Unbestimmter Rechtsbegriff: Besonderes öffentliches Interesse an Strafverfolgung und Anklageerhebung

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Lauf und Schicksal eines Strafverfahrens hängen von verschiedenen Tatsachen und rechtlichen Fragen ab, welche ein Rechtsanwalt im Strafrecht beeinflussen kann.

Wie kommt ein Strafverfahren zustande?

Ein Strafverfahren entsteht in aller Regel durch Strafanzeige eines Menschen oder durch staatliche Wahrnehmung, d. h. durch eigene Beobachtungen, z. B. wenn gegen eine Gruppe Beschuldigter bei gewissen Straftaten verdeckt ermittelt wurde (§ 110 a StPO).

Ausgehend vom Normalfall „geringer bis mittlerer Kriminalität“: 

Nach Erstattung einer Strafanzeige und dem Stellen eines Strafantrages durch die/den Verletzte/n bei der Polizei wird durch den Staat ermittelt, d. h. Sach- und Personalbeweise werden daraufhin untersucht, ob der Vorwurf des Strafgesetzesbruches einer kritischen Beweiswürdigung der im Ermittlungsverfahren zugänglichen Beweise und Indizien standhält und dies auch in einer anschließenden Gerichtsverhandlung Bestand hätte (sog. hinreichender Tatverdacht § 170 Abs. 1 StPO).

Diese Wertung obliegt der Staatsanwaltschaft, da sie gesetzlich zuständig ist und Herrin des Strafverfahrens ist. 

Vorab folgt dem (ggf. nur vorläufigem) Ermittlungsende der Abschlussvermerk (§ 169 a StPO) und der polizeiliche Vorgang wird zur Staatsanwaltschaft gereicht und dort sodann ein sog. „Rotband“ mit einem Js-Aktenzeichen (Justizsache) angelegt, so bezeichnet, weil die Aktendeckel rot, bei der Amtsanwaltschaft blau sind. Für den Fall, dass wegen (relativem) Antragsdelikt eine Strafanzeige z. B. von Dritten gemacht wurde, muss bei Fehlen eines Strafantrages durch den Verletzten ein (besonderes) öffentliches Interesse an der Strafverfolgung durch den Staat bejaht werden. 

Für einen Laien ist selten nachvollziehbar, dass das besondere öffentliche Interesse entscheidet, ob überhaupt Ermittlungen begonnen werden (bei sog. Privatklagedelikten § 374 StPO) oder Klage zu erheben ist bei anderen Straftaten. 

Dieser kurze Aufsatz soll erklären, was das öffentliche Interesse bedeutet: 

Das „öffentliche Interesse an der Strafverfolgung“ ist ein unbestimmter Rechtsbegriff, der nach dem Willen des Richtliniengebers der Richtlinien über das Straf- und Bußgeldverfahren (RiStBV) der Staatsanwaltschaft oder Amtsanwaltschaft (Letztere nur existent in Berlin und Frankfurt/M) als Behörde hinsichtlich des „Ob“ und des „Wie“ ihrer Entscheidung einen Beurteilungsspielraum einräumt (Kopp/Schenke VwGO, § 114, Rn. 23 mwN).

Die Strafprozessordnung selbst schweigt zum öffentlichen Interesse, das Strafgesetzbuch benennt dieses nur am Standort der entsprechenden Strafgesetze (siehe nur §§ 123 II, 230, 194, 205 StGB).

Der Entscheidungsspielraum ist für das (Straf-)Verfahren aber von großer Bedeutung, da dieser einer gerichtlichen Kontrolle nur bedingt zugänglich ist, d. h. ein deutsches Verwaltungsgericht wird nicht ein eigenes Ermessen an die Stelle der Behörde setzen können und etwa urteilen, dass die Behörde ihren Beurteilungsspielraum des konkreten Falls falsche einsetzte (vgl. Art. 20 Abs 3 GG). 

Die Richtlinien nach Nummern der RiStBV: 

Die RiStBV unterscheidet das (besondere) öffentliche Interesse an Verfolgung/Klageerhebung anhand des Vorliegens der jeweiligen Straftat, welche zur Anzeige gebracht wurde.

So wird das öffentliche Interesse zur Klageerhebung bei einer Körperverletzung (Nr. 233) bejaht, wenn eine rohe Tat, eine erhebliche Misshandlung oder eine erhebliche Verletzung vorliegt. 

Das besondere öffentliche Interesse an der Strafverfolgung bei Körperverletzung (§§ 223, 230 StGB) soll wiederum nach RiStBV 234 dann anzunehmen sein, wenn der Täter einschlägig vorbestraft ist, roh oder besonders leichtfertig oder aus rassistischen, fremdenfeindlichen oder sonstigen menschenverachtenden Beweggründen gehandelt hat, durch die Tat eine erhebliche Verletzung verursacht wurde oder dem Opfer wegen seiner persönlichen Beziehung zum Täter nicht zugemutet werden kann, Strafantrag zu stellen, und die Strafverfolgung ein gegenwärtiges Anliegen der Allgemeinheit ist

Im Korruptionsstrafrecht bei Bestechung und Bestechlichkeit §§ 299, 300 StGB hingegen wird insbesondere dann ein besonderes öffentliches Interesse angenommen, wenn der Täter einschlägig (insbesondere vermögensstrafrechtlich oder wirtschaftsstrafrechtlich) vorbestraft ist und /oder ein erheblicher Schaden droht, Nr. 242 a RiStBV. 

Ein öffentliches Interesse im Sinne der RiStBV Nr. 86 (öffentliches Interesse bei Privatklagedelikte) liegt vor, wenn durch die Tat der Rechtsfrieden über den Lebenskreis des Verletzten hinaus gestört und die Strafverfolgung ein gegenwärtiges Anliegen der Allgemeinheit wäre. 

Was macht der findige Anwalt damit? 

Zunächst ist zu verstehen, dass die Vorgaben der RiStBV gegenüber Gesetzen (aus der StPO) mit Blick auf deren Verbindlichkeit schwächer ausgestaltet sind. 

Die Staatsanwaltschaft kann also, muss den Vorgaben aus RiStBV für die Behandlung des Falles aber nicht folgen. Denn generell zeichnen sich Richtlinien (vielen Lesern meiner Blogs aus dem Europarecht als EU-Richtlinien bekannt) dadurch aus, dass sie mit Blick auf deren Anwendung „nur“ empfehlenden Charakter haben. Gesetze (das Wort „Gesetze“ stammt ursprünglich vom gesetzten, bzw. gedruckten Recht) hingegen zeichnet aus, dass sie verbindlichen Charakter, also volle Geltung haben. 

Die Definitionen in den Richtlinien wiederum erhalten ebenso unbestimmte Rechtsbegriffe (Rechtsfrieden, Anliegen der Allgemeinheit), welche wiederum von Verteidigung und Staatsanwaltschaft jeweils anders interpretiert werden. 

Eine an den Interessen des Mandats ausgerichtete Verteidigung oder Nebenklagevertretung wird folglich die Vorgaben der Richtlinien durch eigene Anwendung und Auslegung geschickt einzusetzen wissen.

Dies sind indes solche Felder, welche im Bereich kleiner bis mittlerer Kriminalität zu beackern sind. Häufig kommt hier eine Einstellung des Verfahrens wegen Geringfügigkeit in Betracht und kann im Wege der Opportunität (§§ 153, 153 a StPO) verfahren werden. 

Anders im Fall schwerer Straftaten (vgl. Katalogtaten des § 100 a StPO), bei denen meist Verbrechen vorliegen, deren Mindeststrafe nach § 12 StGB ein Jahr betragen und in denen ein Strafantrag des Verletzten oder Strafanzeige von Dritten zu dessen Verfolgung und Anklageerhebung gesetzlich nicht nötig ist (sog. Offizialdelikte). 


Rechtstipp aus den Rechtsgebieten

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