Versetzung in den Ruhestand wegen Dienstunfähigkeit – nicht alle möchten raus aus der JVA Plötzensee

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Einleitung

Während die Medien in den letzten Wochen über die Ausbrüche aus der JVA Plötzensee in Berlin berichteten und die Ursachen sowie die Verantwortlichkeiten intensiv diskutiert werden, hatte sich das Verwaltungsgericht Berlin (VG) in einem einstweiligen Rechtsschutzverfahren mit der Frage zu beschäftigen, ob die Zurruhesetzung einer Beamtin, die in der JVA Plötzensee beschäftigt ist, rechtmäßig war (Beschluss vom 22.12.2017, Az: 28 L 754.17). Entgegen verbreiteten Vorurteilen und zahlreichen sog. „Beamtenwitzen“ sind Beamte nicht stets arbeitsscheu, sondern wehren sich durchaus gegen unberechtigte Versetzungen in den Ruhestand. In der Entscheidung, die im einstweiligen Rechtsschutzverfahren erging, legte das Verwaltungsgericht dar, dass der Dienstherr seiner sog. Suchpflicht nicht genügt hatte. Da er nicht zur Genüge geprüft habe, ob eine Weiterbeschäftigung möglich sei, war die Zurruhesetzungsverfügung rechtswidrig und die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs der Beamtin wiederherzustellen. Der Beitrag stellt am Beispiel der Entscheidung des VG Berlin die Pflichten des Dienstherrn dar und gibt Tipps für betroffene rechtssuchende Beamte.

Sachverhalt

Worum ging es konkret in der Entscheidung? Die Antragstellerin steht als Sozialoberinspektorin im Dienste der Justizvollzugsanstalt Plötzensee. Der Dienstherr hält die Beamtin bezogen auf das ihr zuletzt übertragene, abstrakt funktionale Amt für dienstunfähig, was das VG offengelassen hat, wofür nach den Entscheidungsgründen aber einiges spricht. Der Dienstherr erließ einen Bescheid, mit dem er die Beamtin wegen Dienstunfähigkeit in den Ruhestand versetzte. Da der hiergegen erhobene Widerspruch der Beamtin keine aufschiebende Wirkung hatte, beantragte sie beim Verwaltungsgericht Berlin, die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs wiederherzustellen. Das VG hat dem Antrag entsprochen und in der Entscheidung über den Einzelfall hinaus wichtige Aussagen zur Pflicht des Dienstherrn getroffen.

Rechtlicher Hintergrund

Rechtsgrundlagen für die Zurruhesetzung, also die Versetzung in den Ruhestand, sind § 26 Abs. 1 des Beamtenstatusgesetzes (BeamtStG) und für den hier entschiedenen und für die Berliner Landesbeamten geltenden §§ 39, 41 und 43 des Landesbeamtengesetzes (LBG).

Wann ist ein Beamter in den Ruhestand zu versetzen?

Nach § 26 Abs. 1 Satz 1 BeamtStG sind Beamte auf Lebenszeit in den Ruhestand zu versetzen, wenn sie wegen ihres körperlichen Zustandes oder aus gesundheitlichen Gründen zur Erfüllung ihrer Dienstpflichten dauernd unfähig (dienstunfähig) sind. Als dienstunfähig kann auch angesehen werden, wer infolge Erkrankung innerhalb eines Zeitraumes von sechs Monaten mehr als drei Monate keinen Dienst getan hat und keine Aussicht besteht, dass innerhalb einer Frist – die § 39 Abs. 1 Satz 1 LBG auf sechs Monate beziffert – die Dienstfähigkeit wieder voll hergestellt ist.

Was verbirgt sich hinter der sog. Suchpflicht?

Selbst bei bestehender Dienstunfähigkeit in Bezug auf das abstrakt funktionale Amt eines Beamten soll gemäß § 26 Abs. 1 Satz 3 und Abs. 2 BeamtStG von der Versetzung in den Ruhestand abgesehen werden, wenn eine anderweitige Verwendung möglich ist. Hierbei handelt es sich nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichtes (BVerwG) um eine materielle Anforderung für die Versetzung eines Beamten in den Ruhestand, die als weitere Voraussetzung neben die nach § 26 Abs. 1 BeamtStG geforderte Dienstunfähigkeit des Beamten tritt (vgl. BVerwG, Urteil vom 19. März 2015 – BVerwG 2 C 37.13 -, juris Rn. 15). Also darf der Beamte nur bei bestehender Dienstunfähigkeit und fehlenden Möglichkeiten für eine andere Verwendung in den Ruhestand versetzt werden.

Wann ist eine andere Verwendung möglich?

Gemäß § 26 Abs. 2 Satz 1 BeamtStG ist eine anderweitige Verwendung möglich, wenn dem Beamten oder der Beamtin ein anderes Amt derselben oder einer anderen Laufbahn übertragen werden kann. In diesen Fällen ist die Übertragung eines anderen Amtes sogar ohne Zustimmung zulässig, wenn das neue Amt zum Bereich desselben Dienstherrn gehört, es mit mindestens demselben Grundgehalt verbunden ist wie das bisherige Amt und wenn zu erwarten ist, dass die gesundheitlichen Anforderungen des neuen Amtes erfüllt werden (so § 26 Abs. 2 Satz 2 BeamtStG). Beamte, die nicht die Befähigung für die andere Laufbahn besitzen, haben an Qualifizierungsmaßnahmen für den Erwerb der neuen Befähigung teilzunehmen (§ 26 Abs. 2 Satz 3 BeamtStG). Damit hat der Gesetzgeber dem Dienstherrn die Verpflichtung auferlegt, für dienstunfähige Beamte nach anderweitigen, ihnen gesundheitlich möglichen und zumutbaren Verwendungen zu suchen. Erst wenn feststeht, dass der in seiner Beschäftigungsbehörde dienstunfähige Beamte auch nicht anderweitig von seinem Dienstherrn eingesetzt werden kann, darf er wegen Dienstunfähigkeit vorzeitig zur Ruhe gesetzt werden.

Grundsatz: „Weiterverwendung vor Versorgung“

Ohne gesetzliche Suchpflicht könnte der Dienstherr über die Geltung des Grundsatzes „Weiterverwendung vor Versorgung“ nach Gesichtspunkten der Zweckmäßigkeit entscheiden und autonom festlegen, unter welchen Voraussetzungen und nach welchen Kriterien er sich um eine anderweitige Verwendung des Beamten bemüht. Das wäre mit Wortlaut und Zweck des Gesetzes unvereinbar (BVerwG, Urteil vom 19. März 2015 – BVerwG 2 C 37/13 – juris, Rn. 15; OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 10. Juli 2017 – OVG 4 B 3.16). Auf diesen Grundsatz der „Weiterverwendung vor Versorgung“ kann sich der Beamte freilich auch vor Gericht berufen und dessen Verletzung geltend machen.

Wann entfällt die Suchpflicht?

Die Suchpflicht entfällt nur dann, wenn ihr Zweck von vornherein nicht erreicht werden kann. Dies ist anzunehmen, wenn die Erkrankung des Beamten von solcher Art oder Schwere ist, dass dieser für sämtliche Dienstposten der betreffenden oder einer anderen Laufbahn, in die er wechseln könnte, ersichtlich gesundheitlich ungeeignet ist (vgl. BVerwG, Urteil vom 5. Juni 2014 – BVerwG 2 C 22.13 – juris Rn. 35). Sofern die Suchpflicht nicht nach den oben genannten Grundsätzen ausnahmsweise entfällt, ist die Suche auf den gesamten Bereich des Dienstherrn zu erstrecken, wobei auch diejenigen Dienstposten zu berücksichtigen sind, die erst in absehbarer Zeit (sechs Monate) voraussichtlich neu zu besetzen sein werden (vgl. BVerwG, Urteil vom 19. März 2015 – 2 C 37.13 – juris Rn. 17 f.). Im konkreten Fall der Entscheidung des VG Berlin lag dieser Fall nicht vor.

Wie muss der Dienstherr seiner Suchpflicht nachkommen?

Er muss eine Suchanfrage starten. Die Suchanfrage muss eine sachliche Kurzbeschreibung enthalten, welche die noch vorhandene Leistungsfähigkeit des dienstunfähigen Beamten beschreibt und den angefragten Behörden eine Einschätzung erlaubt, ob der Beamte für eine Verwendung in ihrem Verantwortungsbereich in Betracht kommt. Die Suche darf sich nicht auf die Nachfrage beschränken, ob eine andere Behörde im Bereich des Dienstherrn bereit sei, den Beamten zu übernehmen. Vielmehr sind konkrete, ggf. dialogische Bemühungen erforderlich, den Beamten anderweitig zu verwenden. Zur Suchpflicht gehört auch eine Nachfrage bei einer anderen Behörde, wenn diese eine Abfrage unbeantwortet lässt (vgl. BVerwG, Beschluss vom 6. März 2012 – BVerwG 2 A 5.10 – juris Rn. 4 und Urteil vom 19. März 2015, a. a. O. Rn. 22). Es ist Sache des Dienstherrn, schlüssig darzulegen, dass er nach einer Möglichkeit einer anderweitigen Verwendung des dienstunfähigen Beamten gesucht hat (vgl. BVerwG, Urteil vom 19. März 2015, a. a. O. Rn. 20; Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg, Urteil vom 21. Juli 2017 – 4 B 3.16 -, Rn. 29, juris).

Verletzung der Suchpflicht im konkreten Fall

Das Gericht hat in der Entscheidung umfangreich dargelegt, dass der Dienstherr seine Suchpflicht verletzt hat. Zum einen waren schon die Aussagen zum Restleistungsvermögen der Beamtin in der gestellten Suchanfrage auf Grundlage der vorliegenden amtsärztlichen Stellungnahmen nicht nachvollziehbar und zumindest irreführend. Die Suchanfrage wurde nämlich bereits vor Eingang der fachlichen Stellungnahme und somit offenbar in Unkenntnis des tatsächlichen (Rest-)Leistungsvermögens der Beamtin gefertigt. Die Beschreibung des Restleistungsvermögens der Beamtin war darüber hinaus unzutreffend. Die Bemühungen der JVA Plötzensee waren auch deshalb unzureichend, weil diese verschiedenen Rückmeldungen, die auf offene Stellen hindeuteten, nicht bzw. nicht hinreichend nachgegangen ist. Dies wird in der Entscheidung umfangreich anhand von Rückmeldungen verschiedener Behörden und neun aufgeführten Stellenausschreibungen im Amtsblatt Berlin dargestellt.

Rechtstipp: Was können betroffene Beamte tun?

Die Entscheidung zeigt, dass von einer Dienstunfähigkeit und von einer Versetzung in den Ruhestand betroffene Beamte durchaus Möglichkeiten haben, sich erfolgreich gegen die Zurruhesetzung zu wehren. Zum einen sollte natürlich gründlich geprüft werden, ob die medizinische Untersuchung und das entsprechende Gutachten fachlich zutreffend sind, insbesondere hinsichtlich der weiteren Verwendungsmöglichkeiten. Zum anderen sollte geprüft werden, ob der Dienstherr vor der Zurruhesetzung seiner dargelegten Suchpflicht ausreichend nachgekommen ist. Hierzu ist es durchaus sinnvoll, auch selbstständig die Amtsblätter nach ausgeschriebenen Stellen zu durchsuchen. Bei Fehlerquellen hinsichtlich der Suchpflicht kann der betroffene Beamte wegen seiner größeren „Nähe zum Amt“ wertvolle Hinweise für etwaige nachfolgende Rechtsmittel sammeln. Schließlich sollten weitere Verfahrens- und Formfehler geprüft werden. Angesichts der existenziellen Bedeutung der Feststellung einer Dienstunfähigkeit und der Versetzung in den Ruhestand sollte die Beratung und Vertretung durch einen im Beamtenrecht erfahrenen Rechtsanwalt erwogen werden. Schließlich ist darauf hinzuweisen, dass die Versetzung in den Ruhestand freilich mit Widerspruch und ggf. anschließendem Klageverfahren vor dem Verwaltungsgericht angefochten werden kann. Die besprochene Entscheidung liefert ein gutes Beispiel für ein erfolgreich betriebenes Verfahren.

Klaus-D. Fröhlich

Rechtsanwalt


Rechtstipp aus den Rechtsgebieten

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