Beleidigung-Tätlichkeit unter Arbeitskollegen; Kündigung nicht zwingend

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„Auslöser der Kündigung ist ein Vorfall im Betrieb der Beklagten vom 02.12.2008, 7.30 Uhr. Der Kläger war zu diesem Zeitpunkt mit Palettensortierarbeiten beschäftigt. Neben seinem dortigen Tätigkeitsbereich liegt der Malerraum. Der Auszubildende A. war dorthin geschickt worden, um einen Beutel mit Markierungsplatten (50 Stück á 17 g, 7,6 cm²) zu holen. Ob der dafür benötigte übliche Weg am Kläger vorbeiführte, oder er einen Umweg einschlug, ist zwischen den Parteien streitig. Jedenfalls kam es unstreitig anschließend zu verbalen Auseinandersetzungen, in deren Folge der Auszubildende den Beutel mit Markierungsplatten nach dem Kläger warf und der Kläger in seine Richtung trat. Der Beutel mit den scharfen Platten hatte den Kläger getroffen; Verletzungen gingen daraus nicht hervor. Wer den Konflikt und wer die Auseinandersetzung begonnen hatte, wie und warum er eskalierte, ist nicht aufgeklärt. Gegen 8.00 Uhr berichtete Herr A. den Vorfall seinem Vorgesetzten. Er erklärte dazu, dass er angegriffen und geschlagen worden sei. Die Beklagte hörte drei Tage später (am 05.12.2008) die beiden Kontrahenten sowie die Augenzeugen K. und S. an. Gegenüber dem Auszubildenden erklärte die Beklagte die fristlose Kündigung, die dieser hinnahm. Der Kläger wurde fristgerecht gekündigt und freigestellt.“ so Auszüge aus der Sachverhaltsdarstellung der Entscheidungsgründe des LAG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 22.10.2009 - 5 Sa 448/09; Quelle: Beck-online.de

LAG Rheinland-Pfalz:“ Entgegen der Auffassung des Arbeitsgerichts ist die streitgegenständliche ordentliche Kündigung sozial ungerechtfertigt und hat das Arbeitsverhältnis folglich nicht beendet.“

LAG Rheinland-Pfalz: „Mit dem Arbeitsgericht ist dem Kläger zwar letztlich ein an sich erhebliches Fehlverhalten vorzuwerfen, das aber aufgrund der Besonderheiten des vorliegend zu entscheidenden Einzelfalls nicht geeignet ist, ohne vorherige Abmahnung eine ordentliche Kündigung zu rechtfertigen. Selbst wenn man insoweit anderer Auffassung wäre, wäre die Kündigung im Hinblick auf die Betriebszugehörigkeit und die persönlichen Verpflichtungen des Klägers unverhältnismäßig. Zumindest würde im Rahmen der stets und umfassend durchzuführenden Interessenabwägung das Interesse des Klägers an der Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses das der Beklagten an der Beendigung überwiegen.“ Quelle: Beck-online.de

Vorherige Abmahnung wäre laut Gericht zwingend erforderlich gewesen

LAG Rheinland-Pfalz: „Das Arbeitsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass erhebliche Beleidigungen und Tätlichkeiten unter Arbeitskollegen Gründe sein können, um das Arbeitsverhältnis einseitig zu lösen; das gilt im Falle der außerordentlichen Kündigung und erst Recht bei der ordentlichen Kündigung. Insoweit wird zur Darstellung des Prüfungsmaßstabes zur Vermeidung von Wiederholungen auf die zutreffenden Ausführungen in der angefochtenen Entscheidung Bezug genommen…Das daraus resultierende kündigungsverlorene Fehlverhalten des Klägers (Beleidigungen des Auszubildenden A., Wegschubsen und der abschließende Tritt) rechtfertigt es nach Auffassung der Kammer aber nicht, das Arbeitsverhältnis ohne vorherige einschlägige Abmahnung zu beenden.“ Quelle: Beck-online.de

Verständlicher Ärger, vorausgegangene Provokationen rechtfertigt grundsätzlich den Ausspruch einer vorherigen Abmahnung 

LAG Rheinland-Pfalz: „Einer vorherigen Abmahnung bedarf es zwar bei Beleidigungen und Tätlichkeiten in der Regel nicht, weil die nötigen Verhaltenspflichten offenkundig sind und bei nachhaltigen Störungen des Betriebsfriedens auch keine vereinzelte Hinnahme des Arbeitgebers verlangt werden kann. Anderes kann aber dann gelten, wenn es sich um verständlichen Ärger, vorausgegangene Provokationen oder um Notwehr- oder Notstandslagen handelt.

Vorliegend ist zunächst festzuhalten, dass unstreitig an der Auseinandersetzung lediglich zwei Mitarbeiter beteiligt waren, der Kläger und Herr A.. Wer den Streit begonnen hat, lässt sich nicht feststellen. Eine erhebliche Störung des Betriebsfriedens ist nicht eingetreten, da die beiden Kontrahenten sich ausschließlich wechselseitig beschimpft haben; Ehrkränkungen von Vorgesetzten oder anderen Arbeitnehmern darüber hinaus sind offensichtlich nicht erfolgt. Die Beteiligten haben sich wechselseitig in erheblichem Maße beschimpft, so dass es offensichtlich zu wechselseitig provozierter Eskalation gekommen ist. Vorliegend haben sich die Kontrahenten wechselseitig provoziert und beleidigt. Auch kann davon ausgegangen werden, dass der Kläger den Auszubildenden mit einer Hand weggeschubst oder weggestoßen hat und insoweit als der ältere der beiden Kontrahenten besonnener und ruhiger hätte reagieren müssen. Nachvollziehbar ist allerdings in gewissem Ausmaß, dass der Kläger sich provoziert fühlte, nachdem er von dem Beutel, den der Auszubildende geworfen hatte, getroffen worden war. Damit ist zwar der Tritt, den er dem Auszubildenden, wohin auch immer, versetzte, nicht im engeren Sinne gerechtfertigt. Das Ausmaß seines Fehlverhaltens wird dadurch aber relativiert. Insgesamt rechtfertigt das Fehlverhalten des Klägers in der hier maßgeblichen konkreten Situation keine ordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses ohne vorherige Abmahnung.“ Quelle: Beck-online.de

Rechtsanwalt Helmut Naujoks ist seit 25 Jahren ausschließlich als Anwalt für Arbeitgeber im Arbeitsrecht tätig. Haben Sie Fragen in Bezug auf die Kündigung von Mitarbeitern/innen? Rufen Sie noch heute Rechtsanwalt Helmut Naujoks an, Spezialist als Anwalt für Arbeitgeber im Arbeitsrecht. In einer kostenlosen und unverbindlichen telefonischen Ersteinschätzung beantwortet Rechtsanwalt Helmut Naujoks Ihre Fragen zum Kündigungsschutz von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern sowie zu den Rechten und Pflichten des Betriebsrats gemäß Betriebsverfassungsgesetz.


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