Wer findet den „versteckten“ letzten Willen des verstorbenen Erblassers?

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Auslegung von Testamenten in den Zeiten von Coronavirus und Vorsorge 

Die Auslegung eines Testaments bereitet nicht selten Schwierigkeiten. Sie ist jedoch ein Instrument, wenn sich einem Testament wegen des ungenauen Wortlautes der letzte Wille des Verstorbenen nicht deutlich entnehmen lässt.

Unter Auslegung verstehen Richter und wir Rechtsanwälte die Ermittlung des sog. wirklichen Willen des Verstorbenen (auf Amtsdeutsch: der sog. Erblasser). 

So schreibt es das Gesetz in § 133 BGB vor. Es geht – einfach ausgedrückt – darum, wie der Verstorbene sein Testament verstanden haben will. In der Rechtspraxis werden Testamente jedoch nicht selten erst kurz vor dem Ableben errichtet. 

Aufgrund der besonderen Situation des Verfassers des Testaments zu diesem Zeitpunkt, wegen nicht selten schwieriger oder zerrütteter familiärer Verhältnisse sowie, was häufiger vorkommt, abgebrochenen oder zum Erliegen gekommenen Kontakten zu den eigenen Kindern, kann sich die Ermittlung des letzten Willens des Verstorbenen als problematisch erweisen. 

Insbesondere auch das Formulierungsgeschick des Erblassers kann bereits im Zeitpunkt der Errichtung seines letzten Willens für ein späteres innerfamiliäres prozessieren vor Gericht von Bedeutung sein und sich somit als weichenstellend erweisen.

Hierbei spielt die Auslegung von Testamenten aber nicht nur eine Rolle für die Frage, wer Erbe geworden ist oder ob jemand wirksam enterbt wurde. Auch für die Beantwortung der Frage, ob der Verstorbene eine Vor- und Nacherbschaft angeordnet hat, spielt die Thematik der Auslegung von Testamenten eine wichtige Rolle. 

Hieran schließt sich sodann nicht selten aber eine zweite Stufe der Testamentsauslegung an, nämlich zur Fragestellung ob der Verstorbene eine sog. befreite Vorerbschaft herbeiführen wollte oder nicht. Es geht somit um die Frage, ob im Zuge der Testamentsauslegung ein sog. Befreiungswille zu Gunsten des Vorerben angenommen werden muss.

Aber vorab zur Frage, was verstehen Juristen unter Vor- und Nacherbschaft: Es bedeutet, dass mit dem Tode des Erblassers zunächst das Nachlassvermögen auf den Vorerben übergeht. Es entstehen bei diesem zwei Vermögensmassen. Das bisherige Vermögen des (Vor-)Erben und dass durch den (Vor-)Erbfall erworbene Vermögen. 

Es kommt nicht zu einer Verschmelzung der beiden Vermögensmassen. Wenn der (Vor-)Erbe später verstirbt, so geht das durch den Vorerbfall seinerzeit erworbene Vermögen auf den Nacherben über. 

Die Vor- und Nacherbschaft ist somit spiegelbildlich das Gegenteil zur Vollerbschaft, bei welcher es zu einer Verschmelzung der Vermögensmassen kommt. Nach § 2100 BGB kann der Erblasser einen Erben dergestalt einsetzen, dass dieser erst Erbe wird, nachdem zunächst ein anderer Erbe geworden ist. 

Der Zweck dieser Gestaltungsmöglichkeit für den Erblasser besteht darin, den Vermögensfluss über mehrere Generationen in seiner Familie bestimmen bzw. steuern zu können. Der Nachlass kann somit längerfristig, nämlich über den Tod des Erblassers hinaus, an die Familien gebunden werden. Sodann hat der Vorerbe auch nur ein eingeschränktes Verfügungsrecht über sein Erbe (§§ 2113 ff. BGB). 

Er kann, anders als ein Vollerbe, nämlich nicht die gesamte Erbschaft „versilbern“. Dem Gestaltungswillen des Erblassers trägt das Gesetz jedoch Rechnung. Der Vorerbe kann zum Beispiel vom Verfügungsverbot über Grundstücke oder auch von seiner Pflicht zur ordnungsgemäßen Verwaltung und Rechnungslegung über das Vorerbenvermögen befreit werden. 

Nicht befreit werden kann der Vorerbe indes hinsichtlich der Vornahme von unentgeltlichen Verfügungen. Diese möglichen Befreiungen schreibt der Erblasser in der Regel in sein Testament nieder und dokumentiert somit seinen Befreiungswillen.

Es gibt jedoch – wie die Praxis zeigt – den Fall des sog. „versteckten“ Befreiungswillen. In einem von unserer Kanzlei betreuten Mandat wurde unsere Mandantin im Wege eines Testaments zur Alleinerbin des Verstorbenen berufen. Dieser hatte jedoch noch eine Verwandte, die „spätere“ Nacherbin.

Die Alleinerbin beantrage beim Nachlassgericht sodann einen Erbschein, der sie – was sonst? – als Alleinerbin ausweisen sollte. Diesen Antrag hat das Gericht jedoch postwendend in Frage gestellt.

Das Gericht war nämlich der Auffassung, dass der Erbin nur ein Erbschein erteilt werden könne, in welchem sie als „beschränkte Vorerbin“ ausgewiesen wird. Was dem Nachlassgericht im Zuge seiner Prüfung bzw. im Wege der Auslegung des ihm vorgelegten Testaments jedoch nicht auffiel, war gerade der Umstand, dass es sich hier um einen Fall eines solch „versteckten“ Befreiungswillens handelte.

Im Zuge einer Beratung und näheren rechtlichen Prüfung des Testaments musste die angekündigte Entscheidung des Gerichts, den Antrag abzulehnen, jedoch von unserer Kanzlei angezweifelt werden. Gemeinsam mit unserer Mandantin mussten zunächst die Beweggründe sowie die Intentionen des Verstorbenen zusammengetragen bzw. von Seiten der Rechtsanwälte erfragt werden. 

Nicht selten muss bei der Ermittlung des sog. wirklichen Willens des Verstorbenen (§ 133 BGB) bis weit in die Vergangenheit zurückgegangen werden, um bestimmte Anordnungen und Bestimmungen in dessen Testament nachvollziehen zu können. Die Intentionen des Verstorbenen müssen sich jedoch unbedingt, wenn auch nur ansatzweise, im Testament wiederfinden. 

Die Beweggründe müssen indes nicht haarscharf ausformuliert sein. Der Wille des Erblassers muss sich andeuten (sog. Andeutungstheorie). Dies gilt insbesondere auch für die Frage, ob der Verstorbene hinsichtlich des von ihm eingesetzten Vorerben mit einem Befreiungswillen gehandelt hat. 

Es kommt folglich auf eine Gesamtschau an. Hierbei haben wir auch die aktuelle Rechtsprechung des Oberlandesgerichts Naumburg aus dem Jahre 2013 (Urteil vom 01. November 2013, 1 U 69/13) mit einbezogen. In diesem Urteil stellte das Oberlandesgericht Naumburg fest, dass es bei der Vor- und Nacherbschaft hinsichtlich einer Befreiung des Vorerben genügt, wenn der Befreiungswille im Testament irgendwie, wenn auch nur andeutungsweise oder versteckt zum Ausdruck kommt. 

Das Oberlandesgericht gab in seiner Entscheidung auch ein Bündel von Kriterien an, die bei der Ermittlung eines Befreiungswillens zu berücksichtigen bzw. abgeklopft werden müssen. So gehören zu den Umständen, unter denen von einer stillschweigenden Befreiung des Vorerben auszugehen ist, etwa das Einsetzen des an der Vermögensbildung beteiligten Ehegatten zum Vorerben. 

Weiterhin spielt eine Rolle, ob es sich bei dem Nacherben um einen eher entfernten Verwandten handelt. Auch ist die Motivation für die Anordnung einer Vor- und Nacherbschaft zu berücksichtigen sowie das Verhalten des Vorerben gegenüber dem Erblasser zu dessen Lebzeiten. 

In dem von unserer Kanzlei sodann geführten Erbscheinsverfahren (Az.: 41 VI 56/19 – B) vor dem Nachlassgericht haben wir es für unsere Mandantschaft erreichen können, dass das Gericht schlussendlich von seiner anfänglichen Rechtsauffassung, wie das Testament richtigerweise auszulegen sei, zugunsten der Mandantin abwich. 

Wir konnten somit für unsere Mandantin einen Erbschein erstreiten, welcher sie als befreite Vorerbin ausweist. Denn es ging gerade um die Frage, ob der Erblasser es der Vorerbin gestattet hat, über zur Erbschaft gehörende Immobilien frei verfügen bzw. diese veräußern zu können oder nicht.

Es stellte sich aber auch heraus, dass das Nachlassgericht in seiner Absicht den Antrag auf Erteilung eines Erbscheins abzulehnen, hier vorschnell gehandelt hat und auch rechtlich unzutreffend gehandelt hätte. 

Die Einschaltung eines Anwalts war in diesem Fall notwendig. Denn das Gericht bzw. der Richter hatte hier das Testament des Verstorbenen schlicht falsch verstanden und musste durch uns Anwälte von der richtigen Lesart erst überzeugt werden. Anderenfalls wäre unsere Mandantschaft nicht zu ihrem Recht gekommen bzw. der „versteckte“ letzte Wille des verstorbenen Erblassers wäre niemals „entdeckt“ worden.

Gerne beraten wir Sie in Zeiten von Corona, wenn Sie möchten, auch nur telefonisch, um de für Sie passende Vorsorgeregelung zu finden. 


Rechtstipp aus dem Rechtsgebiet

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