Veränderung der Schadenstelle lässt Versicherungsanspruch nicht entfallen

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Wenn ein Wohngebäudeschaden, sei es durch Brand, Sturm oder Wassereinbruch, eintritt, hat der Versicherungsnehmer ein natürliches und nachvollziehbares Interesse daran, wenigstens einen solchen Zustand wiederherzustellen, dass die Wohnung weiter genutzt werden kann. Insbesondere bei größeren Schadenfällen hat der Versicherer jedoch ein gerade entgegenlaufendes Interesse, denn er möchte im Regelfall die Schadenstelle mit einem Gutachter besichtigen, um seine eigene Einstandspflicht und damit den Kausalverlauf genau festzustellen. Da die Bearbeitung eines Schadenfalls nach der Meldung jedoch erfahrungsgemäß mehrere Wochen dauern kann, kommt es in der Praxis regelmäßig vor, dass der Versicherungsnehmer, teilweise ermutigt durch Handwerker oder andere Personen, die sich mit der Abwicklung von Schadenfällen vermeintlich besser auskennen, jedenfalls die gröbsten Schadenspuren beseitigt und teilweise auch mit der Schadenbehebung beginnt. Häufig kommt es dann zum Streit über die Einstandspflicht des Versicherers, die nicht selten vor Gericht endet. Dass der Versicherer dabei nicht automatisch Recht bekommt, zeigt ein jetzt veröffentlichtes Urteil des OLG Saarbrücken vom 19.09.2012 (5 U 68/12-9).

Der Kläger des Verfahrens verlangte von dem beklagten Wohngebäudeversicherer Leistungen wegen eines durch Schneedruck entstandenen Schadens. Anfang Januar 2011 hatte der Kläger den Versicherungsvertreter der Beklagten informiert, dass das Vordach seines Anwesens infolge der darauf liegenden Schneemassen beschädigt sei und dass in den darunter liegenden Raum Wasser eindringe. Der Versicherungsvertreter besichtigte den Schaden, fertigte Fotos und füllte ein Schadenmeldeformular der Beklagten aus. Zwischen den Parteien wurde abgestimmt, dass ein Kostenvoranschlag eingeholt werden solle. Die Schadenmeldung wurde durch den Versicherungsvertreter erst zusammen mit dem Kostenvoranschlag am 01.02.2011 weitergeleitet. Am 04.02.2011 meldete sich ein von der Beklagten beauftragter Sachverständiger bei dem Kläger und vereinbarte einen Besichtigungstermin, der aber aus streitigen Gründen nicht zustande kam. Zu diesem Zeitpunkt hatten die Arbeiten an dem Vordach bereits begonnen. Im Weiteren wurde das Vordach vollständig erneuert und die Wasserschäden beseitigt.

Die Beklagte hatte die Einstandspflicht wegen Verstoßes gegen die Obliegenheit, ihr die Gelegenheit zur Schadenbegutachtung zu gewähren, abgelehnt. Sie berief sich dabei u.a. auf eine Formulierung in der Schadenanzeige, dass die Schadenstelle zu einer Besichtigung möglichst unverändert zu lassen. Der Kläger argumentierte, dass die Beklagte ihn nicht ausreichend über seine Obliegenheit belehrt hätte, so dass sie sich auf die Verletzung nicht berufen könne.

Der Senat ordnete die Rechtsansichten der Parteien neu, wodurch im Endeffekt der Kläger obsiegte.

Im Wesentlichen führte er dabei aus, dass die Obliegenheit, die Schadenstelle bis zur Begutachtung durch den Versicherer unverändert zu lassen, eine spontan zu erfüllende Obliegenheit sei, dass es hierfür also keiner Belehrung durch den Versicherer bedarf. Allerdings läge keine die Leistungspflicht berührende grob fahrlässige oder vorsätzliche Verletzung vor, da die Ausführungen im Schadenformular für den Versicherungsnehmer keinen Anlass böten, eine weitere Besichtigung zu erwarten, insbesondere, weil hier eine Besichtigung durch einen Mitarbeiter der Versicherung bereits erfolgt war, der auch Fotos aufgenommen hatte.

Nach dieser Feststellung war streitentscheidend, ob der Kläger als Versicherungsnehmer den sog. Vollbeweis für den Schadeneintritt, die Kausalität des Schadensverlaufs und die Schadenshöhe führen müsste. Insbesondere der Nachweis der Kausalität und des genauen Schadenbildes war objektiv wohl unmöglich, da das beschädigte Vordach ersetzt und entsorgt und die Wasserschäden beseitigt waren. In an sich notwendiger Sachverständigenbeweis schied also aus. Der Senat half dem Kläger aber insoweit, als dass es in der Schadensituation einen Anlass zu einer Beratung des Versicherers sah, nachdem eine Begutachtung eines Sachverständigen notwendig wäre. Diese war nicht erfolgt. Im Ergebnis sah das Gericht hierin eine Beweisvereitelung durch den Versicherer, so dass dem klagenden Versicherungsnehmer Beweiserleichterungen zugutekamen, die er im Ergebnis erfüllen konnte.

Das Ergebnis entspricht der Tendenz der Rechtsprechung, dem Versicherungsnehmer in bestimmten Konstellationen Beweiserleichterungen zuzubilligen, wenn die Beweisnot entweder Risikoimmanent ist oder aufgrund der Schadenfälle regelmäßig auftritt und vom Versicherer aufgrund seiner Erfahrungen kontrolliert werden könnte. Viele erstinstanzliche Gerichte sind hierbei in der Praxis wesentlich strenger. Dies und die Tatsache, dass die Mitarbeiter der Schadenabteilungen mangels eigener Erfahrung aus den Verfahren die Beweislastregeln häufig gar nicht oder kaum beachten, wird jedoch auch in Zukunft dazu führen, dass eine Vielzahl solcher Konstellationen erst vor Gericht entschieden werden wird.

Rechtsanwalt Heiko Effelsberg, LL.M.

Fachanwalt für Versicherungsrecht


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