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Der Solo-Selbstständige ist der natürliche Feind der Sozialversicherung

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Ist diese etwas provokante These berechtigt? Tatsache ist, dass die Zahl der selbstständigen Einzelpersonen ohne eigene Mitarbeiter steigt. Das statistische Bundesamt meldete einen neuen Höchststand zuletzt im Jahr 2012 (vgl. Martin und Marder-Puch: Selbstständigkeit in Deutschland, herausgegeben vom Statistischen Bundesamt 2013 – https://www.destatis.de/DE/ZahlenFakten/GesamtwirtschaftUmwelt/Arbeitsmarkt/Methoden/Downloads/SelbststaendigkeitDeutschland_72013.pdf?__blob=publicationFile).

Die Motive für diese Art von Existenzgründungen sind unterschiedlich. Viele sehen in der Selbstständigkeit einen Ausweg aus der Arbeitslosigkeit. Andere wollen ihr eigener Herr sein. Betriebe senken Kosten und verlagern Tätigkeiten auf freie Mitarbeiter, um Sozialversicherungsbeiträge zu sparen. Im Zuge der Hartz-Reformen wurde die Gründung sogenannter Ich-AG’s sogar gesetzlich mit Existenzgründungszuschüssen gefördert. Nicht zuletzt kommen ein Effekt des digitalen Wandels und die Möglichkeiten des Internets hinzu: Viele Tätigkeiten können mittlerweile am Laptop gewissermaßen vom heimischen Küchentisch aus betrieben werden, ohne dass das Büro des Auftraggebers überhaupt noch betreten werden muss. Möglicherweise wird sich dieser Trend noch verstärken.

Diese Entwicklung hat massive Auswirkungen auf das Sozialsystem. Denn Selbstständige sind (von wenigen Ausnahmen abgesehen) nicht pflichtversichert und bezahlen keine Beiträge. Das Sozialversicherungssystem ist aber auf dem Modell der abhängigen Beschäftigung geradezu aufgebaut. Die Versicherungspflicht trifft in erster Linie die gegen Arbeitsentgelt beschäftigten (Einzel-)Personen. Die Sozialversicherungsträger haben deshalb, allein um die Funktionsfähigkeit des Systems zu sichern, ein natürliches Interesse an einer hohen Zahl von abhängigen Beschäftigungsverhältnissen, um das Beitragsaufkommen stabil zu halten.

Deshalb darf es nicht erstaunen, dass die Prüfdienste der Sozialversicherungsträger zunehmend die selbstständige Tätigkeit von Einzelpersonen (Ich-AG’s, freie Mitarbeiter, Honorarkräfte, Freelancer etc.) hinterfragen und in vielen Fällen sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse feststellen. Die Prüftätigkeit wird durch die Ermittlungen der Zollbehörden ergänzt. Die Abteilung „Finanzkontrolle Schwarzarbeit“ der Hauptzollämter hat die gesetzliche Aufgabe, Schwarzarbeit und Scheinselbstständigkeit aufzudecken und auch Strafverfahren einzuleiten. Dabei arbeitet der Zoll mit den Behörden der Sozialversicherung Hand in Hand.

Die Kontrolldichte verschärft sich täglich. Dabei treten aber zunehmend Rechtsunsicherheiten auf. Z. B. wurden in der Vergangenheit Personen, die als „Ich-AG“ gefördert und damit von der Bundesagentur für Arbeit ausdrücklich als Selbstständige anerkannt wurden, von den Rentenversicherungsträgern bei Betriebsprüfungen dennoch als Scheinselbstständige angesehen. Von ihren Auftraggebern wurden infolgedessen hohe Sozialversicherungsbeiträge nachgefordert. Der Gesetzgeber reagierte darauf mit einer Regelung im Zweiten Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt und fügte in § 7 Abs. 4 SGB IV eine Regelung mit folgendem Wortlaut ein:

„Für Personen, die für eine selbstständige Tätigkeit einen Zuschuss nach § 421m des Dritten Buches beantragen, wird widerlegbar vermutet, dass sie in dieser Tätigkeit als Selbstständige tätig sind. Für die Dauer des Bezugs dieses Zuschusses gelten diese Personen als selbstständig tätige.“

Mit dieser Regelung sollte ausdrücklich vermieden werden, dass die unterschiedlichen Sozialversicherungsträger (Bundesagentur für Arbeit einerseits, Träger der gesetzlichen Rentenversicherung andererseits) zu unterschiedlichen Ergebnissen bei der sozialversicherungsrechtlichen Beurteilung einer „Ich-AG“ kommen. Diese Klausel wurde jedoch mit Wirkung vom 01.07.2009 wieder aufgehoben, weil zugleich auch die Regelung über den Existenzgründungszuschuss auslief.

Die Unsicherheit ist geblieben: Nicht überall, wo Selbstständigkeit draufsteht, ist auch Selbstständigkeit drin. Die Betriebsprüfdienste der Rentenversicherung fordern selbst dann von den Auftraggebern hohe Sozialversicherungsbeiträge nach, wenn beide Parteien (Auftraggeber und Auftragnehmer) ausdrücklich wollen und übereinstimmend davon ausgehen, dass eine Selbstständigkeit besteht. Hier hilft es in der Regel auch nicht, dass der Auftragnehmer eine Gewerbeanmeldung und die Erfüllung seiner steuerlichen Pflichten nachweist.

Denn die Sozialversicherung nimmt grundsätzlich eine Einzelfallbetrachtung vor und prüft in erster Linie die tatsächlichen Umstände der Zusammenarbeit, nicht nur die vertraglichen Regelungen. Gegenstand der Prüfung ist nicht die Person, sondern die Tätigkeit. Wenn die tatsächlichen Verhältnisse der Tätigkeit auf eine Eingliederung in den Betrieb und eine Tätigkeit nach Weisungen hindeuten, spricht aus Sicht der Versicherungsträger Überwiegendes für eine Selbstständigkeit. Wenn zudem kein oder nur ein äußerst geringer eigener Kapitaleinsatz des Selbstständigen nachgewiesen werden kann, fehlt es am Unternehmerrisiko und damit an dem zentralen Merkmal der Selbstständigkeit. Betroffen sind vor allem Kleinunternehmer und Kleinhandwerker im Baugewerbe, handwerks- und haushaltsnahe Dienstleistungen, Reparaturarbeiten, Gartenpflege, Transportunternehmer und Kurierfahrer, einfache Tätigkeiten im Vertrieb (z. B. selbstständige Call-Center-Agenten), Gebäudereinigung und die Gastronomie (z. B. Mietköche), aber auch hochqualifizierte Tätigkeiten, wie z. B. freiberuflich tätige Ärzte in Krankenhäusern, Therapeuten oder auch Berater, wie z. B. selbstständige Ingenieure und Informatiker, die, mit nichts anderem ausgestattet als einem Laptop und ggf. Spezialsoftware, an Projektarbeiten für Industrieunternehmen beteiligt sind.

Die Beauftragung von Solo-Selbstständigen ist in zweifacher Hinsicht gefährlich: Der Auftraggeber, der ohne Rechtssicherheit Aufträge an Einzelunternehmer vergibt, riskiert deren nachträgliche Veranlagung zur Sozialversicherung und hohe Beitragsnachforderungen, der Auftragnehmer den Verlust von Folgeaufträgen. Beides kann die Existenz gefährden.

Die Sozialversicherungsträger sind gut vorbereitet und haben umfangreiche Kataloge mit allen erdenklichen Berufsgruppen erstellt, bei denen grundsätzlich Anlass zu einer Prüfung von abhängigen Beschäftigungsverhältnissen besteht. In einem Rundschreiben der Spitzenverbände der Sozialversicherung vom 13.04.2010 wird in einer Anlage 5 eine umfangreiche Liste aller kritisch zu bewertenden Berufe nebst den einschlägigen Abgrenzungskriterien aufgeführt. Darin findet sich vom „Ableser“ über „EDV-Berater“, „Kranführer“, „Versicherungsvertreter“ und „Zeitungsausträger“ so ziemlich alles, was man als Einzelperson selbstständig verrichten kann.

Grundsätzlich gilt: In jedem Fall einer Beauftragung von Einzelpersonen auf selbstständiger Basis hilft nur eine rechtzeitige Statusklärung vor Erteilung eines Auftrags und ggf. die rechtssichere Gestaltung der Zusammenarbeit nicht nur auf dem Papier, sondern in der alltäglichen Praxis.

Dieser Beitrag dient zur allgemeinen Information und entspricht dem Kenntnisstand zum Zeitpunkt der Veröffentlichung. Eine individuelle Beratung wird dadurch nicht ersetzt. Jeder einzelne Fall erfordert fachbezogenen Rat unter Berücksichtigung seiner konkreten Umstände. Ohne detaillierte Beratung kann keine Haftung für die Richtigkeit übernommen werden. Vervielfältigung und Verbreitung nur mit schriftlicher Genehmigung des Verfassers.


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