Das Grauen geht um an deutschen Theatern – Nichtverlängerungsmitteilung droht

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Jedes Jahr wiederholt sich das gleiche Spiel: Die Sommerferien nahen, das Wetter wird schön, und in deutschen Theatern geht die Angst um: Bis zum 31.07. können Theater länger beschäftigten Künstlern mit einer sog. Nichtverlängerungsmitteilung mitteilen, dass ihre Verträge über das Ende der kommenden Spielzeit hinaus nicht verlängert werden. Bevor das geschieht, müssen dem betroffenen Künstler die Gründe mitgeteilt werden, die für eine Nichtverlängerung sprechen. Das muss in einer Anhörung geschehen, in der der Künstler dazu Stellung nehmen kann. Die Einzelheiten sind im Tarifvertrag für die Theater, dem NV Bühne, geregelt.

Kann ich mich erfolgreich gegen eine Nichtverlängerungsmitteilung wehren?

Das kommt darauf an. Die schlechte Nachricht ist, dass es wenig Möglichkeiten gibt, sich erfolgreich gegen eine Nichtverlängerungsmitteilung zu wehren. Die gute Nachricht ist, dass die Theater bei der Anhörung und dem Nichtverlängerungsverfahren teilweise haarsträubende Fehler machen. Diese können dazu führen, dass die Nichtverlängerungsmitteilung unwirksam ist.

1. Fristen

Wenig Fehler werden bei den Formalia gemacht: Künstler, deren Vertrag zum geplanten Ende der Beschäftigung mehr als acht Jahre bzw. Spielzeiten beschäftigt waren, muss eine Nichtverlängerungsmitteilung bis zum 31.07. der vorhergehenden Spielzeit zugehen. Das ist regelmäßig kein Problem in der Praxis.

Anders kann es mit der Anhörung sein. Diese muss, wie § 61 Abs. 5 NV Bühne bestimmt, „spätestens zwei Wochen vor“ dem 31.7. durchgeführt werden. Und hier gibt es tatsächlich eine kleine Unklarheit: Fällt der 31. in die Zweiwochenfrist oder nicht? Muss die Anhörung also spätestens am 17. oder schon am 16.07. stattfinden? Diese Frage ist bisher ungeklärt. Das wissen aber auch die Arbeitgeber, und der Deutsche Bühnenverein als Arbeitgeberverband empfiehlt seinen Mitgliedern denn auch, Anhörungen spätestens am 16. durchzuführen.

2. Beteiligte der Anhörung

Es muss genau geprüft werden, ob bei der Anhörung für das Theater die richtigen Personen auftreten. Das ist regelmäßig der Intendant, vielleicht auch ein geschäftsführender Direktor. Der NV Bühne bestimmt, dass der „Arbeitgeber“ den Künstler anzuhören hat. Das Bundesarbeitsgericht (BAG) meint, dass die Anhörung von solchen Personen durchgeführt werden muss, die bindende Entscheidungen für das Theater treffen können. Abteilungsleiter wie Oberspielleiter können das nicht. Eine Anhörung, die von einem Chefmaskenbildner oder Oberspielleiter durchgeführt wird, ist nicht ordnungsgemäß. Eine danach ausgesprochene Nichtverlängerungserklärung wäre unwirksam.

3. Das Schweigen der Lämmer Intendanten

Manche Intendanten meinen, es genügt, wenn sie dem Künstler zuhören, weil es ja „Anhörung“ heißt. Dem hat das BAG aber einen Riegel vorgeschoben: Die Anhörung soll den Künstler in die Lage versetzen, auf die Gründe einzugehen, die nach Meinung des Theaters für eine Nichtverlängerung sprechen. Deshalb muss das Theater in Vorleistung gehen und in der Anhörung alle Gründe für eine Nichtverlängerung vorbringen. Schweigt der Intendant oder sagt nur: „Sie können jetzt etwas sagen, ich höre!“, sind Sie auf der sicheren Seite. Dann war die Anhörung nicht ordnungsgemäß. Vermeiden Sie es aber, nachzufragen. Denn dann könnte der Intendant immer noch Gründe nachreichen, und das wäre rechtzeitig. Wie so oft gilt hier: Schweigen ist Gold.

4. Flurgespräche

Der Intendant darf sich in der Anhörung auch nicht darauf berufen, dass die Gründe für eine Nichtverlängerung ja bekannt seien, schließlich habe man oft genug Gespräche auf dem Flur geführt: Das BAG hat ausdrücklich entschieden, dass die Gründe für eine Nichtverlängerung in der Anhörung vorgebracht werden müssen. Sonst ist die Anhörung unwirksam und die danach ausgesprochene Nichtverlängerungsmitteilung unwirksam.

5. pauschale Gründe

Oft werden in einer Anhörung nur unscharfe pauschale Gründe vorgebracht: Ich überlege, Ihren Vertrag aus künstlerischen Gründen nicht zu verlängern. Sie halten sich für clever, weil sie meinen, wenn sie wenig sagen, kann auf wenig entgegengehalten werden.

Künstlerische Gründe beispielsweise reichen für eine Nichtverlängerungsmitteilung aus, aber die müssen auch genannt werden. Erforderlich sind konkrete nachvollziehbare und auf den einzelnen Künstler bezogene Gründe. Bei Sängern könnte das z. B. sein, dass die Stimme zu wenig flexibel ist oder dass jemand Probleme mit dem Passaggio hat. Ohne konkrete Gründe zu kennen kann der Künstler ja nicht dazu Stellung nehmen.

Weil der Arbeitsvertrag befristet ist, endet er automatisch, und bei der Anhörung geht es um die Verlängerung des Vertrags. Deshalb meint das BAG, dass Gründe für die angedachte Nichtverlängerung nicht objektiv vorliegen müssen; es genügt, wenn der Intendant subjektiv von ihnen überzeugt ist. Das ist bedauerlich, entspricht aber jahrzehntelanger Rechtsprechung. 

6. vorher feststehende Entscheidung

Eine Anhörung muss ergebnisoffen sein. Das führt dazu, dass in Anhörungen regelmäßig Formulierungen verwendet werden wie „wir erwägen, Ihren Vertrag nicht zu verlängern“. Sagt der Intendant „Wir werden Ihren Vertrag nicht verlängern“ oder hat er das vor der Anhörung schon einmal gesagt, steht von vornherein fest, dass es eine Nichtverlängerungsmitteilung geben wird. Das widerspricht dem Sinn der Anhörung; sie ist nicht ordnungsgemäß, eine danach ausgesprochene Nichtverlängerungsmitteilung unwirksam.

7. vorgeschobene Gründe

Immer wieder kommt es vor, dass in einer Anhörung gar nicht die wirklichen Gründe für eine Nichtverlängerung mitgeteilt werden, beispielsweise, weil sie nicht zur Nichtverlängerung führen dürften. Ein gutes Beispiel hierfür ist das Alter der Künstler. Ein Theater hatte die drei ältesten Tänzer des Ensembles nichtverlängert und das Alter der Tänzer natürlich nicht als Grund angegeben. Weil aber ausschließlich die ältesten Tänzer nichtverlängert wurden, sah das BAG hierin eine Altersdiskriminierung und erklärte die entsprechenden Nichtverlängerungsmitteilungen für unwirksam.

8. Intendantenwechsel

Ein besonderer Fall sind Nichtverlängerungen wegen Intendantenwechsels nach § 62 NV Bühne. Der NV Bühne will dem neuen Intendanten die Möglichkeit geben, ein Ensemble nach seiner Wahl zusammenzustellen, deshalb genügt als Grund für die Nichtverlängerung eben der bevorstehende Intendantenwechsel.

Der zukünftige Intendant führt auch häufig Anhörungen durch und spricht Nichtverlängerungsmitteilungen aus. Das darf er aber nur, wenn er vom Träger des Theaters, also dem Land oder der Stadt, dazu bevollmächtigt wurde. Meistens werden Vollmachten in der Anhörung auch vorgelegt. Wenn das aber versäumt wird, muss der zukünftige Intendant der Nichtverlängerungs-mitteilung eine Originalvollmacht beifügen, sonst kann die Nichtverlängerungsmitteilung nach § 174 BGB zurückgewiesen werden.

Das muss unverzüglich geschehen, also ohne schuldhaftes Zögern. Sie dürfen sich also nicht zu viel Zeit lassen. Immerhin dürfen Sie rechtlichen Rat einholen, bevor Sie die Nichtverlängerungsmitteilung zurückweisen. Wurde sie wirksam zurückgewiesen, muss eine neue Nichtverlängerungsmitteilung ausgesprochen werden, und dafür kann es zu spät sein, wenn das Theater nämlich die Nichtverlängerungsmitteilung erst kurz vor dem 31. ausgesprochen hat. Und eine Nichtverlängerungsmitteilung, die erst im August zugeht, ist unwirksam.

Gerade in solchen Fällen lohnt es, gegen die Nichtverlängerungsmitteilung zu klagen.

9. Schwangerschaft

Gegenüber einer schwangeren Frau darf keine Nichtverlängerungsmitteilung ausgesprochen werden, wenn das Theater von der Schwangerschaft weiß. Sie sollten das Theater spätestens bei der Anhörung von der Schwangerschaft in Kenntnis setzen und dann so schnell wie möglich eine ärztliche Bescheinigung nachreichen.

Was kann ich tun, wenn ich eine Einladung zum Anhörungsgespräch erhalten habe?

  • Bereiten Sie sich auf die Anhörung vor und lassen Sie sich von einem spezialisierten Rechtsanwalt beraten.
  • Nehmen Sie Ihre Rechte wahr. Gehen Sie nicht allein zu der Anhörung, sondern lassen Sie sich begleiten. Sie dürfen jedenfalls einen Kollegen und einen Gewerkschaftsvertreter zum Gespräch mitnehmen.
  • Lassen Sie von Ihren Begleitern ein Protokoll führen. Das ist wichtig, weil es im Fall einer Klage als Beweismittel vorgelegt werden kann.
  • Stellen Sie niemals Fragen. Je weniger der Intendant sagt, desto besser sind Ihre Chancen, dass die Anhörung nicht ordnungsgemäß ist.
  • Wenn tatsächlich nachvollziehbare Gründe für eine Nichtverlängerung vorgetragen werden, argumentieren Sie dagegen. Schildern Sie auch Ihre soziale Situation und Ihre Familie.
  • Wenn Sie trotzdem eine Nichtverlängerungsmitteilung erhalten, müssen Sie bis zum 31.10 gegen die Nichtverlängerungsmitteilung vor dem Bezirksschiedsgericht klagen. Hierbei unterstützen wir Sie gern.

Nichtverlängerungsmitteilung – kostenlose Ersteinschätzung

Die Kanzlei Dr. Wachs Rechtsanwälte bietet allen Künstlern, die eine Nichtverlängerungsmitteilung erhalten haben, eine kostenlose Ersteinschätzung an. Hierbei können den Künstlern Wege sowie Chancen und Risiken einer Verteidigung aufgezeigt und weitere Fragen schnell und kompetent beantwortet werden. Die Anwälte der Kanzlei verfügen über große Erfahrung im Bereich des NV Bühne, stehen Betroffenen bis 19.00 Uhr persönlich zur Verfügung und helfen gerne weiter.

Wir können eine erfolgreiche Verteidigungsstrategie erarbeiten, für Sie in den Kampf gehen und den Schaden minimieren. Rufen Sie uns an und erfahren Sie mehr. Gerne dürfen Sie uns auch eine E-Mail schreiben oder die Homepage der Kanzlei besuchen. Hier gibt es auch zahlreiche Informationen zu anderen spannenden Themen. Die Telefonnummer der Kanzlei finden Sie oben rechts neben diesem Beitrag im Kästchen.

Foto(s): ©Adobe Stock/.shock

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