Atypische Garantien in der russischen Wirtschaftspraxis

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Das russische Zivilrecht legt keine erschöpfende Liste der zulässigen Sicherheiten fest.

Gemäß dem Grundsatz der Vertragsfreiheit können die Parteien sowohl einen Vertrag abschließen, der durch Gesetz oder andere Rechtsvorschrift vorgesehen ist, als auch einen Vertrag, der nicht durch Gesetz oder andere Rechtsvorschrift vorgesehen ist (Art. 421 Ziff. 2 russ. ZGB).

Ferner bestimmt Art. 329 ZGB, dass die Erfüllung von Schuldverhältnissen durch Pfand,.. und auf andere Arten gesichert werden, die durch Gesetz oder Vertrag vorgesehen sind.

Ausnahmsweise dürfen bestimmte Rechtssubjekte nur die gesetzlich vorgeschriebenen Sicherheiten verwenden. So etwa darf eine öffentlich-rechtliche Einheit wie ein Bundesland oder eine kommunale Einheit eine Kreditsicherheit nur in Form einer staatlichen Garantie übernehmen. Sie darf keine Bürgschaften ausstellen. Für staatliche Garantien gelten die Sondervorschriften des russ. Budgetkodexes vom 31.07.1998, die Vorrang vor den Bestimmungen des ZGB haben. Auch wenn staatliche Garantien in den 90-er Jahren auf breiter Basis angewandt wurden, sind sie mit besonders erheblichen Anfechtungsrisiken verbunden. Wählt der Gläubiger sie als einen Sicherungsmittel, empfiehlt es sich, die sämtlichen Wirksamkeitsvoraussetzungen zu überprüfen und bei Möglichkeit eine förmliche Stellungnahme in Form einer Legal Opinion einzuholen.

Dessen ungeachtet ist es aufgrund der Vertragsfreiheit nicht ausgeschlossen, im Verhältnis zu den anderen Personen rein schuldrechtliche Sicherungsmechanismen zu vereinbaren. Es muss jedoch in jedem Einzelfall damit gerechnet werden, dass ein entsprechendes Verlangen bei einer russischen Vertragspartei auf Unverständnis stößt und die Realisierung des vereinbarten Rechts in der Praxis auf gewisse Schwierigkeiten treffen wird. Dies lässt sich an den nachstehenden Beispielen von atypischen Garantien - einer Warengarantie und einem Garantiebrief, der vor dem 1.6.2015 erteilt wurde, - demonstrieren.

Warengarantie

In der Sache BASF Aktiengesellschaft v. OAO Dinsksachar, die 2000 vor dem Revisionsgericht in Krasnodar verhandelt wurde (Beschluss des Föderalen Wirtschaftsgericht des Nordkaukasischen Gerichtsbezirks vom 16.03.2000 Nr. F08-507/2000), lieferte die deutsche Produzentin Pflanzenschutzmittel an eine Zuckerfabrik, die diese dann an agrowirtschaftliche Unternehmen gegen Zuckerrüben übertrug.

Da die Zuckerfabrik über keine Devisenlizenz zur Abwicklung des Kaufgeschäfts mit der deutschen Lieferantin verfügte, wurde eine russische Außenhandelsorganisation zwischengeschaltet. Den Liefervertrag schlossen die deutsche Lieferantin und die Außenhandelsorganisation, die mit der Zuckerfabrik durch einen Kommissionsvertrag verbunden war.

Da die Lieferung vor der vollständigen Zahlung des Kaufpreises erfolgen sollte, wurde vereinbart, dass die Zuckerfabrik eine Garantie auf erstes Anfordern ausstellt. Die Zuckerfabrik hatte wenig Geld und stellte eine Garantie auf Lieferung von Zucker aus, der seiner Menge nach der Restschuld aus dem Liefervertrag entsprach.

Nach der erfolgten Lieferung zahlte die Außenhandelsorganisation nicht. Auch die Zuckerfabrik wollte den Zucker auf Anfordern nicht mehr liefern. Nach ca. 2,5 Jahren erhob die deutsche Lieferantin gegen die Zuckerfabrik Klage auf Lieferung von Zucker in natura gemäß der Garantie.  

Das erstinstanzliche Gericht teilte die Ansicht der Beklagten und beurteilte die Garantie als eine Bürgschaft. Die Gültigkeitsdauer der Garantie bis zur Zahlung der Hauptforderung wurde analog einer Bürgschaft als nicht bindend angesehen. Mangels einer wirksam vereinbarten Gültigkeitsdauer wandte das Gericht die durch Art. 367 Ziff. 4 Satz 2 ZGB bestimmte einjährige Ausschlussfrist an und wies die Forderungen wegen des angeblichen Fristablaufs bei Klageerhebung zurück.

Die Revisionsinstanz hob das Urteil auf und verwies in der Begründung darauf, dass es sich bei dem Garantievertrag um einen zulässigen Vertrag eigener Art handelt. Durch die Garantie begründeten die Parteien eine Sicherungsschuld, die weiter als die solidarische Haftung des Bürgen aus einer Bürgschaft gefasst ist. Aus dem Parteiwillen ergab sich, dass die Zuckerfabrik, die die Pflanzenschutzmittel tatsächlich erhielt, ihre Pflicht sowohl durch Zuckerlieferung, wie auch durch Kaufpreiszahlung leisten könnte.

Auch die Bestimmung "über ihre Gültigkeitsdauer bis zur Zahlung der Hauptforderung" ist ein Indiz für die Nichtanwendbarkeit der obigen Ausschlussfrist und die Geltung der allgemeinen Verjährungsfrist bei Klageerhebung. Letztendlich hat die Gerechtigkeit triumphiert. Insgesamt dauerte es jedoch 17 Monate und 15 gerichtlichen Verhandlungen vor verschiedenen Instanzen, bis wir mit Vollstreckung ins Vermögen der Schuldnerin beginnen und Arrest gegen 13 Wagen von Zucker verhängen konnten.

Garantiebrief, der vor dem 1.6.2015 ausgestellt wurde

Ursprünglich sah der ab dem 1.1.1995 eingeführte Teil I des ZGB nur die Regelungen über eine Bankgarantie vor. Eine Bankgarantie konnte nach dem Wortsinn nur durch eine Bank, ein anderes Kreditinstitut oder durch eine Versicherungsgesellschaft ausgestellt werden. Jedoch konnten auch andere Personen, die nicht unter diese Bestimmungen fallen, eine "Garantieerklärung" zu den Bedingungen von Art. 368 - 379 ZGB abgeben. Dies setzte aber einen ausdrücklichen Verweis im Garantietext voraus.

Mangels einer solchen Bezugnahme auf das ZGB war eine Garantie einer "normalen" russischen Gesellschaft atypisch. Sie musste mit den zwingenden Vorschriften von Art. 368 - 379 ZGB über Bankgarantie nicht übereinstimmen.

Ab dem 1.6.2015 wurden die Artikel 368-378 ZGB betr. Bankgarantie durch eine unabhängige Garantie ersetzt. Ab diesem Zeitpunkt können auch andere Subjekte als Banken und Versicherungen Garantien ohne Bezugnahme auf ZGB ausstellen.

In der Sache Oberbank AG v. AO Atomenergomasch stellte die russische Beklagte am 30.1.2014 einen Garantiebrief für gesamte Verbindlichkeiten einer tschechischen Enkelgesellschaft Chladici veze Praha, a.s. der Staatskorporation Rosatom aus. Die Garantie lautete "auf erstes Anfordern" und wurde ziemlich weitgehend - "to secure any account receivable and claims arising from the bank’s relationship with the client,.. whether such account receivable arise from the account itself or from any credit or loan" - formuliert.

Im Hinblick auf diesen Garantiebrief gewährte die Prager Niederlassung von Oberbank AG dem Prinzipal Chladici veze ein Überziehungskredit. Nachdem der Prinzipal pleite gegangen ist, machte die Bank einen Anspruch gegen den russischen Garanten geltend.  

Das erstinstanzliche Gericht wies die Klage ab, da der Garantiebrief keinen zu sichernden Einzeltvertrag genannt hatte. Eine abstrakte Bezugnahme auf alle Verbindlichkeiten des Prinzipals reiche angeblich nicht aus. Des Weiteren wurde keine Geltungsdauer der Garantie angegeben, vor deren Ablauf die begünstigte Bank den Garanten in Anspruch nehmen sollte.

Das Berufungsgericht gab unserer Beschwerde statt und verurteilte den Garanten zur Zahlung der offenen Garantiesumme. Es betonte, dass die Parteien eine wirksame Personalsicherheit vereinbart haben, auch wenn sie gesetzlich nicht vorgesehen ist. Insoweit musste die Garantie weder den Vorschriften des ZGB über Bankgarantie, noch betreffend Bürgschaft entsprechen. Da es sich um keine Bankgarantie handelt, durfte sie auch durch eine gewöhnliche Gesellschaft erteilt werden. Die oben dargelegte weite Formel der zu sichernden Verbindlichkeiten ist für Bankgeschäfte ganz üblich und schließt die Individualisierung der Hauptschuld nicht aus. Wie es sich aus den Worten "auf erstes Anfordern" ergibt, musste der Garant den Garantiefall nicht nachweisen (Beschluss des 9. Appellations-Wirtschaftsgerichts vom 19.9.2018 Nr. 09AP-40900/2018-GK).

Die beiden Revisionsinstanzen haben den Berufungsbeschluss in Kraft gelassen (Beschluss des Wirtschaftsgerichts des Moskauer Gerichtsbezirks vom 17.1.2019 Nr. A40-154673/17, Anordnung des Obersten Gerichts der Russischen Föderation vom 15.5.2019 Nr. 305-ES19-5433). Unser Vollstreckungsdokument über die Garantiezahlung wurde vollumfänglich bezahlt.

Foto(s): Rustem Karimullin


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