Arbeitszeitbetrug: Arbeitnehmerüberwachung durch Detektive unzulässig

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„Im Falle einer Beobachtung eines Arbeitnehmers durch Detektive an mehreren Tagen nebst Fertigung von Fotos ohne einen auf konkrete Tatsachen gegründeten Verdacht einer schwerwiegenden Pflichtverletzung und ohne Ausschöpfung anderer verfügbarer Erkenntnisquellen vor Anordnung der Überwachung ergibt sich aus einer hierin liegenden Verletzung von Persönlichkeitsrechten ein Sachvortrags- und Beweisverwertungsverbot. Im Falle einer solchen Beobachtung kann abhängig von den Umständen des Einzelfalls eine Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses für den Arbeitnehmer unzumutbar im Sinne des § 9 Abs. 1 KSchG sein.“ so lauten die amtlichen Leitsätze des LAG Berlin-Brandenburg (9. Kammer), Urteil vom 11.09.2020 – 9 Sa 584/20; Quelle: Beck-online.de

Was ist passiert?

LAG-Berlin-Brandenburg: „Die Parteien streiten über die Beendigung ihres Arbeitsverhältnisses und die Erstattung von Detektivkosten. Der bei Klageerhebung 58-jährige Kläger ist seit 1. Mai 1990 bei der Beklagten tätig, zuletzt als Vertriebsleiter….In der Reisekostenabrechnung des Klägers für den 17. Oktober 2016 ist angegeben: Beginn 8:00 Uhr, Ende 20:00 Uhr, Anzahl Stunden abwesend 12:00, Zweck der Reise: Oranienburg Baustellenbesuch, steuerfreier Pauschbetrag 2,40 Euro, Verpflegung 5,00 Euro. Der Spesenabrechnung beigefügt war eine Quittung der Raststätte in V., 15.08 Uhr über zwei Kaffee. Am 25. März 2019 beobachtete die Detektei T. im Auftrag der Beklagten den Kläger mit vier „Sachbearbeitern“ beginnend an dessen Wohnhaus in D. Nach dem Beobachtungsbericht verließ der Kläger sein Wohnhaus um 10.01 Uhr mit seinem Firmenwagen, fuhr nach Gera, stellte das Fahrzeug ab, ging durch die Stadtmitte, suchte in einem Einkaufszentrum eine Toilette auf, machte ein Foto von einer Baustelle des Campus G.-Gymnasium, fuhr nach N., hielt dort in der T.-M.-Straße an, ohne das Auto zu verlassen, nahm in N. in einer Fleischerei eine Mahlzeit zu sich, fuhr weiter durch Bad K. und kam um 15.44 Uhr wieder an seiner Wohnung in D. an und verlies diese nicht mehr. Nach dem Bericht wurden keine geschäftlichen Aktivitäten durchgeführt. Auf den Beobachtungsbericht unter detaillierter Schilderung der Abläufe und Vorlage zahlreicher Fotos wird Bezug genommen.“ Quelle: Beck-online.de

LAG Berlin-Brandenburg stellt klar: Kündigung unwirksam

„Die außerordentliche Kündigung vom 13. Mai 2019 ist unwirksam. Mit dem Arbeitsgericht ist davon auszugehen, dass in den Angaben des Klägers für den 2. April 2020 in der Reisekostenabrechnung eine erhebliche Pflichtverletzung liegt, wie sich aus einem Abgleich dieser Angaben und den Feststellungen der Detektei T. aufgrund der Überwachung des Klägers ergibt. Der Kläger ist verpflichtet, in der Reisekostenabrechnung zutreffende Angaben zu machen. Die Angabe „Anzahl Stunden abwesend“ 9: 30 ist ebenso falsch wie die Angabe „Finsterwalde“. Selbst wenn die Reisekostenabrechnung nicht der Erfassung von Arbeitszeiten dient, erfolgt die Angabe zur Abrechnung von Spesen und Erhalt eines steuerfreien Pauschbetrages. Bei einem Aufenthalt am Wohnort sind diese Angaben falsch und führen zu einer nicht zustehenden Zahlung von Spesen und des Pauschbetrages, darüber hinaus wird eine Arbeitsleistung in Finsterwalde behauptet, die so nicht stattgefunden hat. Soweit sich der Kläger hier auf einen Irrtum beruft, ist kaum nachvollziehbar, dass der Kläger sich wenige Wochen später weder erinnern kann, wann er ggf. einen ganzen Tag eine Fahrt nach Finsterwalde unternommen hat noch etwas dazu sagen kann, welche Arbeiten er am 2. April 2020 stattdessen ausgeführt hat. Diese Pflichtverletzung ist als Grund für die streitgegenständliche Kündigung jedoch bereits deshalb nicht geeignet, weil die Feststellung privater Beschäftigungen und insbesondere der Aufenthalt in D. anstelle der angegebenen Tätigkeit in Finsterwalde auf der Überwachung durch die Detektei T. beruht, wie auch das Arbeitsgericht zutreffend feststellt. Die Voraussetzungen einer solchen Überwachung lagen jedoch nicht vor. Die Feststellungen der Detektei T. und der Sachvortrag der Beklagten, der diese Feststellungen wiedergibt, sind nicht verwertbar.“ Quelle: Beck-online.de

Detektive hätten nicht eingesetzt werden dürfen; Beweisverwertungsverbot liegt vor

LAG Berlin-Brandenburg: „Mit der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts ist davon auszugehen, dass sich ein Sachvortrags- oder Beweisverwertungsverbot wegen einer Verletzung des gem. Art. 2 Abs. 1 iVm. Art. 1 Abs. 1 GG geschützten allgemeinen Persönlichkeitsrechts einer Partei im arbeitsgerichtlichen Verfahren aus der Notwendigkeit einer verfassungskonformen Auslegung des Prozessrechts - etwa der § 138 Abs. 3, § 286, § 331 Abs. 1 Satz 1 ZPO - ergeben kann. Wegen der nach Art. 1 Abs. 3 GG gegebenen Bindung an die insoweit maßgeblichen Grundrechte und der Verpflichtung zu einer rechtsstaatlichen Verfahrensgestaltung hat das Gericht zu prüfen, ob die Verwertung von heimlich beschafften persönlichen Daten und Erkenntnissen, die sich aus diesen Daten ergeben, mit dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht des Betroffenen vereinbar ist. Das Grundrecht schützt neben der Privat- und Intimsphäre und seiner speziellen Ausprägung als Recht am eigenen Bild auch das Recht auf informationelle Selbstbestimmung, das die Befugnis garantiert, selbst über die Preisgabe und Verwendung persönlicher Daten zu befinden. Die Bestimmungen des Bundesdatenschutzgesetzes (BDSG) konkretisieren die Anforderungen an eine zulässige Datenverarbeitung und des Schutzes des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung und am eigenen Bild. Deshalb liegt bei einer nach den Vorschriften des BDSG zulässigen Datenerhebung insoweit keine Verletzung des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung und am eigenen Bild vor.“ Quelle: Beck-online.de

Ermittlung „ins Blaue hinein“ ist unzulässig

LAG Berlin-Brandenburg: „Das Observieren eines Arbeitnehmers durch einen - bzw. mehrere - Detektive ist eine Form der Datenerhebung. In einer solchen Datenerhebung liegt zugleich ein Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht. Dieser Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Arbeitnehmers muss auch im Rahmen von § 26 Abs. 1 Satz 1 BDSG einer Abwägung der beiderseitigen Interessen nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit standhalten. Dieser verlangt, dass der Eingriff geeignet, erforderlich und unter Berücksichtigung der gewährleisteten Freiheitsrechte angemessen ist, um den erstrebten Zweck zu erreichen. Es dürfen keine anderen, zur Zielerreichung gleich wirksamen und das Persönlichkeitsrecht des Arbeitnehmers weniger einschränkenden Mittel zur Verfügung stehen. Die Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne ist gewahrt, wenn die Schwere des Eingriffs bei einer Gesamtabwägung nicht außer Verhältnis zu dem Gewicht der ihn rechtfertigenden Gründe steht. Die Datenerhebung, -verarbeitung oder -nutzung darf keine übermäßige Belastung für den Arbeitnehmer darstellen und muss der Bedeutung des Informationsinteresses des Arbeitgebers entsprechen. Danach muss im Falle einer der (verdeckten) Videoüberwachung vergleichbar eingriffsintensiven Maßnahme zur Aufklärung einer schwerwiegenden, jedoch nicht strafbaren Pflichtverletzung ebenso wie zur Aufdeckung von Straftaten im Rahmen von § 26 Abs. 1 Satz 2 BDSG ein auf konkrete Tatsachen gegründeter Verdacht für das Vorliegen einer solchen Pflichtverletzung bestehen. Eine verdeckte Ermittlung „ins Blaue hinein“, ob ein Arbeitnehmer sich pflichtwidrig verhält, ist auch nach § 26 Abs. 1 Satz 1 BDSG unzulässig.“ Quelle: Beck-online.de

Arbeitszeitbetrug kann laut Gericht nicht festgestellt werden

LAG Berlin-Brandenburg: „Auch der dringende Verdacht eines Arbeitszeitbetruges im Sinne einer geforderten Vergütung für Zeiten, in denen tatsächlich keine Arbeitsleistung erbracht wurde, kann nicht festgestellt werden. Ein Arbeitszeitbetrug kann vorliegen, wenn eine Arbeitsleistung zu bestimmten Zeiten vorgespiegelt wird. Insofern setzt ein dringender Verdacht eines solchen Fehlverhaltens Angaben oder Vorgaben zur Arbeitszeit voraus. Solche können nicht festgestellt werden.“ Quelle: Beck-online.de

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