BGH: Zahlung für Strom bei ungewöhnlich hohem Verbrauch ggf. vorläufig verweigerbar

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Zu BGH, Urteil vom 07.02.2018 – VIII ZR 148/17

Die ernsthafte Möglichkeit eines offensichtlichen Fehlers im Sinne des § 17 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 StromGVV kann sich bei der Bestimmung des Stromverbrauchs aus einer gegenüber dem vorangegangenen Abrechnungszeitraum enormen und nicht nachvollziehbar erklärbaren Abweichung gegenüber dem Vorjahr ergeben.

Gemäß einem Urteil des Bundesgerichtshofs vom 07.02.2018 ist in einem solchen Fall der Einwand der Kunden, die berechnete Strommenge nicht bezogen zu haben, schon im Rahmen der Zahlungsklage des Versorgers zu prüfen (Az.: VIII ZR 148/17).

Zehnfach höherer Stromverbrauch als im Vorjahr:

Die Klägerin war ein Energieversorgungsunternehmen, das in Oldenburg die Grundversorgung wahrnimmt und auch die Beklagten im Grundversorgungsverhältnis unter anderem mit Strom beliefert.

Beklagt war ein älteres Ehepaar, in dessen Haushalt im streitgegenständlichen Zeitraum außerdem zeitweise noch ein Enkel aufhältig war. Für den etwa einjährigen Abrechnungszeitraum 2014/2015 stellte die Klägerin den Beklagten 9.073,40 Euro aufgrund eines abgelesenen Verbrauchs in Höhe von 31.814 kWh in Rechnung. 

Die Beklagten bestreiten, dass sie die ihnen in Rechnung gestellte Strommenge, die etwa zehn Mal höher liegt als ihr Verbrauch im Vorjahreszeitraum und auch als der übliche Verbrauch von Haushalten vergleichbaren Zuschnittes, tatsächlich verbraucht haben sollen. Den aufnehmenden Stromzähler an der Abnahmestelle hat die Klägerin noch im Juli 2015 ausbauen lassen und entsorgt, nachdem eine Prüfung durch eine staatlich anerkannte Prüfstelle ausweislich des darüber ausgestellten Prüfprotokolls keine Mängel erwiesen hatte.

OLG: Offensichtlicher Fehler durchaus möglich

Das Landgericht hat die Beklagten zur Zahlung der von der Klägerin in Rechnung gestellten Vergütung verurteilt. Auf die Berufung der Beklagten hat das Oberlandesgericht das erstinstanzliche Urteil abgeändert und die Klage abgewiesen. Die ernsthafte Möglichkeit eines offensichtlichen Fehlers im Sinne des § 17 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 StromGVV könne sich nach Aufassung des OlG auch aus einer enormen und nicht plausibel erklärbaren Abweichung der Verbrauchswerte von denen vorangegangener oder nachfolgender Abrechnungsperioden ergeben. 

Dafür, dass die Beklagten die vorliegend abgerechnete exorbitante Strommenge tatsächlich selbst verbraucht haben könnten, seien nach ihrem (eher bescheidenen) Lebenszuschnitt und der Auflistung der in ihrem Haushalt vorhandenen Stromabnehmer keinerlei Anhaltspunkte zu erkennen. Wie es zu der Anzeige des außergewöhnlich hohen Verbrauchs gekommen sein soll, bleibe unbekannt.

Der BGH hat die Entscheidung des OLG bestätigt und die Revision des Energieversorgungsunternehmens zurückgewiesen. Die Beurteilung des Berufungsgerichts, dass hier die „ernsthafte Möglichkeit eines offensichtlichen Fehlers“ im Sinne des § 17 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 StromGVV bestehe, sei in Anbetracht der von ihm festgestellten Umstände aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden, sondern vielmehr naheliegend. Insbesondere habe das Berufungsgericht – entgegen der Auffassung der Klägerin – nicht fehlerhaft einen unzutreffenden, zugunsten des Kunden überzogen großzügigen Maßstab angelegt

Die Bestimmung des § 17 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 StromGVV beruhe zwar – gleichfalls wie die von ihr abgelöste Vorgängerregelung des § 30 Nr. 1 AVBEltV – auf der Erwägung des Verordnungsgebers, dass die grundsätzlich zur Vorleistung verpflichteten Grundversorger nicht unvertretbare Verzögerungen bei der Realisierung ihrer Preisforderungen hinnehmen müssten, die sich daraus ergeben, dass Kunden Einwände geltend machen, die sich letztlich als unberechtigt erweisen. 

Um Liquiditätsengpässe und daraus folgende Versorgungseinschränkungen zu vermeiden, wollte der Verordnungsgeber es den Versorgungsunternehmen ermöglichen, die Vielzahl ihrer häufig kleinen Forderungen mit einer vorläufig bindenden Wirkung festzusetzen und im Prozess ohne eine abschließende Beweisaufnahme über deren materielle Berechtigung durchsetzen zu können

Der Kunde wird deshalb nach § 17 StromGVV im Regelfall mit Einwendungen gegen die Richtigkeit der Abrechnung (insbesondere Mess- und Ablesefehler) im Zahlungsprozess des Versorgers ausgeschlossen. Dadurch wird der Kunde aber nicht gänzlich rechtlos gestellt. 

Die Darlegungs- und Beweislast des Versorgers für die Richtigkeit der Abrechnung ändere diese angesprochene Regelung nicht. Allerdings wird die Beweisaufnahme in den Fällen, in denen der Kunde nach § 17 StromGVV mit seinen Einwendungen ausgeschlossen ist, schlichtweg auf den Rückforderungsprozess des Kunden verlagert also auf einen Folgeprozess vertagt.

Sofern der Kunde allerdings (wie hier die Beklagten angesichts des abgelesenen angeblichen enormen Verbrauchs) bereits die „ernsthafte Möglichkeit eines offensichtlichen Fehlers“ aufzeigen könne, sei er mit seinem Einwand nicht auf einen späteren Rückforderungsprozess verwiesen, sodass keine Verlagerung dieser Beweisaufnahme in den Rückforderungsprozess stattfinden könne.

Vielmehr sei sein Einwand, die berechnete Strommenge nicht bezogen zu haben, schon im Rahmen der Zahlungsklage des Versorgers zu prüfen und einer Beweisaufnahme zu unterziehen.

Das Energieversorgungsunternehmen müsse dann nach allgemeinen Grundsätzen die Voraussetzungen seines Anspruchs, also auch den tatsächlichen Bezug der in Rechnung gestellten Energiemenge tatsächlich beweisen. Insoweit habe die Klägerin im entschiedenen Fall in den Tatsacheninstanzen jedoch keinerlei tauglichen Beweis angetreten und den streitigen Zähler überdies noch entsorgt, sodass dessen Überprüfung durch einen Sachverständigen ausgeschlossen worden sei durch Initiative des Energieversorgungsunternehmens selbst.

Quelle: C.H. Beck Verlag


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