Der EuGH schärft den Kündigungsschutz in der Wartezeit

  • 4 Minuten Lesezeit

In der „Probezeit“ bedarf es keiner großen Begründung der Kündigung – so die landläufige Meinung. Der EuGH hat die Darlegungslasten, jedenfalls zugunsten von Menschen mit Behinderung, erheblich verbessert, im Einzelnen:

Was ist überhaupt unter dem Begriff „Probezeit“ zu verstehen?

Nach § 622 Abs. 3 BGB ist ein möglich, im Arbeitsvertrag eine Probezeit zu vereinbaren. Diese darf höchstens bis zu einer Gesamtdauer von sechs Monaten vereinbart werden und hat zur Folge, dass während dieser Zeit mit einer 14-tägigen Frist gekündigt werden kann.

Häufig wird der Begriff „Probezeit“ mit dem Begriff „Wartezeit“ nach § 1 KSchG gleichgesetzt. Die Wartezeit nach dem Kündigungsschutzgesetz beträgt sechs Monate. Nach Ablauf der Wartezeit findet das Kündigungsschutzgesetz Anwendung, mit der Folge, dass eine Kündigung nicht sozial ungerechtfertigt sein darf!

Wie sind die Erfolgsaussichten, beim Vorgehen einer Kündigung während der Wartezeit?

Nach überstürzter Ansicht vieler Arbeitgeber: schlecht! Die Probezeit sei ja dafür da, das Arbeitsverhältnis von beiden Seiten auszutesten und gegebenenfalls schnell wieder zu beenden. Aufgrund dieser weitläufigen Ansicht geben auch viele Betriebsräte und Arbeitnehmer*innen bei Kündigungen viel zu schnell auf. Nicht selten ist aber die Kündigung unwirksam und kann durch schnelles Handeln angegriffen werden.

Oft genug wahren nämlich Arbeitgeber*innen nicht einmal die Formvorschriften (welche Formerfordernisse bestehen, lesen Sie hier: https://www.betriebsratsberater-berlin.de/beratung/kuendigung/rechte-der-arbeitnehmerinnen/formerfordernisse/). Und auch in der Probezeit bzw. Wartezeit darf die Kündigung weder willkürlich noch sittenwidrig erfolgen. Sie darf auch keine unzulässige Maßregelung der Arbeitnehmer*in darstellen und die Anforderungen an den Diskriminierungsschutz aus dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz unterlaufen.

Gibt es eine Wartezeit für Kündigungen von Menschen mit Behinderung?

Bis jetzt waren Menschen mit Behinderungen erst nach sechs Monaten besonders vor Kündigungen geschützt. Nach deutschem Recht für schwerbehinderte Beschäftigte gemäß § 173 Abs. 1 S. 1 SGB IX die §§ 168 ff. muss das Integrationsamt an einer Kündigung beteiligt werden.

Auf die Vorlagefrage eines belgischen Gerichts hin, hat der EuGH nun aber entschieden, dass Arbeitgeber*innen bei Mitarbeiter*innen mit Behinderung auch in der Probezeit zunächst mildere Mittel und vor allem eine Versetzung auf einen anderen Arbeitsplatz prüfen müssen. Das dürfte häufig der Fall sein.

Was war passiert?

Ein Gleisarbeiter in der Probezeit, der bei der einzigen Arbeitgeberin der belgischen Eisenbahn angestellt war, bekam einen Herzschrittmacher eingesetzt. Dies verunmöglichte ihm, weiter als Gleisarbeiter tätig zu sein, da er dort regelmäßig elektromagnetischen Feldern ausgesetzt wäre, die seinen Schrittmacher beeinträchtigen könnten. Daraufhin wurde er noch innerhalb der Probezeit entlassen und klagte. Die Begründung: Er sei wegen seiner attestierten Schwerbehinderung entlassen worden, darin läge eine ungerechtfertigte Diskriminierung, die gegen die Gleichbehandlungsrahmenrichtlinie (Richtlinie 2000/78/EG) verstößt.

Art. 5 dieser Richtlinie sieht vor, dass der Arbeitgeber „angemessene Vorkehrungen für Menschen mit Behinderungen“ treffen muss. Nach Auffassung des Arbeitnehmers gehört dazu auch die Weiterbeschäftigung auf einem anderen Arbeitsplatz.

Das belgische Gericht legte folgende Frage im Wege des Vorabentscheidungsverfahrens nach Art. 267 dem EuGH vor. Inwieweit sei Art. 5 der Richtlinie 2000/78 dahin auszulegen, dass der Begriff „angemessene Vorkehrungen für Menschen mit Behinderung“ im Sinne dieses Artikels impliziert, dass ein Arbeitnehmer – und zwar auch derjenige, der nach seiner Einstellung eine Probezeit absolviert –, der aufgrund seiner Behinderung für ungeeignet erklärt wurde, die wesentlichen Funktionen seiner bisherigen Stelle zu erfüllen, auf einer anderen Stelle einzusetzen ist, für die er die notwendige Kompetenz, Fähigkeit und Verfügbarkeit aufweist.“

Der EuGH urteilte daraufhin, dass die genannte Richtlinie in ihrem Anwendungsbereich so weit sei, dass sie auch in der Probezeit Anwendung findet.

„Der Arbeitgeber hat also die geeigneten und im konkreten Fall erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen, um dem Menschen mit Behinderung den Zugang zur Beschäftigung, die Ausübung eines Berufes, den beruflichen Aufstieg und die Teilnahme an Aus- und Weiterbildungsmaßnahmen zu ermöglichen, es sei denn, diese Maßnahmen würden ihn unverhältnismäßig belasten.“

Von den „geeigneten und im konkreten Fall erforderlichen Maßnahmen“ sei die Versetzung auf einen anderen Arbeitsplatz umfasst.

Bei der Prüfung ob eine unverhältnismäßige Belastung vorliegt, ist insbesondere der „mit ihnen verbundene finanzielle Aufwand sowie die Größe, die finanziellen Ressourcen und der Gesamtumsatz der Organisation oder des Unternehmens und die Verfügbarkeit von öffentlichen Mitteln oder anderen Unterstützungsmöglichkeiten“ zu berücksichtigen.

Jedenfalls sei das Vorhandensein einer freien Stelle, die der betreffende Arbeitnehmer einnehmen könne, Voraussetzung um dort eine Person mit Behinderung zu beschäftigen.

Damit hat der EuGH den allgemeinen Kündigungsschutz, sowie den Sonderkündigungsschutz von Menschen mit Behinderungen, wie er in Deutschland gilt, europarechtlich erweitert. Arbeitgeber*innen müssen zukünftig auch innerhalb der Wartezeit prüfen, ob nicht doch mildere Mittel als eine Kündigung in Betracht zu ziehen sind und dabei erhöhte Maßstäbe berücksichtigen.

Bis jetzt haben sich die Arbeitsgerichte oft mit einfachen und knappen Begründungen bei Kündigungen zufrieden gezeigt – das wird jetzt nicht mehr so einfach möglich sein. Der EuGH hat den allgemeinen, sowie den Sonderkündigungsschutz, wie er in Deutschland gilt um ein scharfes europarechtliches Schwert ergänzt. Zumindest wenn die von Probezeit-Kündigungen Betroffenen eine Behinderung haben. Es lohnt sich also, im Zweifel einen Rechtsanwalt oder eine Rechtsanwältin zu kontaktieren. Wir bieten bei Kündigungen eine schnelle und kostenfreie Ersteinschätzung an.

Betriebsräte sollten betroffene motivieren, anwaltliche Unterstützung zu suchen, um erfolgreich die Rechte verfolgen zu können!







Foto(s): 725846_web_R_K_B_by_Rainer Sturm_pixelio.de

Rechtstipp aus dem Rechtsgebiet

Artikel teilen:


Sie haben Fragen? Jetzt Kontakt aufnehmen!

Weitere Rechtstipps von Rechtsanwalt Christian Lunow

Beiträge zum Thema