährdungspotenzial verbunden war, wurde die Reise als Angelegenheit von erheblicher Bedeutung angesehen und eine Zustimmung des anderen Elternteils war notwendig.


Ab Mitte März 2020 haben die Familiengerichte Reisen ins Ausland vermehrt als Angelegenheiten von erheblicher Bedeutung angesehen. Dies wurde mit dem erhöhten Ansteckungsrisiko etwa auf einer Flugreise begründet oder durch das erhöhte Ansteckungsrisiko am Zielort. Diese Entscheidungen aus der Anfangszeit der Pandemie können allerdings nicht 1:1 auf die jetzige Situation übertragen werden. Das OLG Dresden entschied Ende Juli 2021 zu einer 2-wöchigen USA-Reise, dass keine Angelegenheit von erheblicher Bedeutung vorliegt. Die USA waren zum damaligen Zeitpunkt kein Risikogebiet mehr. Im Ergebnis wurde mit dieser Entscheidung zur kindschaftsrechtlichten Routine zurückgekehrt. Wie Entscheidungen beispielsweise in den Sommerferien 2022 ausfallen werden, kann schwer prognostiziert werden. Allerdings ist Im Einzelfall immer der aktuelle Stand der entsprechenden Reisewarnungen, die Einstufung des Urlaubsziel als Risikogebet und der Impfstatus kindlicher Kontaktpersonen zu beachten.


4. Schule und Corona-Tests


Die Möglichkeit der Teilnahme am Präsensunterricht war teilweise während der Corona-Pandemie nur bei Teilnahme der minderjährigen Kinder an einem Covid-19-Schnelltest möglich. Folgerichtig sah das OLG Bamberg die Teilnahme eines Kindes an einem Schnelltest aufgrund des möglichen Ausschlusses des Kindes vom Präsenzunterricht als Angelegenheit von erheblicher Bedeutung haben. Hier wurde vertreten, dass von einem Rachen- oder Nasenabstrich bei Kindern keine Gesundheitsgefahr ausgeht.


Zusammenfassend kann somit festgehalten werden, dass alle sorgerechtrelevanten gerichtlichen Entscheidungen zu Corona-Fällen nur im Zusammenhang mit den zum Zeitpunkt der Verkündung herrschenden pandemischen Verhältnissen und dem jeweiligen Stand der Wissenschaft verstanden werden können. Bei Fragen zu sorgerechtlichen Meinungsverschiedenheiten im Zuge der Corona- Pandemie empfiehlt es sich, anwaltlichen Rat einzuholen. 


 


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