BGH-Entscheidung zu Mietwagenkosten: Konkreter Tatsachenvortrag zu Mängeln der Schätzungsgrundlage

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Der Bundesgerichtshof (BGH)hat erstmals zur Frage der Bewertung eines konkreten Tatsachenvortrags geurteilt, der aufzeigt, dass geltend gemachte Mängel der Schätzungsgrundlage sich auf den zu entscheidenden Fall in erheblichem Umfang auswirken. Der BGH ist der Auffassung, dass das Berufungsgericht diesem konkreten Tatsachenvortrag gegebenenfalls durch die Einholung des beantragten Sachverständigengutachtens nachgehen muss.

Im dem BGH-Verfahren (Urteil vom 17.05.2011, AZ: VI ZR 142/10) machte eine geschädigte Klägerin bei unstreitiger voller Haftung des Unfallgegners für die Anmietung eines Ersatzfahrzeugs ab dem 06.10.2008 für sieben Tage den Rechnungsbetrag in Höhe von 1.841,01 Euro für ein Mietfahrzeug der Klasse 6 geltend.

Vorgerichtlich bezahlte die beklagte Haftpflichtversicherung lediglich einen Betrag von 554,00 Euro.

Das Amtsgericht (AG) Deggendorf, Entscheidung vom 14.10.2009 (AZ: 2 C 1348/08) erkannte der Klägerin einen weiteren Betrag von 843,00 Euro zu.

Das Landgericht (LG) Deggendorf, Entscheidung vom 11.05.2010 (AZ: 13 S 117/09) änderte das Urteil des AG Deggendorf ab und verurteilte die Beklagte zur Zahlung von 764,00 Euro nebst Zinsen.

Das LG Deggendorf schätzte im Rahmen des sogenannten Normaltarifs Mietwagenkosten auf der Grundlage des gewichteten Mittels für das örtliche Postleitzahlengebiet der Mietpreis-Schwacke-Liste 2007. Das LG Deggendorf berücksichtigte keinen weiteren Eigenersparnisabzug, da sich die Klägerin mit einem Fahrzeug einer niedrigeren Fahrzeugklasse begnügt hat.

Ebenso sah es die Kosten für einen zweiten Fahrer als erstattungsfähig an, weil der Ehemann der Klägerin das Fahrzeug mitbenutzt hat.

Die Besonderheit an diesem Fall war, dass die Beklagte in einem umfassenden Sachvortrag, den sie auch unter Beweis stellte, aufgezeigt hat, dass die Klägerin ein vergleichbares Fahrzeug für sieben Tage inklusive sämtlicher Kilometer und Vollkaskoversicherung, zu konkret benannten, wesentlich günstigeren Preisen bestimmter anderer Mietwagenunternehmen hätte anmieten können.

Die Beklagte legte hierzu unter Benennung von drei konkreten Mietpreisangeboten dar, dass der angebotene Normaltarif in dem der Klägerin örtlich zugänglichen Bereich zwischen 282,99 Euro und 312,01 Euro für sieben Tage liegt.

Die Beklagte führte weiter aus, dass dieser Tarif mit dem örtlichen Normaltarif für die entsprechende Fahrzeugklasse nach der sogenannten Fraunhofer-Liste übereinstimmt; der Tarif sei nicht nur deutlich niedriger als der von der hier eingeschalteten Mietwagenfirma in Rechnung gestellte Preis von 1.429,40 Euro netto, sondern auch erheblich günstiger als der Normaltarif von 1.178,00 Euro nach dem Modus der Schwacke-Mietpreisliste 2007.

Des Weiteren führte die Beklagte aus, dass es sich bei den aufgezeigten Angeboten um den ortsüblichen Normaltarif für Selbstzahler im maßgebenden Anmietungszeitraum und nicht um kurzfristige Sonderangebote oder Schnäppchenpreise handelt. Zum Beweis insgesamt hierfür bot die Beklagte die Einholung eines Sachverständigengutachtens an.

Insbesondere diese Umstände rügte die Beklagte mit ihrer Revision. Interessanterweise entschied der BGH hier durch Versäumnisurteil, da die Klägerin im Revisionstermin trotz rechtzeitiger Ladung nicht vertreten war.

Der BGH stellte allerdings klar, dass das Urteil keine Folge der Säumnis sei, sondern auf einer Sachprüfung beruht; demgemäß hob der BGH das Urteil des LG Deggendorf auf und verwies die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das LG Deggendorf zurück.

Der BGH stellt zunächst unter Wiederholung seiner bisherigen Rechtsprechung klar, dass die Bemessung der Höhe des Schadensersatzanspruchs in erster Linie Sache des nach § 287 ZPO besonders freigestellten Tatrichters ist; sie ist revisionsrechtlich daraufhin überprüfbar, ob der Tatrichter erhebliches Vorbringen der Parteien unberücksichtigt gelassen, Rechtsgrundsätze der Schadensbemessung verkannt, wesentliche Bemessungsfaktoren außer Betracht gelassen oder bei seiner Schätzung unrichtige Maßstäbe zugrunde gelegt hat.

Die Art der Schätzgrundlage gibt - so der BGH - § 287 ZPO nicht vor. Die Schadenshöhe darf lediglich nicht auf der Grundlage falscher oder offenbar unsachlicher Erwägungen festgesetzt werden. Ferner dürfen wesentliche die Entscheidung bedingende Tatsachen nicht außer Betracht bleiben. Auch darf das Gericht in für die Streitentscheidung zentralen Fragen nicht auf nach Sachlage unerlässliche fachliche Erkenntnisse verzichten. Gleichwohl können in geeigneten Fällen Listen oder Tabellen bei der Schadensschätzung Verwendung finden.

Demgemäß hat, wie der BGH wiederholt ausführt, der erkennende Senat vielfach ausgesprochen, dass der Tatrichter in Ausübung des Ermessens nach § 287 ZPO den „Normaltarif" grundsätzlich auch auf der Grundlage des „Schwacke-Mietpreisspiegels" im maßgebenden Postleizahlengebiet ermitteln kann. Im Kernsatz nimmt der BGH auf seine bisherige Rechtsprechung Bezug und führt wörtlich aus:

„...Grundsätzlich ist weder die Schätzung auf der Grundlage des „Schwacke-Mietpreisspiegels 2006" noch des „Schwacke-Mietpreisspiegels 2007" als rechtsfehlerhaft zu erachten... Auch eine Schätzung auf der Grundlage anderer Listen oder Tabellen, wie etwa der sog. Fraunhofer-Liste, ist nicht von vornherein grundsätzlich rechtsfehlerhaft. Die Listen dienen dem Tatrichter nur als Grundlage für seine Schätzung nach § 287 ZPO. Er kann im Rahmen seines Ermessens unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalles von diesen - etwa durch Abschläge oder Zuschläge auf den sich aus ihnen ergebenden Normaltarif - abweichen...."

Entscheidungsrelevant für die Zurückverweisung des Rechtsstreits an das LG Deggendorf ist der ebenfalls bereits mehrfach durch den BGH erwähnte Grundsatz, dass die Eignung von Listen oder Tabellen, die bei der Schadensschätzung Verwendung finden können, allerdings dann, aber auch nur dann, der Klärung bedarf, wenn mit konkreten Tatsachen aufgezeigt wird, dass geltend gemachte Mängel mit der Schätzungsgrundlage sich auf den zu entscheidenden Fall in erheblichem Umfang auswirken.

Der BGH geht in diesem Fall aufgrund der konkreten Nennung anderer Normaltarifangebote, dem Beweisantritt durch die Beantragung der Einholung eines Sachverständigengutachtens und der weiteren konkreten Tatsachenbehauptungen der beklagten Haftpflichtversicherung davon aus, dass sich das Berufungsgericht, das LG Deggendorf, mit diesem konkreten Sachvortrag der Beklagten gegen die Tauglichkeit des Modus der Schwacke-Mietpreisliste 2007 als Schätzungsgrundlage im Streitfall hätte näher befassen müssen.

Dadurch, dass das Gericht dies unterlassen hat, hat es nach dem BGH den Anspruch der Beklagten auf rechtliches Gehör verletzt und die Grenzen des tatrichterlichen Ermessens im Rahmen des § 287 ZPO überschritten.

Vorteilhaft für die Klägerin in diesem Verfahren ist lediglich, dass der BGH ausführt, dass die Revision erfolglos bemängelt, dass das Berufungsgericht Nebenkosten für einen zusätzlichen Fahrer berücksichtigt hat; der BGH führt hierzu aus, dass auf der Grundlage der Aussage des vom Berufungsgericht gehörten Zeugen die Schadensbemessung insoweit keinen rechtlichen Bedenken begegnet.

Praxishinweis:

In diesem ersten bekannten Urteil des BGH zur Frage der Bewertung eines konkreten Tatsachenvortrags, der aufzeigt, dass geltend gemachte Mängel der Schätzungsgrundlage sich auf den zu entscheidenden Fall in erheblichem Umfang auswirken, ist der BGH der Auffassung, dass das Berufungsgericht diesem konkreten Tatsachenvortrag gegebenenfalls durch die Einholung des beantragten Sachverständigengutachtens nachgehen muss. Für die anwaltliche Vertretung einer geschädigten Partei bzw. aus abgetretenem Recht für das Mietwagenunternehmen, ist von größter Bedeutung, dass nachfolgendem Sachvortrag oder ähnlichem Sachvortrag auf jeden Fall begegnet werden muss, mindestens durch substantiiertes Bestreiten, am besten durch die Widerlegung (möglicherweise) durch eigene Recherchen:

1. Wenn die beklagte Haftpflichtversicherung konkrete Mietpreisangebote darlegt.

2. Wenn die beklagte Haftpflichtversicherung ausführt, dass die konkret dargelegten Mietpreisangebote mit dem örtlichen Normaltarif nach der sog. Fraunhofer-Liste übereinstimmen.

3. Wenn die beklagte Haftpflichtversicherung im Prozessverfahren ausführt, dass es sich bei den aufgezeigten Angeboten um den ortsüblichen Normaltarif für Selbstzahler im maßgebenden Anmietungszeitraum handelt und nicht nur um kurzfristige Sonderangebote oder Schnäppchenpreise.

4. Wenn die beklagte Haftpflichtversicherung zum Beweis des vorgenannten Tatsachenvortrags die Einholung eines Sachverständigengutachtens beantragt. Umgekehrt kann die Vorlage eigener entsprechend eingeholter Mietpreisangebote die von der Versicherung bezahlten Fraunhofer-Preise erschüttern.



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