Zur ergänzenden Auslegung eines notariellen Testaments

  • 3 Minuten Lesezeit

Auch notarielle Testamente sollten in regelmäßigen Abständen dahingehend überprüft werden, ob ihre Regelungen noch den evtl. geänderten Umständen und den eigenen Wünschen entsprechen. Andernfalls kann es für die Erben böse Überraschungen oder zumindest Komplikationen geben, wie der Sachverhalt einer jetzt veröffentlichten Entscheidung des OLG Schleswig (Beschluss vom 18.5.2016, Az. 3 Wx 113/15, abgedruckt in ErbR 2017, 94 ff.) zeigt.

Die Erblasserin war mit verheiratet. Ihr Ehemann hatte aus erster Ehe zwei Töchter. Die Erblasserin selbst hatte keine Kinder. 1973 haben die Erblasserin und ihr Ehemann ein notarielles gemeinschaftliches Testament errichtet, in dem die Erblasserin für den Fall, dass sie vor ihrem Ehemann verstirbt, ihren Ehemann als Alleinerben ein. Für den Fall, dass ihr Ehemann zuerst verstirbt, behält sie sich weitere letztwillige Verfügungen vor. Der Ehemann hat die Erblasserin als befreite Vorerbin und seine Kinder als Nacherben eingesetzt. Außerdem enthielt das Testament eine Pfichtteilsstrafklausel für den Fall, dass seine Kinder nach seinem Tod den Pflichtteil geltend machen.

Das Vermögen der Erblasserin bestand im Wesentlichen aus einem Hausgrundstück, das sie 1966 gemeinsam mit ihrer Schwester von ihrer Mutter geerbt hatte.

Die Schwester der Erblasserin verstarb 2004 kinderlos. Der Ehemann der Erblasserin verstarb 2005. Die Erblasserin selbst verstarb 2015 und hatte zu diesem Zeitpunkt keine Verwandte mehr.

Eine Tochter des Ehemanns beantragte sodann die Ausstellung eines Erbscheins, mit der sie und ihre Schwester zu je ½ als Erben ausgewiesen werden. Die Antragstellerin stützte dies auf eine ergänzende Auslegung des Testaments, denn für den Fall, dass der Ehemann der Erblasserin vorversterben sollte, war im Testament von 1973 nichts geregelt. Es galt daher vom Wortlaut her die gesetzliche Erbfolge, was mangels weiterer Verwandter bedeutet, dass der Nachlass an den Staat fällt.

Die Antragstellerin führte dabei aus, dass sie zu der Erblasserin ein inniges Verhältnis gehabt, diese seit dem Tod des Vaters mehrmals pro Woche besucht und am Ende auch gepflegt habe. Die Erblasserin habe ihr und ihrem Ehemann gegenüber mehrfach geäußert, dass nach ihrem Tod der Nachlass an sie und ihre Schwester gehen sollte, auch weil ihr verstorbener Ehemann dies so gewollt habe. Dies sei auch im Testament so geregelt. Zum Nachweis legte sie hierzu eine eidesstattliche Versicherung ihres Ehemanns vor.

Das Amtsgericht hat den Antrag zurückgewiesen und dies damit begründet, dass für die Auslegung des Testaments allein der Wille der Erblasserin bei Errichtung des Testaments maßgeblich sei. Sie habe damals bewusst nur für den Fall eine Erbeinsetzung geregelt, dass sie vor ihrem Ehemann verstirbt und für den Fall des Vorversterbens ihres Ehemanns gerade keine Regelung treffen wollen. Eine ergänzende Vertragsauslegung käme nicht in Betracht.

Gegen diese Entscheidung legte die Antragstellerin Beschwerde ein, der das OLG stattgab und den beantragten Erbschein erteilte.

Das Gericht war der Ansicht, dass abweichend von der amtsgerichtlichen Entscheidung eine ergänzende Auslegung des Testaments möglich ist, weil es zwischen der Erstellung des Testaments und dem Erbfall eine Veränderung der Umstände gegeben habe, die die Erblasserin nicht gesehen habe. Somit lag eine Regelungslücke vor, die durch eine ergänzende Vertragsauslegung geschlossen werden konnte. Das Gericht sah diese entscheidende Veränderung in dem Tod der kinderlosen Schwester der Erblasserin. Denn damit gab es gerade keine lebenden Verwandten mehr, an die der Nachlass hätte vererbt werden können.

Im Rahmen der ergänzenden Auslegung konnte dann der Wille der Erblasserin aufgrund ihrer wiederholten Erklärungen in den letzten Jahren hergeleitet werden, womit ihre Stieftöchter letztlich bedacht wurden. Entscheidend war hierbei auch, dass nichts dafür sprach, dass die Erblasserin es vorgezogen hätte, wenn ihr Erbe an den Staat fällt. 

Wenn man den nachgewiesenen Willen der Erblasserin als Maßstab heranzieht, ist der Fall somit noch einmal gut ausgegangen. Dennoch darf man nicht übersehen, dass dies letztendlich nur eine Einzelfallentscheidung war und dass das erstinstanzliche Gericht gerade anders entschieden hatte.

Das Problem tauchte auch nur deshalb auf, weil die Erblasserin sich über den Inhalt ihres 42 Jahre alten Testaments geirrt hatte. Hätte sie nach dem Tod ihrer Schwester oder nach dem Tod ihres Ehemanns das Testament noch einmal überprüfen lassen, wäre die Lücke wohl aufgefallen und sie hätte ausdrücklich ihre Stieftöchter bedenken können.

RA Heiko Effelsberg, LL.M.


Rechtstipp aus dem Rechtsgebiet

Artikel teilen:


Sie haben Fragen? Jetzt Kontakt aufnehmen!

Weitere Rechtstipps von Rechtsanwalt Heiko Effelsberg LL.M.

Beiträge zum Thema