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Aufklärungspflicht auch bei ähnlichen Operationsmethoden?

  • 4 Minuten Lesezeit
Sandra Voigt anwalt.de-Redaktion

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Vor jedem Eingriff muss der Arzt seinen Patienten unter anderem über Risiken, Chancen und Umfang der Behandlung aufklären. Zu der Aufklärungspflicht eines Mediziners kann ferner der Hinweis auf alternative Behandlungsmethoden gehören – sofern auch sie dem allgemein anerkannten fachlichen Standard entsprechen und nicht so neu bzw. unerprobt sind, dass es über die damit verbundenen Risiken noch keine Erkenntnisse gibt. Doch muss ein Arzt selbst dann über verschiedene Operationsmethoden aufklären, wenn ihre Risiken, Chancen und Effizienz beinahe identisch sind?

Halbseitige Lähmung nach Eingriff

Ein Patient kam unter anderem mit Gangstörungen und Taubheit in den Gliedmaßen zu einem Neurochirurg, der eine Verengung des Wirbelsäulenkanals und damit der hierdurch führenden Nerven und Blutgefäße diagnostizierte. Um eine vollständige Querschnittslähmung zu vermeiden, riet der Arzt zur unverzüglichen Operation. Zwar verbesserte sich der Zustand des Erkrankten nach dem Eingriff für kurze Zeit – danach verschlechterte er sich jedoch chronisch. Nunmehr ist der Patient insbesondere halbseitig gelähmt und benötigt einen Rollstuhl, um sich fortbewegen zu können.

Hierfür machte er den Eingriff des Mediziners verantwortlich – dadurch sei nämlich sein Spinalkanal beschädigt worden. Eine diesbezügliche Dokumentation existiere nur deshalb nicht, weil der Chirurg die betreffenden Unterlagen vernichtet habe. Auch sei er vor der Operation nicht über alternative Behandlungsmethoden sowie über Art, Umfang, Chancen und Risiken des vorgenommenen Eingriffs aufgeklärt worden. Vielmehr habe ihm der Mediziner mit seinen Ausführungen nur „Angst gemacht“. Er hätte der Operation niemals zugestimmt, wenn ihm damals deren Folgen bekannt gewesen wären.

Hypothetische Einwilligung in OP?

Der Chirurg erwiderte, dass es keine Dokumentation über einen beschädigten Spinalkanal gebe, weil es zu einem derartigen Zwischenfall nie gekommen sei. Zwar habe er tatsächlich nicht über Art und Umfang der OP aufgeklärt – aufgrund der Dringlichkeit des Eingriffs sei er jedoch von einer hypothetischen Einwilligung des Patienten ausgegangen. Auch habe es alternative Behandlungsmethoden gegeben – eine Aufklärung hierüber sei aber unnötig gewesen, weil sie sich von der verwendeten in Art, Umfang und Risiken nicht sonderlich unterschieden hätten. Der Streit der Parteien endete vor Gericht.

Neurochirurg haftet nicht

Das Oberlandesgericht (OLG) Koblenz wies sämtliche Ansprüche des Patienten zurück und verneinte damit eine Arzthaftung.

Kein fehlerhafter Eingriff

Das Gericht stellte klar, dass der Eingriff nach dem fachärztlichen Standard erfolgt ist – Fehler waren damit nicht ersichtlich. Auch hatte die OP nicht länger gedauert als normal, was gegen Komplikationen sprach. Letztendlich ging es dem Patienten nach dem Eingriff kurzzeitig besser, weshalb die Richter davon ausgingen, dass der Chirurg das Rückenmark des Patienten nicht beschädigt hat. Dessen Behauptung, der Arzt habe eine diesbezüglich vorhandene Dokumentation vernichtet, durfte dagegen nicht zulasten des Mediziners Berücksichtigung finden. Stattdessen gilt zunächst der Grundsatz, dass sich Umstände, die nicht dokumentiert wurden, auch nicht ereignet haben. Wer anderes behauptet, muss dies nachweisen – eine pauschale Beschuldigung reicht dagegen nicht aus.

Chirurg hätte besser aufklären müssen

Allerdings bejahte das Gericht einen Aufklärungsfehler: Der Arzt hätte seinen Patienten vor dem Eingriff über die damit verbundenen Risiken – wie z. B. eine Rückenmarksschädigung – aufklären müssen. Denn nur bei Kenntnis aller Umstände kann der Kranke prüfen, ob der Eingriff für ihn infrage kommt und wirksam darin einwilligen.

Dagegen musste der Arzt nicht auf alternative Behandlungsmethoden hinweisen. Das ist grundsätzlich nämlich nur nötig, wenn sich Belastungen, Erfolgschancen und Risiken bei den verschiedenen Maßnahmen erheblich unterscheiden – dem Patienten muss dann die Möglichkeit gegeben werden, sich bewusst und eigenständig für die eine oder andere Therapie entscheiden zu können. Dazu müssen ihm jedoch deren Unterschiede deutlich vor Augen geführt werden. Vorliegend war ein operativer Eingriff zwingend notwendig, um eine vollständige Querschnittslähmung des Patienten zu verhindern. Eine andere Art der Therapie war somit nicht mehr ratsam. Dagegen existierten zwar weitere Operationsmethoden – die unterschieden sich aber in Art, Umfang, Risiken und Effizienz nur geringfügig. Somit oblag es der Erfahrung des Chirurgen, die durchzuführende Maßnahme zu wählen. Eine weitergehende Aufklärung war daher nicht nötig.

Einwilligung trotz Aufklärungsdefizit?

Der Aufklärungsfehler führte dennoch nicht zu einer Arzthaftung. Denn der Chirurg durfte von einer hypothetischen Einwilligung nach § 630h II 2 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) ausgehen. Denn der Patient hätte sich zum damaligen Zeitpunkt auch bei ordnungsgemäßer Aufklärung für die OP entschieden. Ohne Operation hätte er nämlich mit schlimmeren Folgen für seine Gesundheit – etwa eine vollständige Querschnittslähmung – rechnen müssen, sodass die Entscheidung auch bei voller Kenntnis des Risikos für die durchgeführte OP ausgefallen wäre. Anderes konnte auch der Patient nicht darlegen.

Zwar entfällt eine hypothetische Einwilligung, wenn sich der Kranke in einem sog. Entscheidungskonflikt befindet – ein solcher war aber nicht erkennbar. Die Aussage, dass der Chirurg ihm mit seinen Erklärungen Angst gemacht hat, beschreibt vielmehr die Emotionen, die ein Patient in einer solchen Situation und nach umfassender Aufklärung hat. Zwar hätte er seine Einwilligung mit dem heutigen Kenntnisstand nach eigenen Ausführungen niemals erteilt – das spielte jedoch vor Gericht keine Rolle. Ob ein Entscheidungskonflikt vorliegt, wird nämlich nach einer Vorausschau zum damaligen Zeitpunkt und Kenntnisstand beurteilt.

(OLG Koblenz, Urteil v. 22.07.2015, Az.: 5 U 758/14)

(VOI)

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