Zum Rücktritt wegen vorvertraglicher Anzeigeverletzung in der privaten Krankenversicherung

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BGH: Versicherer kann auch bei nur grob fahrlässiger Verletzung der vorvertraglichen Anzeigepflicht vom privaten Krankenversicherungsvertrag zurücktreten.

von Heiko Effelsberg, LL.M., Rechtsanwalt und Fachanwalt für Versicherungsrecht

Die Verpflichtung des Versicherers, den Versicherungsnehmer auch nach einer grob fahrlässigen Verletzung der Anzeigepflicht im Basistarif zu versichern, führt nicht dazu, dass der Rücktritt nach § 19 Abs. 4 VVG ausgeschlossen ist.

Auseinandersetzungen im Zusammenhang mit vorvertraglichen Anzeigepflichtverletzungen beschäftigen weiterhin in einer Vielzahl von Fällen die Gerichte. Dies liegt nur zum Teil daran, dass die Aufklärung der Pflichtverletzung als solcher durch den Versicherer in vielen Fällen nicht abschließend möglich ist, sondern vollständig erst durch das Gericht selbst erfolgt. Nein, hinzu kommt auch, dass die Gerichte die im Jahr 2008 eingeführten „neuen“ Regeln des § 19 VVG noch nicht für alle Fallkonstellationen „durchdekliniert“ haben. Die Rechtslage ist daher für den Rechtsanwender teilweise unklar.

Umso erfreulicher ist es, dass nun der BGH die Möglichkeit wahrnehmen konnte, eine Rechtsfrage zur privaten Krankenversicherung abschließend zu klären.

Streitig war eine fast schon alltägliche Konstellation: der Versicherer hatte in seinem Antragsbogen Gesundheitsfragen gestellt, um anhand der Antworten das subjektive Risiko des potentiellen Versicherungsnehmers einschätzen zu können und um auf Grundlage dieses Risikoprofils seine Entscheidung über den Abschluss des Versicherungsvertrags zu treffen. Der potentielle Versicherungsnehmer hatte daraufhin lediglich eine Vorsorgeuntersuchung ohne Befund und das Tragen einer Brille angegeben und die übrigen Fragen verneint.

Vor den Gesundheitsfragen stand eine hervorgehobene Kurzbelehrung im Fettdruck, die einen Hinweis auf die ausführliche Belehrung in den weiteren Unterlagen enthielt. Darüber hinaus befand sich oberhalb der Unterschriftenzeile ein weiterer Hinweis auf die ausführliche Belehrung.

Nach dem Abschluss des Vertrags reichte der Versicherungsnehmer einige Rechnungen ein und der Versicherer fragte Informationen beim behandelten Arzt ab. Es stellte sich heraus, dass der Versicherungsnehmer verschiedene orthopädische Behandlungen inklusive der Behandlung wegen Arthrose und Rheuma nicht angegeben hatte.

Der Versicherer erklärte daraufhin den Rücktritt vom Versicherungsvertrag. Daraufhin erhob der Versicherungsnehmer Klage vor dem Landgericht und forderte neben dem Ausgleich seiner Rechnungen auch die Feststellung, dass der Vertrag nicht durch den Rücktritt aufgehoben sei. Das Oberlandesgericht Frankfurt hatte in seiner Entscheidung (abgedruckt in VersR 2015, 1279) die Klage abgewiesen, die der Kläger im Wege der Revision weiterverfolgte.

Dabei waren im Wesentlichen 2 Fragen entscheidungserheblich:

Zum einen stellte sich in formaler Hinsicht die für alle Vesicherungszweige relevante Frage, ob die notwendige Belehrung auch dann den gesetzlichen Anforderungen genügt, wenn vor den Risikofragen nur eine (unvollständige) Kurzbelehrung steht, die den Versicherungsnehmer auf die Bedeutung der Richtigkeit seiner Antworten hinweisen soll, und die auf die ausführliche Belehrung in den weiteren Unterlagen verweist.

Zum anderen ging es um eine Sonderkonstellation der privaten Krankenversicherung: § 19 Abs. 4 VVG regelt, dass der Rücktritt vom Versicherungsvertrag ausgeschlossen ist, wenn der Versicherungsnehmer die Anzeigepflicht nur grob fahrlässig verletzt hat und der Versicherer den Vertrag auch bei Kenntnis der nicht angezeigten Tatsachen, wenn auch zu anderen Bedingungen geschlossen hätte. Jeder in Deutschland zum Geschäftsbetrieb zugelassene private Krankenversicherer ist jedoch gesetzlich verpflichtet, jeden Interessierten zumindest im Basistarif zu versichern, und zwar unabhängig von dessen Gesundheitszustand. Wenn man nun den Abschluss im Basistarif als „Abschluss zu anderen Bedingungen“ im Sinne des § 19 Abs. 4 VVG versteht, würde daraus folgen, dass der Versicherer bei grob fahrlässiger Anzeigepflichtverletzung nicht zurücktreten dürfte, sondern nur den Vertrag in den Basistarif umstellen dürfte, und diese Umstellung auch nur innerhalb einer kurzen Frist von einem Monat.

Belehrungspflicht

Zur Belehrungspflicht hat der BGH ausgeführt, dass die hier gewählte und umgesetzte Lösung, nach der der Versicherer in einer gesonderten umfangreichen Belehrung über die Rechte aufklärt und zuvor an mehreren Stellen in drucktechnisch hervorgehobener Form auf diese Belehrung verwiesen wird, nicht zu beanstanden ist. Diese Ansicht dürfte nicht zu beanstanden sein, wenn – was hier wohl gegeben ist – die Belehrung und die Hinweise darauf sich nicht widersprechen.

Inhaltlich hatte der Kläger gegen die Belehrung vorgebracht, dass bei der Darstellung der Rechtsfolgen des Rücktritts nicht darauf verwiesen wird, dass kein Versicherungsschutz für bereits eingetretene Versicherungsfälle besteht, wenn die Vertragsanpassung rückwirkend erfolgt. Der BGH hat diesen Einwand für nicht durchgreifend erachtet (Rz 18) da seiner Ansicht nach in der Belehrung ausreichend deutlich wurde, dass auch ein Risikoausschluss rückwirkend vereinbart werden kann. Der Versicherungsnehmer könne dem entnehmen, dass somit auch bereits eingetretene Versicherungsfälle hiervon betroffen sein könnten.

Basistarif

Sodann ging der BGH auf die Frage ein, ob der Versicherer bei grob fahrlässiger Anzeigepflichtverletzung am Rücktritt gehindert sei, weil er einen Antrag auf Versicherung im Basistarif annehmen müsste.

Dabei teilte der BGH die Gegenansicht des OLG Frankfurt (Urteil vom 19.1.2011 – 7 U 77/10) und LG Kiel (Urteil vom 23.11.2012 – 5 O 46/12) nicht und schloss sich ausdrücklich der Meinung des Berufungsgerichts und des LG Dortmund (r+s 2015, 244) an. Danach verhindert die Kontraktionspflicht im Basistarif den Rücktritt nicht, weil es sich bei dem Basistarif nicht um andere Bedingungen sondern schlichtweg um ein anderes Produkt handelt, dass mit dem beantragten privaten Krankenversicherungsvertrag nicht vergleichbar ist.

Fazit

Der Entscheidung ist zuzustimmen. Unabhängig von den juristischen Argumenten bzgl. der Auslegung der gesetzlichen Normen folgt dies überzeugend jedenfalls daraus, dass Basistarif und beantragter Tarif grundverschieden sind; während der Versicherungsnehmer an sich den in den Tarifbedingungen haarklein definierten Versicherungsschutz wünscht, erhält er im Basistarif nur die Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung, und dies ggf. auch zu einem deutlich höheren Preis. Außerdem unterscheiden sich private Versicherung und Basistarif gerade dadurch, dass im Basistarif keine Risikoprüfung durchgeführt wird, die sanktionierte Falschangabe somit irrelevant ist. Schließlich, und dass dürfte letztlich für den BGH sprechen, würde der Versicherungsnehmer so u.U. ein Produkt erhalten, nach dem er nie gefragt und dass er nicht einmal beantragt hat.

Letztendlich wird die Entscheidung das Problem der vorvertraglichen Anzeigepflichtverletzung nicht lösen können.

Insbesondere im Bereich der privaten Krankenversicherung kann die unterlassene Anzeige von Vorerkrankungen für den Versicherer schwere Folgen haben. Daher ist es nachvollziehbar, dass der Versicherer bei der Vermutung einer Anzeigepflicht den Rücktritt erklärt. Gleichzeitig wollte der Gesetzgeber aber verhindern, dass sich der Versicherer allzu leicht von dem Vertrag lösen kann und hat die materiellen Voraussetzungen sehr hoch gehängt. Vielfach wird sich daher auch schon auf Ebene der tatsächlichen Voraussetzungen ergeben, dass dem Versicherer kein Rücktrittsrecht zusteht, so dass es im Endeffekt auf viele rechtliche Fragen kaum ankommen wird.

RA Heiko Effelsberg, LL.M.

Fachanwalt für Versicherungsrecht


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