ArbG Hildesheim: Betriebsrätin bekommt keinen Zeitausgleich für Betriebsratstätigkeit

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Betriebsrätin kann Anspruch auf Arbeitsbefreiung nicht durchsetzen

26.10.2021

In einem Rechtsstreit mit Ihrem Arbeitgeber über die Arbeitsbefreiung für Zeiten zur Teilnahme an Sitzungen des Gesamtbetriebsrats und Wirtschaftsausschuss ist eine Betriebsrätin aus Niedersachsen unterlegen. Der Grund liegt jedoch nicht im Recht der Betriebsverfassung, sondern im Verfahrensrecht.

Der Sachverhalt des auf der Seite des DGB Rechtsschutz veröffentlichten Urteils des Arbeitsgerichts Hildesheim vom 15.9.2021, Az. 2 Ca 265/20 ist relativ einfach. Die Klägerin ist als Kassiererin im Einzelhandel in Teilzeit beschäftigt. Sie ist Mitglied im Gesamtbetriebsrat und Wirtschaftsausschuss. Die Sitzungen finden  in einer anderen Betriebsstätte des Arbeitgebers statt. Die Anreise dauert mindestens 3,5 Stunden. Die Sitzungen finden in der Zeit von Montag bis Freitag statt; üblich sind wohl Sitzungen am Montag und darauffolgenden Dienstag. Seit 2017 reisen die Klägerin und ihre Kollegen aus der gleichen Betriebsstätte jeweils am Sonntag an. Reisekosten und Übernachtungskosten trägt der Arbeitgeber. Für die Teilnahme an den Sitzungen erhalten die Mitglieder eine Zeitgutschrift von 7,5 Stunden pro Tag; dies entspricht der maximalen tariflichen Arbeitszeit pro Tag.

Die Klägerin verlangt nunmehr für den Zeitraum 2017 bis 2020 für die Reise- und Wegezeiten sowie Sitzungzeit Arbeitsbefreiung im Umfang von 144,15 Stunden. Hilfsweise verlangt sie Auszahlung des für die 144,15 Stunden anfallenden Gehalts als Ausgleich.

Der Arbeitgeber verweigert die Freistellung mit der Begründung, dass Reise- und Wegezeiten grundsätzlich keine Betriebsratstätigkeit darstelle, die durch Freizeit ausgeglichen werden müsse. Außerdem habe es keinen sachlichen Grund gegeben, außerhalb der Arbeitszeiten, insbesondere an Sonntagen tätig zu werden. Durch die Möglichkeit, so Freistellungen aufzubauen, wäre die Klägerin auch gegenüber ihren Kollegen bessergestellt, was der Arbeitgeber vermeiden wolle.

Das Arbeitsgericht hat die Klage als unbegründet abgewiesen.

Das Urteil ist jedoch für Mitglieder von Betriebsräten weniger schlimm, als das Ergebnis vermuten lässt. Denn das Arbeitsgericht hat ausgeführt, dass zur Betriebsratstätigkeit auch solche Tätigkeiten zählen, die für sich genommen keine Betriebsratstätigkeit sind, aber die in einem unmittelbaren notwendigen sachlichen Zusammenhang zur Betriebsratstätigkeit stehen. Hierzu gehören auch Wege-, Fahrt- und Reisezeiten, die ein Betriebsratsmitglied zur Erfüllung seiner zur Erfüllung erforderlicher betriebsverfassungsrechtlicher Aufgaben außerhalb der Arbeitszeit aufwendet.

Damit ist der Anwendungsbereich für Freistellungen im Zusammenhang mit der Betriebsratstätigkeit relativ weit gefasst.

Im vorliegenden Fall scheiterte die Klägerin jedoch daran, ihren Freistellungsanspruch ausreichend substantiiert darzulegen.

Die Klägerin hat lediglich eine tabellarische Aufstellung überreicht und auf diese Tabellen in ihren Schriftsätzen Bezug genommen. Dies ist verfahrensrechtlich schon problematisch, da der Vortrag somit nicht „im Schriftsatz selbst“ sondern nur in den Anlagen erfolgt ist. Entscheidungserheblich war dies jedoch nicht, da das Gericht wohl auch den Inhalt der Tabellen nicht als ausreichend erachtet hat.

Hierbei muss man sich vor Augen führen, dass der Arbeitnehmer, der Freistellung begehrt, gegenüber dem Arbeitgeber darlegen muss, dass und warum er außerhalb der Arbeitszeit Betriebsratstätigkeiten erbracht hat und in welchem Umfang dies geschehen ist.

Da der Arbeitgeber hierüber keine eigenen Erkenntnisse hat und haben kann, ist er im Verfahren berechtigt, die Zeiten mit Nichtwissen zu bestreiten. Das Betriebsratsmitglied trifft dann die volle Darlegungs- und Beweislast.

Im vorliegenden Verfahren hat das Gericht bemängelt, dass die Aufstellung für die Darlegung nicht geeignet ist, weil sich weder Anfang und Ende der Reisen, Beginn und Ende der Sitzungen und auch nicht die Wahl des Reisemittels den Ausführungen entnehmen ließ. Auch wichen der Beginn der Sitzungen in den Aufstellungen und in den Einladungen voneinander ab.

Eine sachliche Erläuterung der Abweichungen und die Notwendigkeit der Zeiten für die Betriebsratstätigkeit fehlten.

Schon dies reichte, dass das Gericht die Klage abgewiesen hat. Eine Beweisaufnahme über die angefallenen Zeiten erfolgte nicht. Gegen die Entscheidung ist Berufung möglich. Ob sie allerdings eingelegt wurde, ist aus der Veröffentlichung nicht zu entnehmen.

Was bedeutet die Entscheidung für die Praxis?

Auffallend im vorliegenden Fall ist, dass die Freistellung für einen Zeitraum von 3 Jahren verlangt wird, obwohl normalerweise die Freistellung innerhalb eines Monats erfolgen soll. Mittelbar kann man der Entscheidung aber entnehmen, dass während des Zeitraums diverse Forderungen von der Arbeitnehmerin gestellt wurden und nach Weigerung des Arbeitgebers in einer Klage zusammengefasst wurden. Insofern wurde eine Vielzahl von einzelnen Sachverhalten gemeinsam geltend gemacht und vielleicht war deshalb die Rekonstruktion aller Details nicht mehr möglich. Dies kann der Arbeitnehmerin jedoch verfahrensrechtlich nicht helfen, denn die Problematik stammt aus der Sphäre der Arbeitnehmerin und es wäre ungerecht, die Folgen davon zu Lasten des Arbeitgebers zu berücksichtigen.

Für betroffene Betriebsratsmitglieder bedeutet die Entscheidung somit, dass sie jeweils zeitnah die notwendigen Informationen dokumentieren sollten, um ihren Anspruch nachher vortragen zu können. Insbesondere muss nachgehalten werden können, welche Tätigkeit für den Betriebsrat erbracht wurde, und wie dies ggf. nachgewiesen werden kann, z.B. durch (Reise-)Dokumente oder Zeugen.

Wenn Sie hierzu Fragen haben oder eine Beratung oder Vertretung wünschen, können Sie sich gerne an den Autor wenden.

RA Heiko Effelsberg, LL.M.

Fachanwalt für Versicherungsrecht


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